Ein Jahr Klima-Urteil

Können Gerichte die Erderwärmung stoppen?

28:42 Minuten
Ein als Panda verkleideter Umweltaktivist steht bei einer Demonstration für mehr Klimaschutz vor dem Bundeskanzleramt in einer Menschenkette.
Auf Kosten der Freiheit kommender Generationen: Fridays for Future und andere Umweltinitiativen protestieren im Mai 2021 gegen das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung. © picture alliance/dpa
Uwe Volkmann im Gespräch mit Simone Miller · 08.05.2022
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Das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor gut einem Jahr hat in der Umweltbewegung große Hoffnungen geweckt. Aber können Gerichte den Klimawandel aufhalten? Der Rechtsphilosoph Uwe Volkmann erkennt in diesem Weg durchaus einige Chancen.
Mit diesem Erfolg hatten selbst die Kläger nicht gerechnet: Das Karlsruher Gericht gab ihrer Verfassungsklage gegen das Klimaschutzgesetz der damaligen Bundesregierung in Teilen recht: Die Politik müsse entschiedenere Maßnahmen festlegen, um ihre Klimaziele zu erreichen, denn sonst würden die "zum Teil noch sehr jungen" Klägerinnen und Kläger unverhältnismäßig "in ihren Freiheitsrechten verletzt", so die Begründung des Urteils.

Freiheit und Generationengerechtigkeit

Das Gericht war zu der Einschätzung gekommen, dass Deutschland mit den bis dahin vorgesehenen Klimaschutzmaßnahmen bis zum Jahr 2030 bereits 90 Prozent des CO2-Budgets verbrauchen würde, das mit dem 1,5-Grad-Ziel der Bundesregierung vereinbar wäre.
Der absehbare Energie-Shutdown, der dadurch erforderlich würde, träfe die junge Generation dann mit unzumutbarer Härte, da "nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden" seien.
Freiheit werde demnach von den Karlsruher Richtern zu einer Frage der Generationengerechtigkeit erklärt, sagt der Rechtsphilosoph Uwe Volkmann von der Goethe-Universität Frankfurt am Main, das sei an diesem Urteil durchaus ungewöhnlich. Denn üblicherweise würden Freiheit und Gerechtigkeit im Recht eher als Gegensatzpaar aufgefasst, nun aber werde Freiheit selbst zu einem Gegenstand von Verteilungsgerechtigkeit.
Uwe Volkmann, mit Brille und Bart, im blau karierten weißen Hemd und grauen Cordsakko, steht im Freien vor einem Gebäude m it großen Glasfenstern und lächelt in die Kamera.
Freiheit als knappes Gut: Für den Rechtsphilosophen Uwe Volkmann wirft das Verständnis von Freiheit als einer begrenzten Ressource schwierige Fragen nach der gerechten Verteilung auf.© privat
Vom obersten Gericht adressiert werden durch das Urteil also die materiellen Voraussetzungen unserer Grundfreiheiten: Im Sinne einer gerechten Verteilung dürften die heutigen Deutschen nicht den Großteil der entsprechenden Einschränkungen durch ein erschöpftes CO2-Budget auf nachfolgende Generationen abwälzen, so Volkmann.
Ähnlich wie in der Corona-Pandemie nehme Freiheit dabei den Charakter einer knappen Ressource an, die von der Politik „bewirtschaftet“ und verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in unterschiedlichem Maße gewährt werde.
Während es in der Pandemie darum ging, welche Personengruppen oder Branchen wie starken Kontaktbeschränkungen unterlagen, so stelle sich hier die Frage nach der Verteilung von Energieverbrauchs- und Emissionsbudgets, erklärt Volkmann.

Wenn Gerichte in die Politik hineinregieren

Aus philosophischer Perspektive betrachte er diese Umdeutung unseres Freiheitsverständnisses mit einer gewissen Sorge: „Es kann durchaus Nachteile haben, wenn wir Freiheit von einer natürlichen Grundausstattung des Menschen – also etwas, das der Mensch von sich aus mitbringt – zum Gegenstand einer solchen Bewirtschaftung, Zuteilung oder auch Gewährung machen.“
Was ist überhaupt davon zu halten, wenn ein Gericht Gesetze kippt, die eine demokratisch gewählte Regierung erlassen hat? In den USA werde ein derartiges Hineinregieren des Supreme Courts in politische Entscheidungen zunehmend kritisch gesehen, so der Rechtsphilosoph.
In Deutschland dagegen genieße das Bundesverfassungsgericht so hohe Vertrauenswerte wie kaum eine andere Institution. Nur der Bundespräsident komme in entsprechenden Umfragen ebenfalls regelmäßig auf um die 80 Prozent.

Paradoxes Verhältnis zur Justiz

Seine enorme Autorität werde dem Gericht gerade zugesprochen, weil es mit einem „Nimbus des Unpolitischen“ auftrete. „Viele Gerichtspräsidenten der letzten Zeit haben immer gesagt: Wir wenden nur das Recht an, nichts sonst, wir können also gar nichts dazu, was aus der Verfassungsinterpretation herauskommt, es ist die Verfassung, die dies alles bestimmt“, erinnert sich Volkmann.
Dem demokratischen Prozess sei diese Inszenierung einer angeblich völlig apolitischen Justiz nicht unbedingt zuträglich: „Das bedient auch einen antipolitischen Reflex, der in unserer Bevölkerung ohnehin vorhanden ist.“
Mit Blick auf die Klimaschutzbewegung beobachtet Volkmann ein merkwürdiges Paradox: In jüngster Zeit zeige sich, dass ihre Mitglieder ebenso entschieden auf die Macht der Gerichte setzen wie auf das Prinzip zivilen Ungehorsams. Während die Umweltschützer der Initiative "Letzte Generation" mit Autobahnblockaden in Deutschland für Aufsehen sorgten, erreichten niederländische Umweltschützer im Mai 2021 vor Gericht, dass der Shell-Konzern seine CO2-Emissionen drastisch reduzieren muss.

Hoffnung auf die Avantgarde

Klimaschützer könnten vor Gericht also durchaus Erfolge erzielen, sagt Volkmann. „Das Problem ist nur, dass sie es eigentlich nur in einem Teil der Welt tun können, in dem ohnehin eine gewisse Sensibilität für Klima-Belange besteht.“
In China zum Beispiel, dem weltweit größten Verursacher von CO2-Emissionen, sei die Aussicht, die Regierung vor Gericht auf einen klimafreundlicheren Kurs zu zwingen gegen die Regierung „vollkommen ausgeschlossen“.
Was einem Land wie Deutschland, dessen Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß gerade mal bei zwei Prozent liege, dennoch bleibe, sei die Hoffnung, dass von der Vorreiterrolle einer entschlossenen Klimapolitik eine Signalwirkung ausgehe, die auch andere mitzieht. Außerdem könnten sich schließlich auch viele kleine Beiträge zu einem Ausgleich der Gesamtbelastung aufsummieren.
(fka)

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