Ein Begriff und seine Geschichte

Von "Streitigkeiten zwischen Eheleuten" zur "häuslichen Gewalt"

06:36 Minuten
Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November. Plakat in der Fußgängerzone Königstraße in Stuttgart weist darauf hin, dass an jedem dritten Tag in Deutschland eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet wird.
Gewalt gegen Frauen gibt es immer noch viel zu viel, aber inzwischen wird anders darüber geredet als früher. © imago / Arnulf Hettrich
Von Pia Rauschenberger · 15.01.2020
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Wenn ein Ehepartner den anderen schlägt, nannte man das früher etwas verschämt "Streitigkeiten unter Eheleuten". Vor etwa 25 Jahren wurde stattdessen der Begriff "häusliche Gewalt" etabliert. Damit änderte sich mehr als nur der Sprachgebrauch.
"Da lief er dann nackt rum, mit Messer und mit dem Hammer und dann haut er mir den Hammer so ein Stück neben den Kopf. Und wenn er danach zu sich kommt, das tut ihm dermaßen leid." So hieß es in einem Feature aus dem Jahr 1978. Der Sprecher kommentiert dieses Sätze so: "Die allgegenwärtige Illusion von der Familie als Schonraum für Geborgenheit hat den Blick für diesen Schauplatz täglicher Tragödien verstellt. Die trügerische Poetisierung von Liebe und Ehe macht blind für die unpoetische Wirklichkeit."
Das Radiostück des Hessischen Rundfunks thematisiert ein Problem, das damals noch als Randgruppenproblem, als Unterschichtenthema wahrgenommen wurde: Gewalt gegen Frauen. Als Ende der 70er-Jahre die ersten Frauenhäuser entstanden, gab es in Deutschland immer noch viele Menschen, die diesen Einrichtungen äußerst skeptisch gegenüberstanden.
"Die gesagt haben: wenn es solche Häuser gibt, werden die Frauen destabilisiert", sagt Amei Wiegel. "Denn es handelt sich ja um sehr verunsicherte Frauen, die noch gestützt werden müssen und den Schutz der Familie brauchen, auch wenn es da zu Gewalt kam. Also wirklich die grundlegende gesellschaftliche Vorstellung, dass Familie über allem steht und dass es in der Familie eigentlich gar nicht schlimm zugehen kann. Und dass Familie bei allen Problemen hilft."

Frauenhäuser wurden misstrauisch betrachtet

Amei Wiegel hat im Frauenhaus in Celle gearbeitet und als Lokalpolitikerin die gesellschaftliche Stimmung der 70er-Jahre verfolgt. Wenn damals über Gewalt gegen Frauen gesprochen wurde, dann oft verharmlosend als "Streitigkeiten zwischen Eheleuten". Andere Begriffe wie "Männergewalt" galten als zu pauschalisierend. Frauenhäusern wurde ohnehin vorgeworfen, Frauen gegen Männer aufzuwiegeln. Diese Schutzräume gab es zwar in den 80er-Jahren schon in vielen Städten. Aber sicher dorthin zu kommen, das gelang vielen Frauen noch nicht. Das lag auch daran, wie die Polizei mit Gewalt gegen Frauen umging. In einem Beitrag des Radiosenders SFB in Berlin aus dem Jahr 1985 erzählt eine Frau:
"Ich hatte viel zu viel Angst, dass, wenn die Polizei geht, mein Mann mich dann umbringt. Deswegen hatte ich ja so viel Angst. Und die Polizei hat mich ganz blöd so angeschaut, so auf die naive Art und hat gefragt, 'Hat ihr Mann Sie denn geprügelt?'. So auf die Art: 'Ach Gott und vielleicht hat sie es ja verdient' und so, ne. Die gucken einen dann immer mit so einem Blick an, der ist unbeschreiblich, also das muss man nur selbst erleben, dann weiß man in was für einer Situation man ist."
Die Polizei sei schon immer wieder gerufen worden, erzählt die Historikerin Catherine Davies, Polizisten seien aber oft tatenlos geblieben:
"Ihrer eigenen Aussage nach wurden sie da sehr ungern gerufen, weil sie das Gefühl hatten, sie wissen nicht, was sie tun sollen, das ist eine Privatsache. Das geht sie auch nichts an. Und wenn die Frau geschlagen wird oder behauptet, geschlagen worden zu sein, dann weiß man nicht, ob sie die Wahrheit sagt. Man weiß nicht, ob sie es vielleicht eigentlich doch provoziert hat."

Die Polizei konnte - und wollte - früher oft nichts tun

In einem Feature des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 1984 berichtet die Mitarbeiterin eines Frauenhauses in Bayern von einer Frau, die von ihrem Mann geprügelt und dann ausgeschlossen wurde:
"Und jetzt hat sie sich an die Polizei gewendet und wollte eben mit Hilfe der Polizei wieder in ihre eigene Wohnung reinkommen. Und die Polizei hat gesagt, das geht sie nichts an."
Eva Hack hat das Frauenhaus Kassel mitgegründet. Auch sie hat erlebt, wie unkooperativ die Polizei in den 70er- und 80er-Jahren noch war.
"Wir sind häufig rein in die Wohnungen gegangen, also die Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser, in Hessen war das überall so. Und haben ohne Polizeischutz die nötigen Sachen von den Frauen und Kindern aus der Wohnung geholt. Das hat sich zu heute grundlegend verändert, das ist einfach so, dass das überhaupt kein Problem mehr ist. Wenn wir Polizeischutz brauchen, dann bekommen wir den auch."
Erst 2002 änderte sich dann grundlegend etwas: das sogenannte Gewaltschutzgesetz wurde erlassen. Es verpflichtet die Polizei bei familiären Streitereien, zu denen sie gerufen werden, einzugreifen. Amei Wiegel:
"Heute ist es so, dass die Polizei den Täter, meist den schlagenden Mann oder Partner, der Wohnung verweisen kann. Und der Frau helfen kann und sagen, wenn du willst, können wir für den Mann ein Betretungsverbot aussprechen. Das hat deutlich die Arbeit erleichtert und vor allen Dingen auch die Bereitschaft der Polizei dort aktiv mitzuhelfen."

Häusliche Gewalt - "das hört sich so neutral an"

Von der Gründung der ersten Frauengruppen in den 70er-Jahren bis zum Gewaltschutzgesetz sind 30 Jahre vergangen. Der Weg dorthin bestand aus vielen kleinen Schritte, einer davon war ein Begriff, der aus den USA übernommen wurde und sich nach und nach durchsetzte: häusliche Gewalt.
"Also meiner Erinnerung nach ist der Begriff Ende der 90er-Jahre aufgekommen und zwar auch im Vorfeld des Gewaltschutzgeseztes. Also der Begriff ist ja deshalb eingeführt worden, um eine große Akzeptanz in den ganzen Institutionen zu erreichen. Also damit zumindest über die Begrifflichkeit nicht sofort Widerstand erzeugt wird, das Thema konstruktiv anzugehen."
Für Eva Hack war der Begriff eine Notwendigkeit, um den Boden für das Gesetz zu bereiten. Trotzdem kann sie sich bis heute nicht mit ihm anfreunden und bevorzugt zwei andere Begriffe:
"Gewalt gegen Frauen und Männergewalt sind ja politisch aus dem politischen Spektrum geprägte Begriffe und benennen entweder den Täter oder die betroffene Frau. Und 'häusliche Gewalt' - und das ist auch die Kritik, die Kernkritik - neutralisiert das total. Du kannst den Täter nicht mehr erkennen und kannst auch nicht mehr die Betroffene erkennen, sondern das hört sich so an, das hört sich so neutral an: häusliche Gewalt."

Ein Kompromissbegriff, aber ein hilfreicher

Amei Wiegel hat nie diese Bedenken geteilt:

"Er wird akzeptiert, der Begriff und wir können da eigentlich ganz gut mit arbeiten, weil er den gesamten Bereich umfasst, der Bedrängnis von Frauen, die familiärer Gewalt gegenüberstehen."
"Es wäre jetzt glaube ich zu zugespitzt zu sagen, dass der Begriff die Ursache dafür war, dass sich dann das Bewusstsein änderte oder dass sich die Gesetze änderten oder dass sich die Einstellung der Polizei zu dem Thema änderte", sagt die Historikerin Catherine Davies.
"Aber der Begriff war natürlich sehr wichtig. Also auch in der Wissenschaft, dass es dann einfach ein Forschungsfeld gab: häusliche Gewalt. Und dass das was ist, wozu man arbeitete. Also, in dem Sinne war diese Begriffspolitik schon essenziell, würde ich sagen. Ja."
Der Begriff häusliche Gewalt war insofern eine Art Kompromiss:
zwischen der progressiven Frauenbewegung und der breiten Gesellschaft, in der das Thema lange verharmlost worden war.
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