Hessen

Weder Zeitenwende noch Liebesheirat

Der Ministerpräsident von Hessen, Volker Bouffier (CDU, r), überreicht dem Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen in Hessen, Tarek Al-Wazir (l), eine schwarz-grüne Krawatte.
Auf gute Zusammenarbeit: Hessens Grünen-Chef Al-Wazir (li.) mit Ministerpräsident Bouffier. © picture alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen
Von Anke Petermann · 23.12.2013
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und sein designierter Stellvertreter Tarek Al-Wazir (Grüne) haben den schwarz-grünen Koalitionsvertrag unterzeichnet. Vorgestern hatten ihm ein kleiner CDU-Parteitag und eine grüne Mitgliederversammlung zugestimmt. Hessen ist das erste Flächenland, in dem eine schwarz-grüne Koalition regiert.
Stahlhelmtruppe und Öko-Chaoten, Ausländerfeinde und naive Multikultis – so sahen CDU und Grüne in Hessen einander noch vor kurzem. Kein Wunder, dass beim Besiegeln der überraschenden Allianz Unbehagen auf beiden Seiten mitschwingt.
Keine Spur davon bei Lucia Puttrich. Die Stellvertreterin von Volker Bouffier an der Spitze der Hessen-CDU gilt als die heimliche Mutter von Schwarz-Grün. Noch bevor irgendjemand an solch ein Bündnis dachte, hatte die Ressortchefin Hessens Umweltbewegte schon hinter sich gebracht - mit ihrem gewagten Verbot für die umstrittene Erdgasfördermethode Fracking.
"Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit den Grünen, halte die auch für spannend und glaube, dass ganz viele einen Beitrag dazu geleistet haben in der Vergangenheit, dass wir ein Stück Vertrauen geschaffen haben. Das ist eine neue Zeit, und ich freu mich drauf."
Also doch ein Hauch von Zeitenwende? Auch Volker Bouffier hatte ja schon mal fallen lassen, dass eine dauerhaft erfolgreiche Zusammenarbeit von CDU und Grünen auch auf Bundesebenen Zeichen setzen könnte.
"Wenn das dann gut läuft, und das ist ja unser Ziel, dann wird man in der Zukunft sich auch mit solchen denkbaren Verbindungen beschäftigen, was bisher ja nicht der Fall war."
Schwarz-Grün als neue Koalitionsoption auf Bundesebene 2017? Manche Grünen argwöhnen, dass Ministerpräsident Bouffier ihre Partei als gesellschaftspolitische Frischzellen-Kur für die "angestaubte" Hessen-CDU benutzt. Machen die Grünen damit den einstigen Gegner stark? "Quatsch", wehrt Tarek Al-Wazir ab. Er wird stellvertretender Ministerpräsident.
"Es geht darum, dieses Land grüner zu machen, und genau das ist es, was die Partei uns mit auf den Weg gegeben hat."
Der designierte grüne Wirtschafts- und Verkehrsminister musste den Weiterbau von zwei längst begonnenen Autobahnen schlucken und will den Ausbau des Rhein-Main-Airport drosseln. Fluglärmbetroffene erwarten besseren Lärmschutz. Die Wirtschaft und die CDU haben vor allem die Wettbewerbsfähigkeit im Auge. Wie kann das Bündnis einstiger Erzfeinde funktionieren? Am Koalitionsvertrag und am Verlauf der Verhandlungen sei ablesbar, so Al-Wazir
"dass wir nicht vorhaben, da jetzt eine Konfliktkoalition zu machen, sondern dass da zwei sehr unterschiedliche Parteien gute Kompromisse im Sinne der Bürgerinnen und Bürger machen wollen und diese beiden Parteien auch Wert darauf legen, unterschiedliche zu bleiben, und das ist in dem Fall auch gut so."
"Viel Spaß beim Durchregieren, liebe Freunde der Macht"
Doch grüne Kritiker bedauern, das Grünen im Bündnis mit der "Weiter so"-CDU das Visionäre verlieren, das sie prägt. Dass die Enttäuschten gar nicht erst zur Mitgliederversammlung gekommen sind, behauptet einer. "Viel Spaß beim Durchregieren, liebe Freunde der Macht", wünscht eine Offenbacher Grüne zynisch. Darauf angesprochen, kontert Tarek Al-Wazir mit Blick auf die fast vierstündige Mitgliederdiskussion unwirsch.
"Ich glaube, dass das hier keine Partei des Durchregierens ist, das haben Sie gesehen. Mehr gibt's dazu nicht zu sagen."
Al-Wazirs Parteifreundin Priska Hinz wird Umweltministerin im neuen Kabinett Bouffier, mit Zuständigkeit für grüne Herzensangelegenheiten: Natur- und Verbraucherschutz, Energie- und Agrarwende. Bringt das der Regierungspartei CDU ganz nebenbei die fällige ökologische Runderneuerung? Die scheidende Ressortchefin Lucia Puttrich lacht:
"Die CDU ist schon immer eine offene Partei, und – das muss ich schlicht und einfach so sagen: Die CDU braucht keine andere Partei, um sich zu modernisieren, aber selbstverständlich bekommt man durch einen neuen Partner neue Impulse, und das schadet keinem."
Puttrich selbst gilt als gesetzt für anspruchsvolle Aufgaben im neuen Kabinett Bouffier