Ein Jahr Schwarz-Grün in Hessen

Probelauf für ein Regierungsmodell auf Bundesebene

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Verstehen sich auch nach einem Jahr noch prächtig: Die hessischen Koalitionäre Volker Bouffier (CDU) und Tarek Al-Wazir (Grüne). © Fredrik von Erichsen/dpa
Von Ludger Fittkau · 15.01.2015
In Hessen regiert Schwarz-Grün einträchtig zusammen. So einträchtig, dass sich nicht nur die Opposition wundert. Aber das könnte auch daran liegen, dass Volker Bouffier schon längst über Hessen hinausdenkt.
Landtagspräsident: "Wir haben festgestellt, dass bei den Karten, die wir ausgegeben haben, falsche Wahlkarten dabei waren. Da stand nicht der Name des Kandidaten drauf, sondern der Name Max Mustermann..."
Doch nicht Max Mustermann sollte vor einem Jahr im hessischen Landtag zum ersten Ministerpräsidenten einer schwarz-grünen Koalition in einem Flächenland gewählt werden, sondern Volker Bouffier. Deshalb musste die Wahl wiederholt werden.
"Auf den Vorschlag Volker Bouffier entfielen 62 Stimmen."
Das war sogar eine Stimme mehr, als die neue schwarz-grüne Koalition aufzubieten hatte. Aus dem Fehlstart mit Max Mustermann ist längst eine mustergültig arbeitende Koalition geworden, findet Jürgen Falter, Parteienforscher an der Uni Mainz:
"Ja, es ist ganz erstaunlich, dass es wirklich ohne Knirschen läuft. Das hat natürlich damit zu tun, dass beide Seiten das Wollen und das an der Spitze beider Seiten relativ vernünftige Menschen stehen. Herr Bouffier ist längst nicht der Eisenfresser, als der er früher dargestellt worden ist und Herr Al-Wazir hat auch viel von der Schärfe verloren, die er damals im Landtag hatte, als der damals beste Redner."
Auch SPD, FDP und Linkspartei - die drei Oppositionsparteien im hessischen Landtag - erkennen an, dass die schwarz-grüne Regierungskoalition in Hessen nach einem Jahr ungewöhnlich harmonisch funktioniert. Janine Wissler ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Linkspartei und seit 2008 Mitglied im hessischen Landtag:
"Wir wundern uns auch, dass diese Koalition so harmonisch zusammenarbeitet. Angesichts der Tatsache, dass Tarek Al-Wazir noch wenige Tage vor der Landtagswahl Volker Bouffier als Rechtspopulisten bezeichnet hat. Die Grünen haben noch wenige Tage vor der Landtagswahl den Rücktritt von Volker Bouffier gefordert und jetzt regiert man einträchtig zusammen."
Mögliches Modell für Berlin im Jahr 2017?
Florian Rentsch war bis vor einem Jahr liberaler Wirtschaftsminister im damaligen schwarz-gelben Kabinett von Volker Bouffier. Heute ist Rentsch Vorsitzender der oppositionellen FDP-Fraktion im hessischen Landtag. Er erklärt die große schwarz-grüne Harmonie in Hessen damit, dass Bouffier als Merkel-Stellvertreter in der Bundes-CDU längst über Wiesbaden hinausdenke:
"Volker Bouffier hat ja hier die große Planung, schwarz-grün im Land zu etablieren, um es auch als Bundesmodell zu ermöglichen."
Das schwarz-grüne Bündnis in Hessen als mögliches Modell für Berlin 2017? Der Wiesbadener CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier spricht von einer Versöhnung von Ökonomie und Ökologie, die ja keine rein hessische Angelegenheit ist:
"Es war meine feste Überzeugung und auch meine feste Entscheidung, dann vorzuschlagen, wir gehen mit Bündnis 90/ Die Grünen – wir hätten ja auch mit der SPD gehen können – weil ich glaube, dass die Antworten auf die Fragen, die sich heute stellen, in dieser Kombination die besseren sind."
Wenn Schwarz-Grün in Hessen gelingt, erweitern sich damit auch die Optionen für Berlin. Das weiß auch der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel, der bei der hessischen Landtagswahl gegen Volker Bouffier unterlag. Schäfer-Gümbel muss zur Kenntnis nehmen, dass sein ehemaliger hessischer Wunsch-Koalitionspartner Bündnis 90/ Die Grünen drauf und dran ist, Schwarz-Grün auch im Bund hoffähig zu machen:
"Die Grünen in Hessen haben sich für einen dezidiert anderen Weg entschieden. Sie wollen als diejenigen, die da möglichst harmonisch an der Seite der Union ein Bündnis führen können, wahrgenommen werden."
Dass die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland nun schon ein Jahr beinahe geräuschlos funktioniert, liegt für den Parteienforscher Jürgen Falter auch daran, dass die hessischen Grünen schon seit langem einen Realo-Kurs fahren:
"Hessen war ja immer eine Realo-Hochburg. Und zwar von alters her. Von Joschka Fischers Zeiten her. Aber es gibt sehr viele andere. Kleinert und andere, die wirklich für einen Mitte-Kurs der Grünen standen. Die die Grünen auch gebracht haben auf diesen Kurs."
Hessen ist vielfältiger geworden
Auf der anderen Seite habe sich die hessische CDU verändert, die jahrzehntelang als besonders konservativ galt. Das glaubt Tarek Al-Wazir, der grüne Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Hessens. Diese Veränderung sei ein Reflex auf die Veränderung des ganzen Landes. Hessen sei in den vergangenen Jahrzehnten kulturell vielfältiger geworden, beobachtet Al-Wazir:
"Und sowas verändert auch eine betont konservative Partei wie die Hessen-CDU. Ich mache mir da nix vor, es gibt auch immer noch Leute, für die ist das alles sehr gewöhnungsbedürftig, aber das Land ist schon ein anderes geworden – zum Glück."
Doch immer noch gibt es in der hessischen CDU-Landtagsfraktion politische Rechtsausleger, die auch im ersten Jahr Schwarz-Grün von sich reden machten. SPD-Oppositionspolitiker Thorsten Schäfer-Gümbel hat vor allem eine Person vor Augen – den umstrittenen Fraktionsvize der Union im Landtag:
"Das ist der Rechtsaußen Hans-Jürgen Irmer. Das ist ein rechtspopulistischer Abgeordneter der CDU Hessen, der immer wieder durch ausländerfeindliche, homosexuellen-feindliche Äußerungen auffällt. Der mit Schwarz-Grün erneut in eine führende Rolle gekommen ist. Er war ja schon mal ausgesteuert, durch die damalige FDP. Da ist genügend Druck aufgebaut worden. Jetzt darf er wieder. Hat sich auch schon wieder genügend Dinge in diesem Jahr erlaubt. Es ist wirklich unerträglich, so einen Mann in der ersten Reihe zu sehen. Und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier wird auch nicht müde, so einen Mann zu schützen."
Volker Bouffier wiederum betont, dass Schwarz-Grün für ihn nicht bedeute, die großen politischen Unterschiede zu verkleistern, die beide Parteien in die Koalition einbringen:
"Wir haben auch von vorne herein vereinbart, dass wir die Geschichte nicht umschreiben. Sondern die Grünen waren 15 Jahre Opposition und hatten den großen Wunsch, uns endlich nach Hause zu schicken. Und wir haben sehr unterschiedliche Positionen eingenommen in der Vergangenheit. Und wir bleiben bei unseren Identitäten und schauen nach vorne. Und ich glaube, dass gelingt uns gut. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass das auch auf Dauer sowohl im Stil wie im Inhalt erfolgreich ist."
Der Frankfurter Flughafen soll ein drittes Terminal erhalten
Die große Harmonie der schwarz-grünen Koalition hat bundespolitische Bedeutung – das stärkt die Disziplin der Wiesbadener Koalitionäre. Und macht es der Opposition im hessischen Landtag zurzeit schwer, Angriffspunkte zu finden. Thorsten Schäfer-Gümbel von der SPD versucht es damit, der Regierung vorzuwerfen, sie opfere für den Koalitionsfrieden die Inhalte:
"Dort sehen sie, dass extrem viel Energie darauf verwendet wird, nach außen hin ein harmonisches Bild zu geben. Aber die Themen, die fallen dabei hinten runter."
Zankapfel Frankfurter Flughafen: Kommt das dritte Terminal?
Ein Flugzeug startet vom Frankfurter Flughafen aus.© dpa / Arne Dedert
Das mit Abstand wichtigste politische Thema in Hessen ist die Entwicklung des Flughafens Frankfurt am Main. 175.000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt vom größten deutschen Flughafen ab. Gleichzeitig macht wachsender Fluglärm vielen Anwohnern schwer zu schaffen. Doch der Rhein-Main-Airport soll weiter wachsen. Für mehr als 2 Milliarden Euro will der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport ein neues, drittes Terminal auf der Südseite des größten deutschen Flughafens bauen. Im Wahlkampf waren die Grünen noch gegen den Ausbau. Daran erinnert die Linke Janine Wissler:
"Ja, hier haben die Grünen ja im Wahlkampf versprochen – Tarek Al-Wazir – mit mir wird es kein Terminal 3 geben. Das ist eine klare Ansage. Und wir sind sehr gespannt darauf, wie er dieses Versprechen jetzt einlösen will. Er ist ja schon ganz klar zurückgerudert und hat gesagt: Es ist ja alles rechtssicher planfestgestellt und eigentlich kann man nichts mehr machen."
Im Koalitionsvertrag hatten CDU und Grüne vereinbart, die Pläne für den Bau des Terminals 3 sollen noch einmal überprüft werden. Der hessische CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier weist allerdings darauf hin, dass die Entscheidung über den Ausbau nicht mehr bei der Landesregierung liege – sondern beim Flughafenbetreiber Fraport:
"Das entscheidet Fraport als Aktiengesellschaft. Rechtlich ist es auch sehr einfach. Das ist im Planfeststellungsbeschluss alles enthalten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das alles entschieden. Trotzdem werden wir uns mit der Fraport zusammensetzen, um gemeinsam zu überlegen, gibt es Möglichkeiten, die wir zunächst nutzen können, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und die Frage eines Baus nochmal zu überprüfen."
Diese Äußerung des CDU-Ministerpräsidenten wertet der ehemalige hessische Wirtschaftsminister Florian Rentsch von der FDP als eine Abkehr der Union vom früheren wirtschaftsfreundlichen Kurs. Schwarz-Grün gefährde mit den öffentlich geäußerten Zweifeln an der Notwendigkeit des Baus von Terminal 3 die sogenannte "Hub-Funktion" des Rhein-Main-Flughafens. Dabei geht es um die Rolle als Umschlagplatz für Luftfracht und Umsteigepunkt für Passagiere im weltweiten Flugverkehr, so Rentsch:
"Die Grünen verfolgen ja eine Theorie der Suffizienz. Das ist ja eine wachstumskritische Wirtschaftspolitik, die letztlich zum Ziel hat 'Null-Wachstum'. Damit die alte Botschaft, man könne auch mit Null-Wachstum zufrieden sein. Wir wissen, dass es Rückschritt bedeutet. Gerade im Wettbewerb mit den anderen Flughäfen, mit denen wir uns letztlich messen müssen. Im Mittleren Osten, gerade im Bereich Istanbul, aber auch in Europa gibt es Konkurrenten, die sehr, sehr stark sind. Und insofern ist die Frage, wollen wir diese Hub-Funktion weiter ausbauen, ja oder nein. Die Union ist in den letzten Monaten unglaublich flexibel."
Manöver zum Erhalt des Koalitionsfriedens
Nicht flexibel sei die Position der schwarz-grünen Landesregierung zum Ausbau des Frankfurter Flughafens, sondern unehrlich. Das sagt Thorsten Schäfer-Gümbel von der SPD. Aktuelle Gutachten, mit denen die Landesregierung noch einmal den Bedarf für den Bau des Terminals 3 ermitteln will, wertet der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende als Manöver zum Erhalt des Koalitionsfriedens:
"Na ja, ich glaube, dass sie mit gespaltener Zunge agiert bei diesem wichtigen Thema. Weil öffentlich ein Eindruck geweckt wird, den die Regierung selber gar nicht mehr verfolgt. Mein Eindruck ist auch, dass so, wie sich die Fraport hier positioniert hat, dass das Terminal 3 nicht nur gebraucht wird aus ihrer Sicht, sondern auch gebaut wird. Dass das Land im Moment – oder die Landesregierung – versucht, ein bisschen das Gesicht zu wahren. Deswegen jetzt Gutachten, die formal überhaupt keine Bedeutung mehr haben - das es am Ende nur darum geht, eine einigermaßen gesichtswahrende Lösung für den schwarz-grünen Koalitionsvertrag zu sehen."
Auch andere Themen wie die Energiewende, den Ausbau der Ganztagschulen oder auch die Stärkung der kommunalen Finanzen gehe die schwarz-grüne Landesregierung nicht entschlossen genug an, weil ihr der Koalitionsfrieden wichtiger sei als die Inhalte, kritisiert die Opposition. Der SPD-Politiker Thorsten Schäfer-Gümbel nennt die Energiewende als Beispiel:
"Wir sehen auch hier ein doppeltes Spiel, insbesondere der Union. Auf der einen Seite wird hier auf den Energiegipfel verwiesen, insbesondere auf den Ausbau der Windkraftanlagen. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Union immer vor Ort dabei ist, wenn es darum geht, gegen Windkraft und die Energiewende zu polemisieren. Und das ist schon mutig nach der stümperhaften Umsetzung der Energiewende durch die ehemalige Regierung Merkel in Berlin und das Chaos, das nach Fukushima entstanden ist, geht das einfach weiter. Ich nehme Tarek Al-Wazir als Wirtschaftsminister ausdrücklich ab, dass er die Energiewende will, aber ich glaube, dass er erhebliche Auseinandersetzungen hat in der Koalition über den richtigen Weg und sie sehen ja, die Debatten über die Energiewende in Hessen werden weiter munter geführt."
Janine Wissler von der Linkspartei macht jedoch nicht nur die schwarz-grüne Landesregierung für die zögerliche Umsetzung der Energiewende in Hessen verantwortlich:
"Ja, im Bereich der Energiewende haben wir natürlich das Problem, dass auch die Bundesregierung alles tut, um die Energiewende zu konterkarieren. Dass wir auch gerade bei Bundeswirtschaftsminister Gabriel merken, wie stark die Kohlelobby nach wie vor in der SPD ist. Und gerade die Novelle des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes wird die Energiewende ja eher ausbremsen als beschleunigen."
Das Beispiel Energiewende zeigt: Bundesländer wie Hessen sind in vielen Politikfeldern stark abhängig von der Rahmenbedingungen, die die Bundespolitik schafft. In der Bildungspolitik ist das jedoch anders. Da haben die Länder nach wie vor große Gestaltungsmöglichkeiten. Die FDP-Opposition kritisiert nach einem Jahr Schwarz-Grün in Hessen, dass Schulen und Hochschulen Freiheiten genommen würden, die in der Zeit der schwarz-gelben Regierung geschaffen wurden. Florian Rentsch:
"Unser Ziel war: Selbstständige Schulen. Freie Schulen, die auch vor Ort entscheiden können, wie sind ihre Profile. Wo wollen wir hin – Schüler, Eltern und Lehrer. Die Union hat das wieder mit den Grünen komplett zurückgedreht. Aus Wiesbaden heraus wird jetzt wieder entschieden, was in Eschwege oder in Wetzlar an den Schulen passiert."
Die Hessen sind zufrieden mit ihrer Regierung
Janine Wissler von den Linken moniert insbesondere, dass unter Schwarz-Grün in Hessen der Ausbau der Ganztagschulen nur sehr schleppend vorangehe:
"Beim Thema Ganztagsschule haben wir große Differenzen zu Schwarz-Grün. Weil was die Regierung faktisch machen will, ist mitnichten der Ausbau der Ganztagschulen, sondern sie wollen ein Betreuungsangebot irgendwie organisieren, das größtenteils durch die Kommunen und die Eltern finanziert werden soll. Und ich glaube, das wird eine große Auseinandersetzung werden in den nächsten Jahren. Weil wir der Meinung sind, dass Ganztagschulen Aufgabe des Landes sind und es nicht sein kann, das am Ende Kommunen und Eltern dafür zahlen müssen, das ihre Kinder ganztätig betreut sind."
SPD-Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel sieht nicht nur in der hessischen Bildungspolitik nach einem Jahr Schwarz-Grün Stagnation:
"Na ja, im Kern geht der Stillstand weiter. Die CDU macht seit 15 Jahren ihren Stiefel und den macht sie auch weiter. Da ist es am Ende offensichtlich egal, wer von den Kleinen den Machterhalt der Union absichert."
Doch trotz der Kritik der Opposition an der Schulpolitik sowie an anderen Politikfeldern sind nach aktuellen Umfragen mehr als 60 Prozent der hessischen Wähler nach einem Jahr zufrieden mit der Arbeit der schwarz-grünen Landesregierung. Wechselstimmung ist nicht in Sicht, beobachtet auch Parteienforscher Jürgen Falter:
"Ja, Schäfer-Gümbel argumentiert, es tut sich nichts. Es sei eine Regierung des Stillstandes. Das ist natürlich typisch Opposition. Aber das greift nicht. Und wenn man in die Umfragen reinschaut, greift es auch nicht. Die hessische SPD hat keine großen Höhenflüge, CDU und Grüne stürzen nicht ab. Das heißt, die Hessen sind vergleichsweise zufrieden mit dieser Regierung. Am Unzufriedensten ist ein Teil der Grünen-Basis mit ihrer eigenen Partei."
Nicht nur Fluglärm bereitet der Grünen-Basis in Hessen weiterhin sorgen, sondern auch Stille an einem Flughafen. Am Flughafen Kassel-Calden nämlich. "Nordhessen hat Flügel bekommen" - mit diesen Worten hatte der damals noch mit der FDP regierende CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier den umstrittenen neuen Flughafen auf den Höhen bei Kassel vor anderthalb Jahren eröffnet.
Bis heute starten und landen nur ganz wenige Maschinen in Kassel-Calden. Doch in der Regierung haben die Grünen nun vorerst ihren Frieden mit dem Flughafen gemacht, glaubt der frühere hessische Wirtschaftsminister und heutige Oppositionspolitiker Florian Rentsch von der FDP. Und dies, obwohl Kassel-Calden schon im ersten Betriebsjahr mehr als 6 Millionen Defizit bei den Betriebskosten verzeichnete:
"Ich glaube, dass die Grünen zurzeit in einem Modus sind, dass man dem Flughafen zunächst eine Chance geben will. Das ist jedenfalls eine neue Position der Grünen, die wir vorher nicht so kannten. Aber auf jeden Fall ist es nicht falsch, dass diese massive Investition, die dort getätigt worden ist jetzt versucht wird, auch in einen Erfolg umzuwandeln. Und wir werden jetzt mal schauen, was dort passiert. Fakt ist: So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben."
Nämlich oft tagelang ganz still, weil kein Flugzeug in Kassel-Calden startet oder landet.
Zwei Untersuchungsausschüsse nehmen Bouffier in die Mangel
Dagegen bleiben Fluglärm und Flughafenausbau in Frankfurt am Main sowie die Probleme der Energiewende die Hauptthemen, die an der grünen Parteibasis in Hessen für Zündstoff sorgen. Doch rund 16 Prozent der hessischen Wahlberechtigten würden zurzeit ihre Stimme den Grünen geben – damit steht die Ökopartei blendend da.
Die CDU bleibt der Hauptgegner der hessischen Oppositionsparteien SPD und Linkspartei. Das frühere Handeln des Ministerpräsidenten Volker Bouffier steht im Zentrum zweier aktueller parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. Der eine beschäftigt sich mit dem Mord, den die rechtsextremistische Untergrundorganisation NSU in Kassel verübte. Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD:
"Gerade mit Blick auf die Ereignisse in Kassel muss man feststellen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln wollten und dass das Landesamt für Verfassungsschutz mit der massiven Rückendeckung des damaligen Innenministers Volker Bouffier sich daran nicht beteiligt hat und verhindert wurde, dass da weitere Ermittlungen stattfinden. Das hinterlässt Fragen, die wollen wir auch geklärt haben."
In einem weiteren Untersuchungsausschuss geht es um mögliche Fehler, die die von Volker Bouffier geführte Landesregierung bei der schnellen Abschaltung des Atomkraftwerks Biblis nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima machte und die dem Land Schaden in dreistelliger Millionenhöhe zufügen könnten. Janine Wissler von der Linkspartei:
"Es geht um viel Geld bei der Abschaltung von Biblis. Wir haben damals gewarnt, im Bundestag, im Landtag, dass man rechtssicher die Atomkraftwerke stilllegen muss und dass man das auch kann. Aber damals war das Ziel, durch die Landtagswahlen in Baden-Württemberg zu kommen und deswegen ist man hier einen Weg gegangen, vor dem viele gewarnt haben. Und wir werden hier in Hessen aufarbeiten, wer dafür die Verantwortung trägt. Aber jetzt ist schon deutlich, dass der Ministerpräsident aktiv beteiligt war und seine damalige Umweltministerin und das kann dem Land sehr teuer zu stehen kommen."
Doch trotz aller Versuche der Opposition in Hessen, die schwarz-grüne Landesregierung politisch in die Enge zu treiben: Nach einem Jahr steht die Regierung weitgehend unangefochten da.
Die Koalition in Hessen bietet also nach einem Jahr auch weit über das Bundesland hinaus machtpolitische Perspektiven – nicht selbstverständlich in einer Farbkonstellation, die vor wenigen Jahren noch kaum denkbar war. Als die FDP noch die Rolle des Wunschpartners der CDU innehatte. Das ist vorbei – nicht nur in Hessen.
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