Ein Gangster im Durcheinander der Vier-Zonen-Stadt
Die Geschichte eines jugendlichen Gangsters im Berlin der 40er Jahre hat das Maxim Gorki Theater zu einer etwas flachen Robin-Hood-Geschichte umgedeutet. Ganz unbeabsichtigt entstand dabei die Berlin-Version eines Gaunerstücks, das vor allem dem der dänischen Olsen-Bande gleicht.
Kurz vor dem Abschied vom Maxim-Gorki-Theater in Berlin hat - nach vielen Vorläufern - auch Armin Petras ein Stück über die Gladow-Bande geschrieben, den Berliner Mythos aus allerfrühester Nachkriegszeit.
Dessen zentrale Figur ist nun allerdings eine wahrhaftiger Zeitzeuge – "Sohni" nämlich lebt noch. Der war ein Teen in der Zonenfrontstadt Berlin, vor allem wohl ein recht begabter Boxer - im gleichen Club ausgebildet wie Gustav Bubi Scholz -, dann aber auch mal für kleinere Gaunereien im Knast. Dort hat er einen jungen Schwarzmarkt-Dealer kennen gelernt und, sobald sie beide wieder draußen waren, mit ihm eine Bande gegründet.
"Gladow-Bande", das Stück von Armin Petras, basiert auf vielerlei Recherchen; vor allem aber auf der Erinnerung des heute 82jährigen Boxers Werner "Sohni" Papke.
Kein Verbrecher aus deutschen Landen hat wohl so vielen bedeutenden Schriftstellern postum Modell gestanden wie Werner Gladow, geboren 1931, hingerichtet mit nicht mal 20 Jahren nach einer beispiellosen Gangster-Karriere im Berlin der allerersten Nachkriegsjahre. Dessen Fall stand immer ganz oben auf der Themenwunschliste von Heiner Müller, Erich Loest schrieb mit "Die Westmark fällt" kurz nach Gladows Tod einen Krimi um den jungen Anti-Helden, der Berliner Kollege Klaus Schlesinger folgte Mitte der 90er Jahre und schrieb über "Die Sache mit Randow"; und hinter der Hauptfigur war unüberlesbar Gladow versteckt. Vor allem aber erzählt Thomas Brasch im 1980 gedrehten Film "Engel aus Eisen" vom jugendlichen Bandenchef aus dem Friedrichshain.
Petras erzählt mit der Story der Bande auch eine Art Familiengeschichte. Freundschaft, vielleicht ja Liebe auf den ersten Blick, muss an deren Beginn gestanden haben, zwischen Boxer "Sohni" und diesem gleichaltrigen Jungen, der auf Fotos von damals seinerseits wie ein Bubi aussieht: Werner Gladow.
Ein hübscher Kerl, freches Grinsen im Gesicht (ein bisschen wie der junge Leander Haußmann) - als Hitlerjunge gehörte Gladow noch zu Hitlers letztem Aufgebot (konnte also schießen), und auf dem Schwarzmarkt hatte er sich zum "Kippenkönig vom Alexanderplatz" empor-schlawinert. Mitten im Trümmerfeld Berlin lebt der Teen bei den Eltern, im zerbombten Friedrichshain – und wird zum Ober-Gangster seiner Zeit.
In Erinnerung blieb die Geschichte einer jugendlichen Gangsterbande ja weniger der Fakten, als vielmehr der Atmosphäre wegen; "in den Ruinen von Berlin", wie Marlene Dietrich in der Inszenierung mit Friedrich Holländer singt, bricht knapp zwei Jahre lang das Gladow-Fieber los; die Jungs überfallen Leute und Läden, tragen bald weiße Krawatten und müssen die nur vorzeigen, damit der Geschäftsinhaber die Kasse für sie leert. Gladow selber hat ein großes, gefährliches Vorbild: den Ober-Mafioso Al Capone. Berlin soll sein, also Gladows, Chicago werden.
Die Bande, für die Bühne jetzt fünf Köpfe stark, in Wirklichkeit mindestens doppelt so groß, nutzt aber auch das polizeilich-politische Durcheinander in der Vier-Zonen-Stadt; Waffen besorgen Gladow, Sohni und Co. sich vorzugsweise bei den Polizisten, die an den Zonen-übergängen Wache schieben. Und sogar ein Volkspolizist mischt mit; im Original, nicht bei Petras.
Und hinter allem wühlt eine wirklich abstruse Figur – Gustav Voelpel, der Henker von Berlin, der maschinell im Westen und mit dem Handbeil im Osten hinrichtet.
Aber die Jobs nehmen ab, schon soll in der Sowjetunion demnächst niemand mehr exekutiert werden. Voelpel ahnt, dass sein Verdienst sich bald in Luft auflösen wird, verdingt sich als kleiner Angestellter bei der Polizei – und versorgt Gladows Bande mit Tipps.
Petras macht diesen Voelpel gar zum Gewinner der Geschichte – denn während alle (bis auf eben Sohni, der mit 15 Jahren davon kommt) Höchststrafen erhalten (und der Henker dreimal ansetzen muss, bis Gladows Kopf fällt!), wird der Henker bei Petras Show-Impresario für die italienische Freundin des Gladow-Kumpels Gäbler, eine Sängerin.
Tatsächlich ist das nun wirklich ganz frei erfunden; auch Voelpel landet real im Knast und stirbt 1957 völlig verarmt. Die wirkliche Geschichte haben die Berliner Autoren Annett Gröschner und Grischa Meyer vor über zehn Jahren in einem Sonderheft von "Theater der Zeit" dokumentiert; zu Ehren von Heiner Müller und im Vorfeld eines Gladow-Stück mit dem Obdachlosentheater "Ratten 07" und dem Knast-Theaterprojekt "AufBruch". All das war weit interessanter als die Petras-Revue jetzt.
Denn mehr als eine kleine Gangster-Revue ist jetzt nicht zustande gekommen; ein bisschen blauäugig folgt sie Gladows etwas platt marxistischen Erläuterungen über die "gesellschaftliche Umverteilung", unhinter-fragt darf er sich als Berliner Robin Hood gerieren.
Ziemlich oberflächlich treibt das Stück dahin. Das mag auch daran liegen, dass Petras die Inszenierung dem Hausregisseur Jan Bosse überließ. Und der zaubert zwar sehr heiter und verspielt eine gehörige Menge von Theatertricks aus dem Hut (und fordert damit alle Abteilungen des kleinen Gorki-Hauses mächtig heraus) und sucht auch beharrlich, wenn auch häufig erfloglos, nach sinnfälligen Momenten und Details in den Geschichten der Banden-Mitglieder.
Bosse kann sich bei all dem vor allem auf das extrem spielfreudige Ensemble um den wirklich mitreißenden Entertainer Milan Peschel verlassen – aber ob er wirklich auf eine Art Kriminal-Reportage aus war oder doch nur auf eine 50er-Jahre- und Berlin-Version der dänischen Olsen-Bande, das wird niemand wirklich sagen können.
Nur dieser "Sohni" bleibt im Gedächtnis. Und seine auch 64 Jahre danach noch lebendige Freundschaft mit einem Toten.
Links auf dradio.de:
Ein Mythos aus allerfrühester Nachkriegszeit
Kleine Gangsterrevue über den Al Capone Berlins - Jan Bosse inszeniert "Gladow-Bande" von Fritz Kater am Maxim Gorki Theater (DLF)
Dessen zentrale Figur ist nun allerdings eine wahrhaftiger Zeitzeuge – "Sohni" nämlich lebt noch. Der war ein Teen in der Zonenfrontstadt Berlin, vor allem wohl ein recht begabter Boxer - im gleichen Club ausgebildet wie Gustav Bubi Scholz -, dann aber auch mal für kleinere Gaunereien im Knast. Dort hat er einen jungen Schwarzmarkt-Dealer kennen gelernt und, sobald sie beide wieder draußen waren, mit ihm eine Bande gegründet.
"Gladow-Bande", das Stück von Armin Petras, basiert auf vielerlei Recherchen; vor allem aber auf der Erinnerung des heute 82jährigen Boxers Werner "Sohni" Papke.
Kein Verbrecher aus deutschen Landen hat wohl so vielen bedeutenden Schriftstellern postum Modell gestanden wie Werner Gladow, geboren 1931, hingerichtet mit nicht mal 20 Jahren nach einer beispiellosen Gangster-Karriere im Berlin der allerersten Nachkriegsjahre. Dessen Fall stand immer ganz oben auf der Themenwunschliste von Heiner Müller, Erich Loest schrieb mit "Die Westmark fällt" kurz nach Gladows Tod einen Krimi um den jungen Anti-Helden, der Berliner Kollege Klaus Schlesinger folgte Mitte der 90er Jahre und schrieb über "Die Sache mit Randow"; und hinter der Hauptfigur war unüberlesbar Gladow versteckt. Vor allem aber erzählt Thomas Brasch im 1980 gedrehten Film "Engel aus Eisen" vom jugendlichen Bandenchef aus dem Friedrichshain.
Petras erzählt mit der Story der Bande auch eine Art Familiengeschichte. Freundschaft, vielleicht ja Liebe auf den ersten Blick, muss an deren Beginn gestanden haben, zwischen Boxer "Sohni" und diesem gleichaltrigen Jungen, der auf Fotos von damals seinerseits wie ein Bubi aussieht: Werner Gladow.
Ein hübscher Kerl, freches Grinsen im Gesicht (ein bisschen wie der junge Leander Haußmann) - als Hitlerjunge gehörte Gladow noch zu Hitlers letztem Aufgebot (konnte also schießen), und auf dem Schwarzmarkt hatte er sich zum "Kippenkönig vom Alexanderplatz" empor-schlawinert. Mitten im Trümmerfeld Berlin lebt der Teen bei den Eltern, im zerbombten Friedrichshain – und wird zum Ober-Gangster seiner Zeit.
In Erinnerung blieb die Geschichte einer jugendlichen Gangsterbande ja weniger der Fakten, als vielmehr der Atmosphäre wegen; "in den Ruinen von Berlin", wie Marlene Dietrich in der Inszenierung mit Friedrich Holländer singt, bricht knapp zwei Jahre lang das Gladow-Fieber los; die Jungs überfallen Leute und Läden, tragen bald weiße Krawatten und müssen die nur vorzeigen, damit der Geschäftsinhaber die Kasse für sie leert. Gladow selber hat ein großes, gefährliches Vorbild: den Ober-Mafioso Al Capone. Berlin soll sein, also Gladows, Chicago werden.
Die Bande, für die Bühne jetzt fünf Köpfe stark, in Wirklichkeit mindestens doppelt so groß, nutzt aber auch das polizeilich-politische Durcheinander in der Vier-Zonen-Stadt; Waffen besorgen Gladow, Sohni und Co. sich vorzugsweise bei den Polizisten, die an den Zonen-übergängen Wache schieben. Und sogar ein Volkspolizist mischt mit; im Original, nicht bei Petras.
Und hinter allem wühlt eine wirklich abstruse Figur – Gustav Voelpel, der Henker von Berlin, der maschinell im Westen und mit dem Handbeil im Osten hinrichtet.
Aber die Jobs nehmen ab, schon soll in der Sowjetunion demnächst niemand mehr exekutiert werden. Voelpel ahnt, dass sein Verdienst sich bald in Luft auflösen wird, verdingt sich als kleiner Angestellter bei der Polizei – und versorgt Gladows Bande mit Tipps.
Petras macht diesen Voelpel gar zum Gewinner der Geschichte – denn während alle (bis auf eben Sohni, der mit 15 Jahren davon kommt) Höchststrafen erhalten (und der Henker dreimal ansetzen muss, bis Gladows Kopf fällt!), wird der Henker bei Petras Show-Impresario für die italienische Freundin des Gladow-Kumpels Gäbler, eine Sängerin.
Tatsächlich ist das nun wirklich ganz frei erfunden; auch Voelpel landet real im Knast und stirbt 1957 völlig verarmt. Die wirkliche Geschichte haben die Berliner Autoren Annett Gröschner und Grischa Meyer vor über zehn Jahren in einem Sonderheft von "Theater der Zeit" dokumentiert; zu Ehren von Heiner Müller und im Vorfeld eines Gladow-Stück mit dem Obdachlosentheater "Ratten 07" und dem Knast-Theaterprojekt "AufBruch". All das war weit interessanter als die Petras-Revue jetzt.
Denn mehr als eine kleine Gangster-Revue ist jetzt nicht zustande gekommen; ein bisschen blauäugig folgt sie Gladows etwas platt marxistischen Erläuterungen über die "gesellschaftliche Umverteilung", unhinter-fragt darf er sich als Berliner Robin Hood gerieren.
Ziemlich oberflächlich treibt das Stück dahin. Das mag auch daran liegen, dass Petras die Inszenierung dem Hausregisseur Jan Bosse überließ. Und der zaubert zwar sehr heiter und verspielt eine gehörige Menge von Theatertricks aus dem Hut (und fordert damit alle Abteilungen des kleinen Gorki-Hauses mächtig heraus) und sucht auch beharrlich, wenn auch häufig erfloglos, nach sinnfälligen Momenten und Details in den Geschichten der Banden-Mitglieder.
Bosse kann sich bei all dem vor allem auf das extrem spielfreudige Ensemble um den wirklich mitreißenden Entertainer Milan Peschel verlassen – aber ob er wirklich auf eine Art Kriminal-Reportage aus war oder doch nur auf eine 50er-Jahre- und Berlin-Version der dänischen Olsen-Bande, das wird niemand wirklich sagen können.
Nur dieser "Sohni" bleibt im Gedächtnis. Und seine auch 64 Jahre danach noch lebendige Freundschaft mit einem Toten.
Links auf dradio.de:
Ein Mythos aus allerfrühester Nachkriegszeit
Kleine Gangsterrevue über den Al Capone Berlins - Jan Bosse inszeniert "Gladow-Bande" von Fritz Kater am Maxim Gorki Theater (DLF)