Ein Film gegen das Schweigen
Mit ihrem Film "Esmas Geheimnis" (Original "Grbavica") gewann die bosnische Filmemacherin Jasmila Zbanic auf der Berlinale 2006 den Goldenen Bären. Darin erzählt sie vom Schicksal einer Frau im heutigen Sarajevo, die während des Krieges nach einer Vergewaltigung ein Kind bekam. Die inzwischen 12-jährige Tochter möchte wissen, wer ihr Vater ist.
Aus dem Film:
" Was habe ich von meinem Papa?
Wie meinst du das?
Sehe ich ihm ähnlich?
Nein. Du siehst mir ähnlich.
Und von Papa habe ich nichts?
Von Papa? … Die Haare.
Wirklich?
Die gleiche Farbe. "
Gespräche wie dieses hat es schon oft zwischen Esma und ihrer Tochter Sara gegeben. Aber nie erfährt Sara etwas Konkretes. Denn Esma will Sara nicht erzählen, dass sie bei einer Vergewaltigung gezeugt wurde. So bleibt alles irgendwie bruchstückhaft. Fast so wie der Ort, an dem die beiden leben: Grbavica, ein Stadtteil von Sarajevo, in dem der Wiederaufbau nach den Jugoslawienkriegen der 90er Jahre nur schleppend vorankommt. Auch Esma schleppt sich irgendwie durchs Leben: Noch immer traumatisiert, besucht sie die Gruppentherapie in einem Frauenzentrum und hört den anderen Frauen zu.
Esma (im Film): " Manchmal träume ich von dieser Stimme. Ich sehe kein Gesicht, aber ich höre diese Stimme, die sagt: "Ihr habt fünf Minuten zu packen und dieses Haus zu verlassen." … Wände, Fenster, Türen, massives Holz. Mein Mann, Ismeth, hat alles ganz allein gebaut. So lange ich wach bin, kann ich das Haus nicht sehen. Ich kann mich auch nicht mehr an Ismeths Gesicht erinnern oder das meines Kindes."
Gerade diese Szenen, in denen die Kamera über die gezeichneten Frauengesichter wandert, wirken fast dokumentarisch und überzeugen in ihrer Einfachheit. Vielleicht auch deshalb, weil viele echte Opfer zu sehen sind. Esma selbst spricht dort nie über ihre Erlebnisse. Fast scheint es, als brauch sie die Gruppentherapie gar nicht.
Schließlich hat sie eine verständnisvolle Freundin, dazu einen Job in einem Nachtclub. Und trotz der Belastungen führt sie eine liebevolle Beziehung mit Sara. Obwohl die meisten betroffenen Frauen dazu nicht in der Lage sind, war letzteres für die Regisseurin Jasmila Zbanic besonders wichtig.
" Ich habe ganz bewusst einen starken Frauencharakter gewählt, der aus der Stadt kommt. Obwohl die Mehrzahl der vergewaltigten Frauen vom Land kam. Das war Teil einer Strategie. Es gab einen Kriegsplan, Frauen zu zerstören, die nicht viel Bildung haben und kaum Unterstützung durch ihre Familien haben würden. Moslemische Frauen, die glauben, dass Sex vor der Heirat eine Sünde sei. So dass ihr gesamtes Weltbild durch die Vergewaltigungen zerstört würde. Und die meisten von ihnen befinden sich sowohl psychisch als auch ökonomisch in schrecklichen Verhältnissen. Ich aber komme aus Sarajevo, habe andere Möglichkeiten und Glaubensgrundsätze. Mein Weltbild wäre nicht durch diese Frauen zum Ausdruck gekommen. Also brauchte ich eine Protagonistin, die trotz der Geschehnisse in der Lage ist zu lieben."
In dem Nachtclub lernt Esma zudem ihren Kollegen Pelda kennen, ein intelligenter, einfühlsamer Mann, mit dem sich eine Beziehung andeutet. Doch plötzlich steht Esma vor einer ganz anderen Herausforderung: Sara geht auf Klassenfahrt, und sie bekäme einen Preisnachlass, wenn ihre Mutter den Nachweis bringt, dass Saras Vater ein Kriegsheld war. Doch genau das kann Esma nicht.
Aus dem Film:
" Wo ist er gefallen?
Sara, gib mir die Pistole!
Wo ist er gefallen?
Gib mir die Pistole!
Ich will wissen, wo er gefallen ist?
An der Frontlinie.
Welcher Frontlinie?
An der vordersten.
Wo ist diese Linie?
Gib mir die Pistole!
Du weißt es nicht. Du hast mich angelogen. Seit ich auf der Welt bin, hast du nur gelogen. Ich will die Wahrheit hören, Mama! Ich will endlich die verdammte Wahrheit hören. Rede!
Du willst die Wahrheit hören, ja?"
In "Esmas Geheimnis" erzählt Jasmila Zbanic vom Schicksal einer Frau, das schätzungsweise 20.000 Frauen erleiden mussten. Doch der Film beruht nicht nur auf erschütternden Erlebnissen, sondern auch auf einem exzellenten Drehbuch, das aus der Feder der Filmemacherin selbst sowie von Barbara Albert stammt.
Geschickt werden dabei im Wesentlichen zwei Handlungsstränge miteinander verknüpft. Einerseits Saras Identitätssuche, ihr Erwachsenwerden, ihre erste Liebe. Alles Dinge, bei der auch die Beziehung zu ihrer Mutter eine Rolle spielt. Und andererseits Esmas Leben, das trotz der schrecklichen Vergangenheit und der herausfordernden Gegenwart eine bessere Zukunft andeutet. Wobei Esmas Geheimnis genau diese bessere Zukunft blockiert.
Mirjana Karanovic zeigt in der Rolle der Esma sehr überzeugend wie eine Frau viel Trauer in sich tragen kann und zugleich im Hier und Jetzt steht. Wenn man sieht, wie schwerfällig und leicht zur Seite geneigt sie über die Straße schreitet, dann ist das schon ein Portrait für sich. Und bei Luna Mijovic als Sara wechseln sich ganz sensible Momente mit emotionalen Explosionen ab, die markieren, wie wichtig es für das Mädchen ist, alles zu erfahren.
Ein kleiner großer Film, schnörkellos erzählt und mit viel Gefühl inszeniert. Der, wie Jasmila Zbanic berichtet, für Furore in Bosnien sorgte und für Tumulte in Serbien:
" Wir haben eine Menge Medienaufmerksamkeit in Kroatien, Slowenien und Bosnien erhalten. Aber nicht ein einziger Journalist aus Serbien wollte mit mir über den Film sprechen. (…) Denn meine Aufforderung während der Berlinale-Preisverleihung, die gesuchten Kriegsverbrecher endlich zu fangen, war zwar identisch mit dem, was auch der serbische Präsident sagte. Aber aus meinem Mund klang es wohl wie ein Angriff. Und deshalb wurde ich dann angeklagt, "religiösen und nationalen Hass zu verbreiten". Meine Schauspielerin, Mirjana Karanovic, die aus Belgrad kommt, erhielt Drohbriefe und wurde als Anti-Serbin beschimpft. Das war sehr herb. Und der Boykott des Films in Serbien und der Republik Srpska, also des Teils von Bosnien, wo die Mehrheit der Bevölkerung aus Serben besteht, sagt eine ganze Menge über den geistigen Zustand dieser Leute."
" Was habe ich von meinem Papa?
Wie meinst du das?
Sehe ich ihm ähnlich?
Nein. Du siehst mir ähnlich.
Und von Papa habe ich nichts?
Von Papa? … Die Haare.
Wirklich?
Die gleiche Farbe. "
Gespräche wie dieses hat es schon oft zwischen Esma und ihrer Tochter Sara gegeben. Aber nie erfährt Sara etwas Konkretes. Denn Esma will Sara nicht erzählen, dass sie bei einer Vergewaltigung gezeugt wurde. So bleibt alles irgendwie bruchstückhaft. Fast so wie der Ort, an dem die beiden leben: Grbavica, ein Stadtteil von Sarajevo, in dem der Wiederaufbau nach den Jugoslawienkriegen der 90er Jahre nur schleppend vorankommt. Auch Esma schleppt sich irgendwie durchs Leben: Noch immer traumatisiert, besucht sie die Gruppentherapie in einem Frauenzentrum und hört den anderen Frauen zu.
Esma (im Film): " Manchmal träume ich von dieser Stimme. Ich sehe kein Gesicht, aber ich höre diese Stimme, die sagt: "Ihr habt fünf Minuten zu packen und dieses Haus zu verlassen." … Wände, Fenster, Türen, massives Holz. Mein Mann, Ismeth, hat alles ganz allein gebaut. So lange ich wach bin, kann ich das Haus nicht sehen. Ich kann mich auch nicht mehr an Ismeths Gesicht erinnern oder das meines Kindes."
Gerade diese Szenen, in denen die Kamera über die gezeichneten Frauengesichter wandert, wirken fast dokumentarisch und überzeugen in ihrer Einfachheit. Vielleicht auch deshalb, weil viele echte Opfer zu sehen sind. Esma selbst spricht dort nie über ihre Erlebnisse. Fast scheint es, als brauch sie die Gruppentherapie gar nicht.
Schließlich hat sie eine verständnisvolle Freundin, dazu einen Job in einem Nachtclub. Und trotz der Belastungen führt sie eine liebevolle Beziehung mit Sara. Obwohl die meisten betroffenen Frauen dazu nicht in der Lage sind, war letzteres für die Regisseurin Jasmila Zbanic besonders wichtig.
" Ich habe ganz bewusst einen starken Frauencharakter gewählt, der aus der Stadt kommt. Obwohl die Mehrzahl der vergewaltigten Frauen vom Land kam. Das war Teil einer Strategie. Es gab einen Kriegsplan, Frauen zu zerstören, die nicht viel Bildung haben und kaum Unterstützung durch ihre Familien haben würden. Moslemische Frauen, die glauben, dass Sex vor der Heirat eine Sünde sei. So dass ihr gesamtes Weltbild durch die Vergewaltigungen zerstört würde. Und die meisten von ihnen befinden sich sowohl psychisch als auch ökonomisch in schrecklichen Verhältnissen. Ich aber komme aus Sarajevo, habe andere Möglichkeiten und Glaubensgrundsätze. Mein Weltbild wäre nicht durch diese Frauen zum Ausdruck gekommen. Also brauchte ich eine Protagonistin, die trotz der Geschehnisse in der Lage ist zu lieben."
In dem Nachtclub lernt Esma zudem ihren Kollegen Pelda kennen, ein intelligenter, einfühlsamer Mann, mit dem sich eine Beziehung andeutet. Doch plötzlich steht Esma vor einer ganz anderen Herausforderung: Sara geht auf Klassenfahrt, und sie bekäme einen Preisnachlass, wenn ihre Mutter den Nachweis bringt, dass Saras Vater ein Kriegsheld war. Doch genau das kann Esma nicht.
Aus dem Film:
" Wo ist er gefallen?
Sara, gib mir die Pistole!
Wo ist er gefallen?
Gib mir die Pistole!
Ich will wissen, wo er gefallen ist?
An der Frontlinie.
Welcher Frontlinie?
An der vordersten.
Wo ist diese Linie?
Gib mir die Pistole!
Du weißt es nicht. Du hast mich angelogen. Seit ich auf der Welt bin, hast du nur gelogen. Ich will die Wahrheit hören, Mama! Ich will endlich die verdammte Wahrheit hören. Rede!
Du willst die Wahrheit hören, ja?"
In "Esmas Geheimnis" erzählt Jasmila Zbanic vom Schicksal einer Frau, das schätzungsweise 20.000 Frauen erleiden mussten. Doch der Film beruht nicht nur auf erschütternden Erlebnissen, sondern auch auf einem exzellenten Drehbuch, das aus der Feder der Filmemacherin selbst sowie von Barbara Albert stammt.
Geschickt werden dabei im Wesentlichen zwei Handlungsstränge miteinander verknüpft. Einerseits Saras Identitätssuche, ihr Erwachsenwerden, ihre erste Liebe. Alles Dinge, bei der auch die Beziehung zu ihrer Mutter eine Rolle spielt. Und andererseits Esmas Leben, das trotz der schrecklichen Vergangenheit und der herausfordernden Gegenwart eine bessere Zukunft andeutet. Wobei Esmas Geheimnis genau diese bessere Zukunft blockiert.
Mirjana Karanovic zeigt in der Rolle der Esma sehr überzeugend wie eine Frau viel Trauer in sich tragen kann und zugleich im Hier und Jetzt steht. Wenn man sieht, wie schwerfällig und leicht zur Seite geneigt sie über die Straße schreitet, dann ist das schon ein Portrait für sich. Und bei Luna Mijovic als Sara wechseln sich ganz sensible Momente mit emotionalen Explosionen ab, die markieren, wie wichtig es für das Mädchen ist, alles zu erfahren.
Ein kleiner großer Film, schnörkellos erzählt und mit viel Gefühl inszeniert. Der, wie Jasmila Zbanic berichtet, für Furore in Bosnien sorgte und für Tumulte in Serbien:
" Wir haben eine Menge Medienaufmerksamkeit in Kroatien, Slowenien und Bosnien erhalten. Aber nicht ein einziger Journalist aus Serbien wollte mit mir über den Film sprechen. (…) Denn meine Aufforderung während der Berlinale-Preisverleihung, die gesuchten Kriegsverbrecher endlich zu fangen, war zwar identisch mit dem, was auch der serbische Präsident sagte. Aber aus meinem Mund klang es wohl wie ein Angriff. Und deshalb wurde ich dann angeklagt, "religiösen und nationalen Hass zu verbreiten". Meine Schauspielerin, Mirjana Karanovic, die aus Belgrad kommt, erhielt Drohbriefe und wurde als Anti-Serbin beschimpft. Das war sehr herb. Und der Boykott des Films in Serbien und der Republik Srpska, also des Teils von Bosnien, wo die Mehrheit der Bevölkerung aus Serben besteht, sagt eine ganze Menge über den geistigen Zustand dieser Leute."