Ein guter, aber kein großer Maler

Von Ulrike Gondorf · 27.01.2013
Seit 35 Jahren hat in Deutschland keine große Ausstellung des Landschaftsmalers Otto Modersohn mehr stattgefunden, der zum legendären Künstlerkreis aus Worpswede gehörte. Das Osthaus-Museum in Hagen präsentiert jetzt unter dem Titel "Landschaften der Stille" eine große Überblicksschau, die etwa 250 Werke umfasst.
Der Hagener Museumsdirektor Tayfun Belgin zitiert aus einem Brief, den Otto Modersohn von seiner Frau Paula erhalten hat. Paula Modersohn-Becker, die nur 31 Jahre alt geworden ist und davon neun mit Modersohn und überwiegend in dem norddeutschen Künstlerdorf Worpswede verbracht hat. Heute überstrahlt ihr Ruhm den seinen bei weitem. Und gerade das Merkwürdige sorgt dafür: ihre extreme künstlerische Subjektivität, die die Gegenstände und Menschen im Bild flächig abstrahiert und manchmal mit dem Mut zur Hässlichkeit auf den Punkt bringt. Eine kleine, aber feine Sonderausstellung im Hagener Osthaus-Museum zeigt Bilder von ihr als Ergänzung zur großen Modersohn-Ausstellung. Und man sieht: Paulas Aufruf fand bei ihm keinen Widerhall.

"Das hätte Otto nie gemacht, aus Respekt schon nicht. Sie war in diesem Sinne respektlos, aber auch merkwürdig."

"Landschaften der Stille" heißt die große Überblicksschau. Und das charakterisiert treffend die Wirkung der Bilder. Und den ruhigen, fast meditativen Ansatz des Künstlers, der sich in die Natur versenkte, nach den Aussagen seiner Freunde jeden Vogel und jedes Wiesenkraut kannte, jeden Tag draußen war und in einem langen Malerleben so gut wie kein anderes Thema aufgegriffen hat als die ihn umgebende Landschaft. Dabei war er kein naiver Naturalist, der sich in akribischer Detail-Wiedergabe verlor. Er hatte die Bildideen der Moderne am Ende des 19. Jahrhunderts studiert, wusste Räumlichkeit durch Farbwirkung, Struktur durch Pinselarbeit zu erzielen und in der Vereinfachung des Motivs die Konzentration auf das Wesentliche zu erreichen.

"Der Kern seiner Kunst ist auf eine einfache Formel zu bringen: Das Ding an sich in Stimmung. Das ist sein Motto gewesen. --- Das heißt, wenn ich eine Landschaft sehe, diese Landschaft in Stimmung zu bringen. Aber nicht fotografisch abmalen, sondern das Innere der Landschaft entdecken, das Wesen entdecken und mit malerischen Mitteln herausarbeiten in einer Stimmung; melancholisch kann sie sein, sie kann heiter sein, Winter, Frühling sein, das ist sein Motto, und da hat er fast seriell gearbeitet, es war an jedem Tag die Begeisterung für Landschaft da, er ist ein Landschaftsmaler, der Kern seiner Malerei ist Landschaft."

Ein kleiner Flirt mit dem Symbolismus um 1900, als er Märchenthemen mit nächtlichen Geisterreigen auf mondbeschienen Lichtungen aufgreift, seine Palette ein wenig pastellfarbener wird – das ist auch schon der markanteste Ausbruch, den Otto Modersohn unternimmt. Wie sich diese ungewöhnlich stetige, fast monomanische künstlerische Entwicklung vollzog, kann man in der großzügigen und übersichtlichen Hagener Ausstellung nachvollziehen, die einen kompletten Überblick über das Werk verschafft: Es beginnt mit den tastenden Versuche des Düsseldorfer Akademiestudenten, der die Felder, Alleen und Kirchtürme seiner westfälischen Heimat einfängt. Dann der große kreative Schub, der von der Entdeckung der Landschaft um Worpswede ausgeht, die ihm weit und frei wie das Meer erscheint. 1889 kommt er zum ersten Mal hin, lässt sich bald dort nieder, arbeitet für einige Jahre gemeinsam in einer Künstlervereinigung mit Freunden.

"Nachdem er anfangs seiner Studienzeit Rembrandt mochte und den deutschen Naturalismus geschätzt hat, hat er versucht, sich davon freizumachen, breitflächiger zu arbeiten, von der braunen Ateliersoße, diesen Überschuss von braun und grün in seiner Tonalität, aufzuheben. Er sieht auf einmal einen anderen Himmel, blau wird wichtig, und er zeigt Situationen, in denen Licht plötzlich aufblitzt in der Landschaft. Wir haben hier Landschaften, aus denen Licht herausströmt, das war für ihn neu, und das war ein Erlebnis, da hat er weitergemacht."

Seine Malweise wird freier und lockerer, die Erfassung des Motivs sicherer, wovon auch die faszinierenden Zeichnungen und Studienblätter zeugen, die ebenfalls im Osthaus-Museum zu sehen sind. Die Revolution der Farbe aber, die van Gogh, dann die Brücke-Maler um diese Zeit in der Kunst anzetteln, die geht an Otto Modersohn vorbei. Er bleibt bei seinen erdigen, manchmal leicht silbrig übertönten Farben, die er mit Vorliebe an getrockneten Blättern studiert haben soll. Über die folgenden vier Jahrzehnte seines malerischen Schaffens sind dann keine signifikanten Veränderungen seiner künstlerischen Mittel mehr auszumachen. Die Malerei scheint bis zu Selbstverleugnung demütig hinter dem Inhalt der Bilder, dem "Ding an sich in Stimmung" zurückzutreten. In der Hagener Ausstellung erlebt man auch diese Begrenzung, die verständlich macht, warum man heute in Otto Modersohn einen guten, aber keinen großen Maler sieht.
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