Ein Kaiser von Volkes Gnaden?

Rezensiert von Alexander Gauland · 18.01.2009
Der Frage, ob und wie viel Geschichte Kaiser Wilhelm II gemacht hat, geht der Sozialhistoriker Joska Pintschovius in der Biografie "Der Bürger-Kaiser" nach. Hat er als "großer Mann" die Geschicke Deutschlands gelenkt und das Land in den Ersten Weltkrieg getrieben oder waren es die "Umstände"? Pintschovius' Antworten bleiben eher vage.
Mit Verlagsankündigungen ist das so eine Sache, besonders dann, wenn sie große Erwartungen wecken. Nach John Röhl, Christopher Clarke und Eberhard Straub hat sich nun auch der Volkskundler und Sozialhistoriker Joska Pintschovius aufgemacht und rechtzeitig zum 150. Geburtstag Wilhelms II. am 27. Januar 2009 eine Biografie des letzten deutschen Kaisers vorgelegt.

"Der Bürgerkaiser, Anmerkungen zu Wilhelm II." heißt das Buch und wird vom Verlag nicht als umfassende Biografie, sondern als historisch belegte Streitschrift angekündigt und John Röhl entgegengestellt. Denn anders als dieser - so die Ankündigung - zeige der Autor, dass der Niedergang des Kaiserreiches und schließlich die Abdankung Wilhelms 1918 weniger mit dessen Person als vielmehr mit den geänderten politischen Eckdaten zusammenhing.

Doch was der Verlag stolz eine ungewöhnliche Sichtweise nennt, ist auch die These Clarkes: Nicht der Kaiser, sondern die Umstände und die Lage des Reiches haben den Ersten Weltkrieg herbeigeführt und sie hätten es wahrscheinlich auch ohne diesen oder mit einem anderen Herrscher.

Was der Autor auf mehr als 500 Seiten zusammenträgt, ist weder neu noch ungewöhnlich, neu ist allenfalls, dass er sich für keine These wirklich entscheiden kann, weshalb am Ende vieles angedeutet und wenig bewiesen wird, of wird etwas an der einen Stelle behauptet, was an einer anderen wieder zurückgenommen wird. Typisch hierfür sein Urteil über Wilhelms Ernsthaftigkeit und Arbeitseifer:

"Überdies machte sich der Kaiser nicht mit seiner Gewohnheit beliebt, durch intensives Studium in die Materie der anstehenden Probleme einzudringen, um sich kompetent an der Disputation beteiligen zu können."

An anderer Stelle lesen wir:

"Es konnte allerdings auch geschehen, dass Wilhelm II. von einer intensiven Arbeitswut gepackt wurde, doch leider beschäftigte er sich dann nur allzu oft mit völlig unwichtigen Angelegenheiten, mit Gebieten, die für seinen Herrscherberuf mehr oder weniger nebensächlich, wenn nicht zeitraubend und darum schädlich waren. Dazu rechnete man zum Beispiel das farbige Ausmalen der Kriegskarten oder das Anlegen tabellarischer Statistiken. Jedenfalls, so der spätere Admiral Müller, hat der Kaiser in seiner Jugend nicht arbeiten gelernt und er hat es im späteren Leben auch nicht nachgelernt."

Wenn in diesem Buch überhaupt eine These durchgehalten wird, dann ist es die von der Modernität des Kaisers in wissenschaftlichen und Bildungsfragen, seinem Eintreten für das Realgymnasium, naturwissenschaftlichen Unterricht und moderne Sprachen. Doch das hat kürzlich auch Eberhard Straub in den Mittelpunkt seiner Biografie gestellt, weshalb es weder ungewöhnlich noch neu ist.

Die historische Einordnung des Kaisers entscheidet sich letztlich nicht an Bildungsfragen, sondern an der Frage von Krieg und Frieden, daran, ob er mitschuldig oder gar allein schuldig an der zunehmenden diplomatischen Isolierung Deutschlands und dem endlichen Ausbruch des Ersten Weltkriegs war. Eine Streitschrift wider den Kaiser-Biografen Röhl müsste ihn hier fassen und wenn möglich widerlegen. Doch auch solche Ansätze bleiben im Ungefähren stecken.
Es ist bestimmt richtig, dass der Kaiser kein Autokrat, sondern ein konstitutioneller Monarch war, der für seine Politik Mehrheiten in der Bevölkerung und im Reichstag und Helfer in der Regierung wie in der Publizistik brauchte. Nicht einen Tag lang, so hat es Walter Rathenau nach dem Krieg in seiner Betrachtung über den Kaiser formuliert, hätte in Deutschland regiert werden können, wie regiert worden ist ohne die Zustimmung des Volkes:

"Dies Volk in dieser Zeit, bewusst und unbewusst, hat ihn so gewollt, nicht anders gewollt, hat sich selbst in ihm so gewollt, nicht anders gewollt."

Doch so klar wie Walter Rathenau 1919 oder Nicolaus Sombart in jüngerer Zeit sieht das der Autor nicht. Nicht das deutsche Volk, sondern die aus den Großdeutschen von 1848 hervorgegangenen Alldeutschen, zu denen er auch Freisinnige und manchmal auch Sozialdemokraten zählt, haben Wilhelm in eine falsche Richtung gedrängt, zur Weltpolitik "verführt", die nicht mehr

""alle brutalsten Rechtsbrüche des zaristischen Despotismus ruhig hinnehme, weil ihnen die Gewissenlosigkeit fehle, einen Krieg mit Russland zu führen, das konnten die Diplomaten des deutschen Bundes wirklich auch. Wenn Deutschland in der Weltpolitik auf diese bescheidene Rolle sich beschränken wollte, dann hätte das deutsche Volk sich die Ströme von Blut und Schweiß sparen können, welche dazugehörten, das deutsche Reich zu gründen","

wie die Freisinnige Volkszeitung schon 1887 bemängelte. Doch ob es nun Wilhelms ureigenste Überzeugung, konstitutioneller Treibsand oder Verhängnis waren, bleibt in dieser Biografie ungeklärt. Sein Urteil, ob und wie viel Geschichte Wilhelm gemacht hat, lautet:

""Treitschkes Diktum Männer machen Geschichte war jenen Historikern gewidmet, die mit Rousseaus Satz 'Mehrheitswille kann nicht unrecht sein' die Volksherrschaft legitimieren, Volksverbrechen hingegen nur Männern anzulasten pflegen und den Anteil der Druck ausübenden öffentlichen Meinung und Stimmung am Verlauf historischer Entwicklung negieren"."

Dafür hätte es keiner neuen Biografie des letzten Hohenzollernkaisers bedurft.

Joska Pintschovius: Der Bürger-Kaiser - Anmerkungen zu Wilhelm II.
Osburg Verlag, Berlin 2008
Joska Pintschovius: Der Bürger-Kaiser - Anmerkungen zu Wilhelm II.
Joska Pintschovius: Der Bürger-Kaiser - Anmerkungen zu Wilhelm II.© Osburg Verlag