Ein Feind der Weimarer Republik

Rezensiert von Jochen Staadt · 05.04.2009
Waldemar Pabst befehligte im Januar 1919 die Einheit, die Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht festnahm und ermordete. Aus dem Militaristen des Kaiserreiches war ein Feind der Weimarer Republik geworden, später ein Gefolgsmann der Nazis. Klaus Gietinger zeichnet in seinem Buch "Der Konterrevolutionär" die Verstrickungen Pabsts nach.
Die Geburtsstunde der Weimarer Republik war zugleich die Geburtsstunde jener politischen Strömungen auf der Rechten und Linken, die der Parlamentarischen Demokratie von Anfang an mit erbitterter Feindschaft begegneten. Auf den Putschversuch von Links – den sogenannten Spartakusaufstand im Januar 1919 – folgte zwei Jahre später im Februar 1920 der Putschversuch von Rechts – der sogenannte Kapp-Putsch. Beide Putschversuche richteten sich gegen sozialdemokratisch geführte Regierungen.

Im Herbst des Jahres 1923 planten sowohl die KPD wie auch die NSDAP unabhängig voneinander erneut bewaffnete Aufstände gegen die Weimarer Demokratie. Die KPD wollte mit Unterstützung sowjetischer Generalstabsoffiziere, die schon illegal ins Land gekommen waren, eine deutsche Oktoberrevolution anzetteln und die NSDAP die nationale Revolution. Die deutsche Oktoberrevolution brachte es 1923 unter Führung Ernst Thälmanns nur zum kläglich gescheiterten Hamburger Aufstand und die nationale Revolution unter Führung Adolf Hitlers zunächst nur zum ebenso kläglich gescheiterten Marsch auf die Münchner Feldherrnhalle. Das Ziel beider Aufstandsversuche war die Revision des fünf Jahre zuvor durch eine demokratische Revolution errungenen parlamentarischen Systems.

Klaus Gietinger befasst sich mit einer zentralen Figur des damaligen Geschehens. Waldemar Papst kommandierte im Januar 1919 jene Einheit der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, die Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht festnahm und ermordete. Gietinger interpretiert die Biographie von Waldemar Papst als exemplarisches Beispiel für eine "deutsche Karriere". Sein Weg vom Militaristen des Kaiserreiches zum Feind der Weimarer Republik, zum Gefolgsmann der Nazis und später zum Waffenhändler in westdeutschen Wirtschaftswunderzeiten lässt so gut wie nichts aus, was sich an historisch Negativem in einer deutschen Biographie des 20. Jahrhunderts zusammenballen könnte. Gietinger führt als Beleg dafür auch eine beeindruckende Namensliste der politischen Freunde und Wegbegleiter von Waldemar Papst an:

"Um nur die bekanntesten Kameraden zu nennen: Franz von Papen, Wilhelm Canaris, Hugo Stinnes, Walter Lüttwitz, Erich Ludendorf, Friedrich Wilhelm Heinz, Hermann Ehrhardt, Gustav Noske, Eugen Schiffer, Gustav Stresemann, Richard Steidle, Walter Pfirmer, Ernst Rüdiger Starhemberg, Eugen Bircher, Georg Thomas, Benito Mussolini und Hermann Göring. Kanzler, Minister, Generäle, Generaldirektoren, Freikorpsführer, Putschisten, Faschisten, Massenmörder und Nazis, aber auch Sozialdemokraten, ja sogar einige wenige Juden waren darunter. Er kam mit ihnen dann aus, wenn sie seinem Ziel dienten, dem der nationalen Erhebung. In diesem Sinne war er Revolutionär. Oder besser Konterrevolutionär. Die einzigen, die er wirklich hasste, hasste wie die Pest, waren Sozialisten, Anarchisten und Kommunisten, von ihm unter einem Begriff subsumiert: Bolschewisten. Für sie hatte er in der Regel nur eines übrig: eine Kugel, am besten von hinten."

Papst, der Mann im Hintergrund, wusste laut Gietinger immer Bescheid und wurde immer beschützt. Von seinen rechten Gewährsleuten und sogar von Sozialdemokraten.

"Immer war einer da, der ihm Unterschlupf gewährte, ihn deckte und viel Geld für ihn übrig hatte. Geld, das in der Regel vom Großkapital oder staatlichen Organisationen kam, hinten herum natürlich. Ob Konservative, Nazis oder Sozialdemokraten, Papst wurde von ihnen gedeckt und war daher ohne Furcht."

Was die Sozialdemokratie betrifft, kennt Gietinger keine Gnade. Seine Verschwörungstheorie bedient sich nahezu sämtlicher Grundmuster der altkommunistischen Anti-SPD-Propaganda. Der Autor spricht sogar in stalinistischer Diktion von einem "Pakt aus Sozialdemokratie und Frühfaschismus" und mit den Worten Lenins vom "Sozialimperialismus" der SPD-Führung. Friedrich Ebert wird von Gietinger als völkischer Politiker tituliert und die Bereitschaft der SPD zur "Vaterlandsverteidigung" als "Geburt der völkischen SPD". Ein "völkischer Sozialdemokrat" ist für Gietinger sogar Ernst Heilmann, der als Chefredakteur der Chemnitzer Volksstimme, Reichstagsabgeordneter und Gegner der Nationalsozialisten in den 20er-Jahren weithin bekannt war. Die Nazis rächten sich nach der Machtergreifung auf grausame Weise an diesem jüdischen Sozialdemokraten. Ernst Heilmann wurde im KZ-Buchenwald bestialisch zu Tode geprügelt.

Das freilich verschweigt Gietinger seinen Lesern, obgleich er sonst in biographischen Details geradezu schwelgt. Für ihn ist Heilmann der "völkische Sozialdemokrat", der Gegner Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts und vor allem ein Freund Gustav Noskes. Dem aber lastet Gietinger vor allem den Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg an. Der Kronzeuge für die Behauptung, Gustav Noske habe persönlich diesen Mord gebilligt, ist ausgerechnet Waldemar Pabst, der Chef des Mordkommandos. Papst hatte 1969 in einem Brief geäußert:

"Dass ich die Aktion ohne Zustimmung Noskes gar nicht durchführen konnte (mit Ebert im Hintergrund) und auch meine Offiziere schützen musste, ist klar. Aber nur ganz wenige Menschen haben begriffen, warum ich nie vernommen oder unter Anklage gestellt worden bin. Ich habe als Kavalier das Verhalten der damaligen SPD damit quittiert, dass ich 50 Jahre lang das Maul gehalten habe über unsere Zusammenarbeit."

Papst drohte in diesem Brief damit, doch noch die Wahrheit zu sagen, wenn ihm der Kragen platze. Der Brief wurde 1969 im Kontext einer Vernehmung von Papst durch das Stuttgarter Landgericht geschrieben. Der 89-Jährige ergeht sich darin in Beschimpfungen gegen "die Saukerle vom Spiegel und Stern", die über seine Rolle als Kommandeur der Mörder vom Januar 1919 berichtet hatten. Es ist kaum zu glauben, aber leider wahr, dass Klaus Gietinger einen zur Selbstrechtfertigung des für das Mordgeschehen verantwortlichen Offiziers geschriebenen Brief zum Beweis der Mitwisserschaft von Friedrich Ebert und Gustav Noske ins Feld führt. Doch Gietinger geht es in erster Linie nicht um die tatsächlichen Abläufe, ihm geht es darum – wie Karl-Heinz Roth in seinem Vorwort zu diesem Buch richtig erklärt – mit Tabus zu brechen und neue Maßstäbe zu setzen.

Karl-Heinz-Roth weiß, wovon er redet. Seit Jahrzehnten müht er sich, die westdeutsche Demokratie als verdeckten Faschismus zu entlarven. Gietingers These vom "Pakt aus Sozialdemokratie und Frühfaschismus" passt ganz ausgezeichnet in dieses linksdogmatische Schema. Das in der Buchankündigung versprochene Schlüsselwerk zur deutschen Geschichte liegt mit Gietingers Buch nicht vor. Ein Schlüsselwerk ist es aber trotzdem, ein Schlüsselwerk über linke Vorurteile und die linke Lebenslüge, auf der besseren Seite der Menschheit zu stehen. Denn – daran sei erinnert – nicht nur Waldemar Papst hat eine deutsche Karriere gemacht, auch viele seiner ehemaligen Gegner aus Berliner Straßenkampfzeiten. Einer davon, der Polizistenmörder Erich Mielke, brachte es nach 1945 im "besseren" Deutschland sogar zum Minister für Staatssicherheit.