Ein Blick auf die Schönheit

Von Klaus Möllering · 29.01.2012
Das Bild von der Schönheit hat sich im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte vielfach verändert. Einer Geschichte der Kosmetik, der "Geschichte künstlicher Schönheit in der Moderne", ist nun Annelie Ramsbrock in ihrem Buch "Korrigierte Körper" nachgegangen.
Eine lange und facettenreiche Geschichte. Die Autorin, Kulturhistorikerin am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung fragt dabei nach dem Zusammenhang von Wissen und Werten in den unterschiedlichen Epochen der Kosmetik - schon der Begriff selbst hat etymologisch ja sowohl mit "ordnen" als auch mit "schmücken" zu tun. Was wusste man also jeweils in der Medizin im Blick auf Schönheit? Und was wollte man gesellschaftlich, das heißt, welche Werte verfolgte man mit der Kosmetik? Innerliche - wie Anmut, Reinheit oder Natürlichkeit? Aber was ist bei Kosmetik schon natürlich! Das zeigt ein Blick in eine "Toilettenlektüre" von 1813:

"Um sich ... zu verschönern, müssen Frauenzimmer dabei anfangen, das Herz zu adeln und den Geist auszubilden, wo denn die Verschönerung des Körpers, die Erhöhung des körperlichen natürlichen Reizes nothwendig darauf von selbst folgt. Wird die Seele ausgebildet, so richten sich die Gesichtszüge, der Ausdruck in den Augen, ihr Blick ganz nach dem Einfluß derselben, und wird diese erheitert, verschönert, so wird es auch die körperliche Form."

Andererseits ging es aber doch eher um Äußerlichkeiten, wenn zum Beispiel in zahllosen vom Krieg demolierten Soldatengesichtern Mund, Nase oder Kiefer wiederhergestellt werden mussten. Was man da an Operationstechniken entwickelte, wollten allerdings bald auch andere, "normale" Patienten nutzen. Nur: Um welche Normalität ging es dann eigentlich, wenn Ohren angelegt, Nasen korrigiert und Brüste verkleinert wurden in diesen neuen "Schönheitsoperationen"? Wie weit sollte man gehen beim Korrigieren der Körper?

Konnte man sich dem Lauf der Natur entgegenstellen und sogar dem Ende aller Schönheit, also dem Alter und seinen faltenreichen Folgen trotzen? Oder waren soziale Belange entscheidender, wenn zu Zeiten von Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit Menschen durch ihr ungünstiges Aussehen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt und zu Verlierern wurden? Man hoffte, sie mit Hilfe der Medizin wieder konkurrenzfähig zu machen. Doch dieses soziale Anliegen ging leider im Zweiten Weltkrieg unter.

Man könnte eine Doktorarbeit über all das schreiben - und genau darum handelt es sich hier eigentlich. Man merkt das am bisweilen arg akademischen Stil des Buches:

"Sämtliche kosmetische Anleitungen dienten letztlich der kulturellen Formung des Körpers. Die regulierten Körper sollten so schön sein wie die Natur - eine Natur, die nach bürgerlichen Wertmustern gestaltet wurde und somit der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung als Projektionsfläche diente - beides war für die Kosmetik wesentlich: Sie berief sich auf die Natur, indem sie die Naturwissenschaften und das hygienische Wissen zu Rate zog, und sie regulierte Natur, die des Einzelnen und die der Gesellschaft. Auf diese Weise dienten die regulierten Körper als Ort der visuellen Ausbildung bürgerlicher Werte, die sich aus der Vorstellung einer wahren Natur ergaben, um deren kulturelle Aneignung es ging."

Man kriegt leicht trockene Haut bei dieser trockenen Sprache. Ein Schönheitsratgeber von 1898 fasste es kürzer:

"In den meisten Fällen kann man sagen: Das Schöne ist nicht echt, und das Echte nicht schön."

Ein menschlich, kulturkritisch und gesellschaftsanalytisch verlockender Stoff. Aber ein Feuerwerk wird in diesem Buch daraus leider nicht abgefackelt. Stattdessen wird nach Historikerart rechtschaffen in Epochen sortiert. Man erhält Einblick, wie der Idealismus im Sinne der Aufklärung die Ideale von innerer Schönheit und moralischer Vollkommenheit zum Thema beisteuerte. Wie man zunächst von der antiken Säftelehre zu den Anfängen moderner Naturwissenschaft gelangte und dabei lernte, dass es für die Schönheit vor allem Gesundheit braucht, sprich: Wasser, Seife und Luft.

Wie dann Sauberkeit und Bewegung, richtige Ernährung und vor allem die rechte "Seelenbildung", verbunden mit der bürgerlichen Moral des 19. Jahrhunderts die Körper auf angemessene Weise regulieren, und damit wahre Schönheit hervorbringen sollten. Wie im 20. Jahrhundert schließlich moderne Chirurgie und erst recht die Elektrizität - Stichwort Höhensonne! - mit technischem und medizinischem Fortschritt der Schönheit auf zuvor ungeahnte Weise nachhalfen.

Immerhin: Wenn das Buch einen schon nicht schöner macht - macht es einen wenigstens schlauer? Dafür geht es allerdings ziemlich hin und her - zwischen Natur und Kultur, Technik und Ästhetik, Wissen und Werten, sozialen Normen und sozialen Utopien, Ängsten und Idealen. Das ist alles gut und schön, aber weder sehr stringent bei der Auswahl der Belege, noch allzu reflektiert im Blick auf die Analysekriterien - und folglich auch nicht wirklich weitreichend und eingängig bei den Schlussfolgerungen. Was könnte eine Kulturgeschichte der künstlichen Schönheit nicht alles erbringen an prallen kulturwissenschaftlichen Erkenntnissen zur Geschichte der vielfältigen Bemühungen um Schönheit!

Stattdessen geht es kreuz und quer, vom Schönheitsratgeber des 19. Jahrhunderts bis zu Hässlichkeit als sozialem Unterscheidungsmerkmal, von alten chirurgischen Fachzeitschriften über Kosmetikanzeigen bis zu sozialpolitischen Initiativen der späten Weimarer Republik, von den Anfängen des wissenschaftlichen Kosmetikerstandes bis zur Angleichung der Geschlechter nach dem 1. Weltkrieg, nicht zuletzt durch die Berufstätigkeit der Frau, aber auch infolge einer neuen, allgemeinen Schönheitspflicht.

Da findet sich natürlich auch manch Interessantes beim Stöbern:

"Da eine transparent erscheinende Haut im 18. Jahrhundert en vogue war, zeichnete man Äderchen an Gesicht und Hals mit feinen blauen Linien nach, was die Rede vom 'blauen Blut' des Adels erklären mag."

Das Buch selbst trägt leider eher zur Faltenbildung bei - und das sind keine Lachfalten. Ein ausführlicher Essay wäre unterhaltender und ein großer analytischer Bogen wäre klarer gewesen. Der hätte dann aber auch konsequent von Kuriositäten wie dem pneumatischen Hüftformer oder dem angeblich Schönheit fördernden Hängeschlaf der Zwanziger Jahre bis zu aktuellen Moden und Marotten unserer Tage geschlagen werden müssen.

Hätte so etwa fragen können nach Gründen und Motiven von Tattoos und Piercings, nach Sinn und Unsinn von Intimrasur und Botox - bis hin zu Fitnessfimmel und Fernseh-Schönheitsshows wie "The Swan - Endlich schön".

Mein Eindruck: Schönheit ist offenbar ziemlich anstrengend. Aber die Lektüre darüber müsste es eigentlich nicht sein.

Annelie Ramsbrock: "Korrigierte Körper"
Wallstein Verlag, Göttingen 2011
Cover "Korrigierte Körper"
Cover "Korrigierte Körper"© Wallstein Verlag