"Ein geschichtsloser, politikfreier Raum"

Von Sylke Tempel · 21.08.2011
Dafur steht für als trauriges Sinnbild für einen Völkermord im Sudan. Der Autor Mahood Mamdani des Sachbuchs klagt an und zwar die Nichtregierungsorganisation "Save Dafur" für ihre fehlgesteuerte Kampagne.
Der Völkermord in Darfur ist die unbeachtete Katastrophe des 21. Jahrhunderts - jedenfalls in Europa. In den USA hingegen setzt sich seit Jahren eine Koalition Engagierter und Prominenter dafür ein, dem Morden in der sudanesischen Provinz endlich Einhalt zu gebieten. Schauspieler George Clooney reiste 2006 nach Darfur, um auf den massenhaften Mord an Zivilisten aufmerksam zu machen. Oprah Winfrey, Einschaltquoten-Königin des US-Fernsehens, widmete sich mehrfach dem Thema. Und schon im Oktober 2004 hatte der amerikanische Kongress in einer Erklärung klar festgestellt, dass vor unser aller Augen ein Völkermord stattfinde.
Ist Darfur wirklich die unbeachtete Katastrophe des 21. Jahrhunderts und findet dort wirklich ein Völlermord statt? Oder ist Darfur nur einer von vielen Konflikten - darunter sehr viel schlimmeren, wie der Bürgerkrieg im Kongo, der jährlich hunderttausende Opfer fordert? Erfährt Darfur womöglich eine Aufmerksamkeit, die diesem Konflikt gar nicht gebührt, ja womöglich einer Lösung im Wege steht?

Ist der Gewissenswurm erst geweckt, dann sind dies Fragen, die kaum jemand zu äußern wagt. Mahmood Mamdani, in Indien geboren, in Afrika aufgewachsen und vom amerikanischen Magazin "Foreign Policy" zu einem der hundert wichtigsten Intellektuellen unserer Zeit gekürt, stellt sie trotzdem. Das Übel Darfur sei auf viele Ursachen zurück zu führen, schreibt er in seinem nun in deutscher Übersetzung erschienenen Buch "Blinde Retter": Auf eine verpasste Landreform, auf ausdauernde Dürre, einen Aufstand der Habenichtse gegen Landbesitzer, den die Zentralregierung in Karthum in den Jahren 2003 und 2004 tatsächlich brutal niederschlagen ließ. Ein Völkermord aber, eine gezielt gesteuerte Mordkampagne also gegen die Angehörigen einer bestimmten Ethnie oder Religion, finde in Darfur nicht statt. Was auch die Vereinten Nationen im Oktober 2004 feststellten:

Die vom UN-Sicherheitsrat eingerichtete Internationale Untersuchungskommission wählte ihre Worte mit Bedacht. Hätte sie die gegen Zivilisten gerichtete Gewalt als "Völkermord bezeichnet, wäre eine Intervention zu dessen Beendigung nicht nur berechtigt, sondern Pflicht gewesen.

Nicht um ein moralisches Gebot ginge es also, so Mamdanis These. Man erklärt den seiner Ansicht nach schon abgeklungenen Konflikt zum Völkermord, um eine Intervention im Sudan zu legitimieren. Denn es stünden - natürlich, was sonst - Ölinteressen auf dem Spiel. Zudem neige die amerikanische Gesellschaft dazu, mit zweierlei Maß zu messen:

Die Reaktion der US-Amerikaner fällt beim Thema Irak sehr viel politischer aus als beim Thema Darfur. In deren Vorstellung ist der Irak ein unübersichtliches Land mit unübersichtlicher Politik. Darfur hingegen wirkt auf sie alles andere als unübersichtlich. Für sie ist Darfur ein geschichtsloser, politikfreier Raum, in dem Täter, die zweifelsfrei als "Araber" zu identifizieren sind, auf Opfer losgehen, die zweifelsfrei als "Afrikaner" zu identifizieren sind.

Nun mag man ja zugestehen, dass die Komplexität der meisten Konflikte in weit entfernten Weltregionen schwer zu durchschauen ist. Und dass jedes öffentliche Engagement eine gewisse Vereinfachung der Botschaft benötigt. Für Mamdani zählt ein solches Argument nicht. Er macht ganz klar einen Schuldigen aus für eine seiner Meinung nach fehl gesteuerte Kampagne - nämlich die Nichtregierungsorganisation "Save Darfur", die sich Ende 2004 formierte.

Save Darfur" wurde immer mehr zu einem herausragenden Teil der politischen Landschaft der USA - insbesondere des Krieges gegen den Terror. Der Erfolg der Kampagne hing auch entscheidend davon ab, ob es gelang, den Menschen die "Save Darfur" Botschaft derart einzuimpfen, dass sie zumindest eine zeitlang für die Wahrheit unempfänglich blieben.

Und wo hat diese Organisation ihre Ursprünge? Na klar, in Washington, allerdings nicht im Weißen Haus oder im Kongress:

Die Ereignisse, die zur Verlautbarung des US-Kongresses führten, dass ein Völkermord in Darfur stattfände, nahmen mit einer Erklärung des Direktoriums des United States Holocaust Museum ihren Lauf. Wohlgemerkt: Im allerersten Alarmaufruf des Museums ging es nicht um Ruanda, sondern um Darfur.

Das ist absurd. Nicht nur unterschätzt Mamdani die Komplexität einer offenen Gesellschaft, in der nie ganz einwandfrei zu klären ist, was genau die Lawine eines öffentlichen Engagements ins Rollen gebracht hat. Auch ist es unlauter, dem Holocaust Museum mangelndes Engagement zu Ruanda vorzuwerfen. Der Völkermord an den Tutsi begann im April 1994. Das Holocaust-Museum war erst ein Jahr zuvor eröffnet worden. Allzu viel öffentliches Engagement war da noch nicht zu erwarten.

Und das ist die große Crux mit Mamdanis Buch: Er glaubt gar nicht, wie der Titel insinuiert, an so etwas wie "Blindheit", die ja keiner Absicht geschuldet sein muss. Faktoren wie "Irrtum" gibt es in seiner Gedankenwelt nicht. Wo vielleicht eher menschliche Schwächen zu finden wären wie Überengagement, ja vielleicht auch moralische Hybris, da sieht Mamdani nur kalte Absicht.

Mamdanis Buch ist durchaus als Streitschrift zu sehen. Er will dem Leser verständlich machen, dass es zunächst gilt, die Ursachen eines Konfliktes genau zu verstehen. Dass politische Lösungen gefunden werden müssen und dass eine Intervention sehr häufig ein viel zu grobes Mittel ist. Er stellt mehr als berechtigte Fragen und verfügt ohne Zweifel über eine beeindruckende Kenntnis der Region. Aber in seinem Furor, Schuldige zu finden, macht er sich genau des Vergehens schuldig, das er der "Save Darfur"-Kampagne vorwirft. Er vereinfacht über ein intellektuell akzeptables Maß hinaus. Was aber schwerer gegen seine These wiegt: Bislang hat sich jede US-Regierung geweigert, militärisch in Darfur einzugreifen.

Mahmood Mamdani: Blinde Retter. Über Darfur, Geopolitik und
den Krieg gegen den Terror, Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg, Hamburg 2011
Cover: "Blinde Retter. Über Darfur, Geopolitik und den Krieg gegen den Terror" von Mahmood Mamdani
Cover: "Blinde Retter. Über Darfur, Geopolitik und den Krieg gegen den Terror" von Mahmood Mamdani© Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg