Ein Herz für Halme

Rasenprofessor gesucht

Wer hat hier zugetreten? Zwei Stücke Rasen liegen auf dem Spielfeld.
Beim Fußball wird dem Rasen große Aufmerksamkeit geschenkt - in der Wissenschaft eher weniger. © picture alliance / dpa
Von Almuth Knigge · 13.06.2016
Der Rasen ist das Stiefkind der deutschen Landschaftspflege - nur wenn er kränkelt, fällt das jedem auf. Damit die Halme ihr volles Potenzial entfalten können, hat die Deutsche Rasengesellschaft eine Professur an der Hochschule Osnabrück gestiftet. Anforderungen gibt es einige.
Welch ein Glück: Dr. Rasen hilft beim Rasenmähen.
"Mein Name ist Harald Nonn, ich bin 59 Jahre alt, arbeite seit über 30 Jahren im Rasenbusiness und bin seit letztem Jahr Vorsitzender der Deutschen Rasengesellschaft."
Eigentlich ist Dr. Rasen also Dr. Nonn, seine E-Mails unterschreibt er gerne mal mit Dr. No - und er ist diplomierter und promovierter Agraringenieur. Wir stehen zusammen am Rande einer typischen Einfamilienhaussiedlung einer deutschen Kleinstadt am Niederrhein. Es ist Samstagnachmittag, im Hintergrund das monotone Rauschen des Einhell BG-EM 1030, des Golf unter den bundesdeutschen Rasenmähern. Das Gras steht schon 15 Zentimeter hoch, und die Nachbarn rümpfen die Nasen.
"Also, zuerst stellt sich die Frage, sind die Gänseblümchen und der Löwenzahn und der Klee oder, was immer da im Rasen wächst, wirklich ein Problem?"

"Ein Herz für Rasen"

Für unseren Nachbarn schon, denn der robbt nach dem wöchentlichen Halme-Stutzen immer mit der Nagelschere am Kantstein entlang und trimmt das Grün auf einheitliche Länge: drei Millimeter. Wirklich. Mit 80. Dr. No findet das glücklicherweise überflüssig - er plädiert vielmehr für eine entspannte Haltung zum Kraut. Viel wichtiger ist es, dem Grünland wieder mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit zu widmen. Und dafür hat die Deutsche Rasengesellschaft mit Sitz in Bonn eine Stiftungsprofessur. Der Professor muss nur noch gefunden werden.
"Er muss das Herz für den Rasen haben, er muss eine wissenschaftliche Ausbildung haben, idealerweise im Bereich Agrarwissenschaft, Forstwirtschaft, Gartenbau. Und vor allen Dingen muss er ein Engagement mitbringen, um diese Stiftungsprofessur im Sinne der Stifter mit Leben zu füllen, Studierende begeistern können."
Damit die Grünfläche an sich endlich aus dem stiefmütterlichen Dasein in Wissenschaft und Wahrnehmung heraustreten kann. Denn: Wer weiß schon die Anmut dieser Pflanze zu würdigen? Man tritt sie mit Füßen, das verzeiht sie einem meist. Und bedankt sich nach dem Mähen mit einem stimulierenden Geruch. Doch der Rasen kann noch so viel mehr.

"Grün beruhigt das Gemüt"

"Rasenflächen kühlen die Umgebungsluft schon sehr ab. Das merkt man, wenn man sich an einem heißen Sommertag in einer Grünfläche bewegt."
Es geht um Narbendichte, Blattfeinheit und Fäulnisresistenz.
"Wir haben Rasenflächen in der freien Landschaft, wenn es um Landschaftsrasen geht, dort erfüllt er eine wichtige Funktion im Hinblick auf Erosionsschutz."
Und welcher Rasen hält dem Klimawandel am besten Stand? Es geht also um Bodenbedeckung und Steifigkeit - und natürlich um die Farbe.
"Die grüne Farbe ist für das menschliche Auge vom sichtbaren Spektrum genau in der Mitte. Das heißt, es ist eine sehr angenehme Farbe und Grün beruhigt auch das Gemüt. Die Pflanze selbst erzeugt, wie jede grüne Pflanze, Sauerstoff und es gibt eine wissenschaftliche Untersuchung aus Amerika, dass eine 200 Quadratmeter große Rasenfläche den Sauerstoffbedarf einer vierköpfigen Familie deckt."

Rasenforschung - in Amerika eine ernste Sache

Mittelfrischgrün ist in Deutschland beispielsweise die beliebteste Rasenfarbe. Der Amerikaner hingegen kauft viel lieber blaugrünes Saatgut. Amerika ist im Moment sowieso das wichtigste Rasenland der Erde. "Turf Science" ist dort eine ernste Sache. Ein halbes Dutzend Universitäten bieten dort Studiengänge zur Rasenforschung an. Die amerikanische Rasenindustrie macht jährlich schätzungsweise 40 Milliarden Dollar Umsatz.
In Deutschland ist noch sehr viel Luft nach oben. Auch deshalb muss mehr geforscht werden, sagt Dr. No. Man darf und kann die Forschungsergebnisse nicht einfach übernehmen.
"Man muss diese Forschungsergebnisse auch immer im Kontext der Rahmenbedingungen sehen. In den USA haben Sie ganz andere Möglichkeiten der Rasenpflege noch. Dort sind viele Dinge noch möglich, auch in Sachen Pflanzenschutz."

Darf man Rasen mit Farbe ansprühen?

Dort dürfen Herbizide und Fungizide noch hemmungslos versprüht werden.
"Da müssen wir uns andere Dinge überlegen und empfehlen, um entsprechend die Endverbraucher beraten zu können."
Aber die Amerikaner sprühen ja auch ihren Rasen grün an, in Kalifornien zum Beispiel, während der langen Dürreperioden. Erschreckenderweise ekelt sich Deutschlands oberster Rasen-Versteher gar nicht vor dieser barbarischen Vorstellung, Rasen mit Farbe zu Leibe zu rücken, im Gegenteil.
"Ich sag mal so: Das kann man machen. Und wir sind ja unter uns, hätte ich beinahe gesagt, im Vertrauen: Grüne Farbe, um gewisse Schäden für bestimmte Events mal zu kaschieren, ist auch hier durchaus möglich. Da geht es eben um Ressourcen, und wenn eine Ressource - zum Beispiel Trinkwasser - knapp wird, wenn die Bevölkerung unter Wassermangel leidet, dann finde ich schon, dann muss man beim Rasenbewässern mal ein Stück zurücktreten und muss sagen: Hier gibt es wichtigere Dinge."
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