Ein Jahr Pegida

Der Ton hat sich verschärft

Mehrere tausend Pegida-Anhänger demonstrieren am 12.10.2015 in Dresden (Sachsen) auf dem Theaterplatz.
Mehrere tausend Pegida-Anhänger bei einer Demonstration am 12. Oktober auf dem Dresdener Theaterplatz. © dpa / picture-alliance / Bernd Settnik
Von Nadine Lindner · 19.10.2015
Seit einem Jahr gibt es die Pegida-Demos gegen die angebliche "Islamisierung des Abendlandes". Das stete Wiederholen derselben radikalen Slogans hat das Klima in Dresden verändert. Die Stadt hat jetzt gegen das Image als Rassisten-Hochburg zu kämpfen. Und gegen die negativen Konsequenzen, denn: Die Touristen bleiben weg.
Vergangenen Montagabend in Dresden: Auf dem Platz vor der weltbekannten Semperoper. Pegida demonstriert. Mal wieder, wie so oft im vergangenen Jahr. Gut 10.000 Menschen sind da. Nach einem Abflauen im Sommer wächst die Bewegung wieder.
"Es ist dank einer völlig verkorksten Politik unserer Berliner Diktatoren, und ich sage bewusst Diktatoren mittlerweile, allen voran IM Erika, alias Angela Merkel– außer Kontrolle geraten", so Pegida-Wortführer Lutz Bachmann.
Die Bundesregierung. Neben Asylbewerbern und Medien das Haupt-Feindbild. Eine Diktatur für Pegida-Wortführer Lutz Bachmann. Er wird umjubelt, trotz der Anklage gegen ihn wegen Volksverhetzung.
Ton hat sich verändert
Die Rhetorik hat sich verschärft. Das ist das Fazit nach einem Jahr Pegida. Der Wandel der Wortwahl macht das deutlich: Lutz Bachmann im vergangenen November :
"Es wird behauptet, wir stünden für eine Anti-Asylpolitik. Ich sage nein. Wir sind für Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und gegen Aufnahme von Wirtschaftsflüchtlingen."
Mittlerweile hört sich das anders an. Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling am vergangenen Montag:
"Fremde in unserem Land, die auf Feldbetten herumgammeln, randalieren. Merkel hat aus unserem Land ein riesiges Dschungelcamp gemacht."
Faul, aggressiv, kulturell anders - so beschreibt die ehemalige OB-Kandidatin für Pegida in Dresden die Asylbewerber. Bachmann nennt sie wörtlich "Asylforderer" und "Invasoren":
"Wenn es schon nicht genügend Arbeit für Deutsche ohne Ausbildung oder mit geringer schulischer Bildung gibt, die trotzdem noch wesentlich höher ist, als die der meisten Asylbewerber, woher sollen dann Jobs für die ganzen Invasoren kommen?"
Zulauf aus der bürgerlichen Mitte
Invasoren, die Deutschen etwas wegnehmen. Ein Begriff aus der Militärsprache. So schürt Pegida die Angst und ruft zur Selbstverteidigung auf, zum Beispiel durch die Blockade von Asylbewerberunterkünften. Eigentlich war die Bewegung schon tot gesagt – erst die sich seit dem Sommer zuspitzende Flüchtlingskrise, das Chaos bei der Unterbringung und eine überforderte Regierung verschaffte ihr wieder Aufwind. Das sagt der Politikwissenschaftler der TU Dresden, Hans Vorländer:
"Nun haben wir wieder im Augenblick Pegida, einfach durch die veränderte Zahl der Zuwanderung, der großen Flüchtlingsströme. Nun kann man sehen, wie das vergangen Montag der Fall war, dass viele aus der bürgerlichen Mitte Dresdens und Sachsen wieder kommen."
Die Angst vor dem unkontrollierten Zuzug von Asylbewerbern und Überfremdung ist konkreter geworden und treibt die Menschen mehr denn je zu Pegida. Ein Pegida-Anhänger:
"Deutschland ist nur so lange stark, wie es sich selbst erwirtschaften kann. Wenn Millionen Zuzug kriegen und im Anschluss ein Vierfaches oder Fünffaches an Familien nachziehen, das kann nicht gut gehen. Das geht jetzt schon nicht gut."
Politik reagierte anfangs zu zögerlich
Am Montag trug ein Demonstrant einen kleinen Galgen, an dem Stricke und Namensschilder von Angela Merkel und Sigmar Gabriel baumelten. Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt nun wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten. Der betreffende Staatsanwalt hat daraufhin Morddrohungen erhalten. Er soll offenbar eingeschüchtert werden.
Warum konnte sich Pegida in Dresden - im Gegensatz zu den Versuchen in anderen Städten - bis heute halten? Vielleicht auch, weil die Politik, vor allem die CDU, anfangs zu zaghaft reagierte.
Die sächsische Landesregierung hat anfänglich lange gezögert. Vize-Ministerpräsident Martin Dulig, SPD, zeigt sich nun, vor dem ersten Jahrestag entschlossen:
"Wir nehmen das nicht hin. Und ich appelliere auch an die Menschen, die bei Pegida mitlaufen, sich genau zu überlegen, wem sie da folgen."
In der Stadt, die Pegida-Anhänger als die neue "Hauptstadt des Widerstands" auserkoren haben, hat das vergangene Jahr Spuren hinterlassen.
Image als Rassisten-Hochburg
Das Negativ-Image als Rassisten-Hochburg macht sich in den sinkenden Besucherzahlen bemerkbar. Negative Auswirkungen befürchtet man auch für den Wissenschaftsstandort Dresden.
Beim Max Planck Institut für Zellbiologie und Genetik kommen 60 Prozent der Mitarbeiter nicht aus Deutschland. Noch haben Mitarbeiter nicht gekündigt, die Bewerberzahlen stimmen noch.
"Wir brauchen einfach Leute aus aller Welt", so Pressesprecher Florian Frisch. Aber die Stimmung ist gedrückt, findet er:
"Wenn das Image von Dresden weltweit sinken würde, könnte das problematischer werden, Leute hier zu holen. Leute, die hier arbeiten, sind nicht darauf angewiesen, hier her zu kommen. Die können auch nach London gehen, die können in die USA gehen."
Misstrauen wächst
Und auch in Dresdens Alltag hat Pegida die Stimmung verändert. Zu spüren ist das zum Beispiel in einem Café, das einmal in der Woche Dresdner und Asylbewerber zusammenbringt. Eine junge Frau, die sich als Christiane vorstellt, unterhält sich mit einem syrischen Flüchtling über die Lage in der Stadt:
"Es gibt so viele Bilder im Internet, von den Demonstrationen von Pegida. Sie werden gewaltätig, auch mit der Polizei."
Angst habe er nicht, sagt der Flüchtling, er habe viel schlimmere Dinge gesehen, aber er beobachte die Entwicklungen genau. Wachsamkeit, vielleicht sogar Misstrauen: das ist es, was die Stadtgesellschaft durch das Jahr mit Pegida geprägt hat, sagt Christiane:
"Man trennt jetzt halt. Wenn man neue Leute kennenlernt, dann ist das ne Sache, die man erst mal eruiert. Man fragt erst mal, wie stehst du dazu? Wenn man merkt, dass derjenige sympathisiert, dann distanziere ich mich und sage auch, ich will diese Person nicht unbedingt noch mal wieder treffen."
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