Ein Bankangestellter blickt zurück

"Da läuft irgend etwas völlig schief"

Händler an der New Yorker Börse am 15. September 2008.
"Das Ganze ist meines Erachtens ein Systemfehler gewesen", sagt der Banker heute. © imago/ZUMA Press
Von Caspar Dohmen · 11.09.2018
Wie die Lemminge seien vor zehn Jahren die Banken ihrem Renditeziel hinterher gelaufen, sagt ein Banker, der dabei war, aber anonym bleiben möchte. Er weiß auch, ob wir eine neue Finanzkrise zu befürchten haben.
"Kunde sagt mir, ich kriege hier für meinen Dollar Tagesgeld vier Prozent und von einer anderen Bank mit guter Bonität, hat er acht Prozent gekriegt."
Zehn Jahre ist es her, dass der hörbar norddeutsche Anlageberater merkte, dass irgendwas gehörig schief läuft.
"Ich habe gesagt, lieber Herr, das kann nicht sein. Doch, sagt er, krieg ich. Rufe im Geldhandel an und sage, ich habe hier einen Kunden gegenüber sitzen, der sagt mir, dass er für US-Dollar Tagesgeld acht Prozent kriegt. Und dann sagt der Geldhändler, ja, kann auch zwölf kriegen, wenn er will. Ich sag, wieso das? Ja, weil so viel gezahlt wird. Und warum von uns nicht? Ja, weil wir haben Dollar. Und dann habe ich so gesagt, ja Mensch, dann verkauft doch die Dollar an den, der zwölf Prozent zahlt und auch eine gute Bonität hat. Nee, sagt der, wir geben keinen Pfennig aus dem Haus, weder Dollar, noch sonst etwas, was wir haben, behalten wir. Und da wurde mir auf einmal klar, da läuft irgend etwas völlig schief."
Wenige Tage später ist die Investmentbank Lehman Brothers am Ende.
"Lehman ist ja keine besonders große Bank gewesen, aber auch keine besonders kleine Bank, mit starkem Investmentbanking und international vernetzt. Und wenn so ein Rädchen kaputt geht, dann ist das wie beim Getriebe. Das Getriebe kann noch so viele Räder haben, die können noch so toll sein, wenn eins davon sich nicht dreht, dann können sie das ganze Getriebe nicht mehr gebrauchen."

Darüber reden ja, aber nur anonym

Weltweit sind Banken, Versicherungen, Hedgefonds und Pensionsfonds mit Lehman verwoben. Weil sie sich gegenseitig misstrauen und keine Geschäfte mehr untereinander machen, breitet sich die Krise aus. Wie schnell das geht, hat auch den Banker überrascht, der damals schon drei Jahrzehnte bei verschiedenen Instituten Kunden bei der Anlage ihrer Gelder beraten hatte. Die Finanzkrise hat seinen Blick auf das Bankgeschäft gehörig verändert. Darüber redet er gerne. Aber nur anonym. Sonst würde er gegen den Vertrags verstoßen, den er bei seiner Abfindung unterschrieben hat.
"Also die Reaktion der Politik war ja erst Mal, das ist ein amerikanisches Problem, da haben wir als Europäer eigentlich relativ wenig mit zu tun, also das war mir schon klar, dass, die das gesagt haben, da selber nicht daran geglaubt haben, sondern das war zur Beruhigung."
Bald steht die Hypo-Real-Estate vor der Pleite und Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Peer Steinbrück geben ein denkwürdiges Versprechen ab:
"Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein."
Westliche Staaten retten nun reihenweise große Banken. Die Bürger lernen, was too big to fail heißt und viele Unternehmer bekommen keinen Kredit mehr.
"Es gab ja kein Geld mehr, wenn sie jetzt als Unternehmer zum Beispiel eine Kreditlinie hatten, auch, wenn sie eine gute Bonität gehabt haben, dann konnte ihnen das passieren und es ist auch häufig passiert, die Kreditlinie ist gestrichen worden."

Auch er lernte vieles dazu, was ihn schockierte

Nach und nach erfuhr die Öffentlichkeit die tiefere Ursache der Krise. Und auch er lernte vieles dazu, was ihn schockierte.
"Sie mussten oder sie müssen heute ja auch Kredite durch Eigenkapital hinterlegen. Und irgendwann ist Schluss, können sie keine Kredite mehr vergeben. In Amerika haben sie damit angefangen, das Risiko auszulagern, indem sie die Kredite verkauft haben an irgendwelche Schattenbanken, Investmentgesellschaften. Oder diese verpackten Kredite, die haben ja gute und schlechte Kredite genommen, alle in einen Topf geworfen, den Deckel zugemacht. Das ganze zu S&P geschickt. Sich ein Zwei-Drei-A-Rating darauf stempeln lassen."
Ratingagenturen verwandelten Ramschkredite in Anlagen mit hoher Bonität. Als die Immobilienblase platzte, kollabierte das Finanzsystem.
"Also der Erfolg des Kunden ist auch der Erfolg des Bankangestellten."
Lernte er in den 1980er-Jahren in seiner Banklehre in Norddeutschland. 20 Jahre später priesen Mitarbeiter der US-Investmentbank Goldman Sachs Kunden vermeintliche Topprodukte an, von denen sie intern als "beschissenem Deal" sprachen. Und in Deutschland wurde die Lehman-Oma als Synonym für eine unverantwortliche Verkaufspolitik von Banken zum geflügelten Wort. Der Anlageberater war froh, dass er keine Lehman-Zertifikate verkauft hatte. Davon habe die Bank die Finger gelassen, aber nicht aus Vorsicht, sondern, weil sie ihre eigenen Zertifikate los werden wollte. Er schüttelt den Kopf.
"Der Bankangestellte, das war ein angesehener Beruf, das hat sich deutlichst geändert. Teilweise muss man sich auch rechtfertigen, dass man sagt, wie kann man für so einen Laden arbeiten. Ja, es hat irgendwie keinen rechten Spaß mehr gemacht."

Es ging nicht mehr um die Kreditvergabe für die Wirtschaft

Warum konnte es soweit kommen?
"Das Ganze ist meines Erachtens ein Systemfehler gewesen. Weil durch die Liberalisierung der Kapitalmärkte haben die Banken ja auch Renditeziele gehabt, die ihrem volkswirtschaftlichen Auftrag nicht gleichkamen."


Es ging nicht mehr um die Versorgung der Wirtschaft mit Kredit, was er nach wie vor für die Hauptaufgabe einer Bank hält. Aber solche Einstellungen galten vor der Finanzkrise als altmodisch.
"Das war ja nicht eine Bank, sondern es waren in der westlichen Hemisphäre eigentlich alle Banken, die diesem Renditeziel hinterhergejagt sind. Und die alle dasselbe Geschäft machen. Und eine Bank kann nicht, wenn die jetzt irgendwie kreiert ein Kapitalanlageinstrument, die kann sich das nicht patentieren lassen. Die Konkurrenz sieht, das, was die machen, läuft gut, dann machen die das auch. Wie nennt man das, diese Lemminge, wenn einer springt und alle springen hinterher."
Mit katastrophalen Folgen. In den USA fanden millionenfach Zwangsräumungen statt. In der Wirtschaftskrise verloren viele ihre Arbeit. Die Occupy-Bewegung stellte die Systemfrage. Nach der Rettung der Banken gerieten in der Eurozone Staaten in die Krise. EZB-Chef Mario Draghi spracht 2012 ein Machtwort und beruhigte die Kapitalmärkte.
Ein Sicherheitsbeamter vor dem Eingang von Lehman Brothers in New York am 15. September 2008.
"Wie nennt man das, diese Lemminge, wenn einer springt und alle springen hinterher."© picture alliance/dpa/Foto: Mary Altaffer
"Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough."
"Und dann kam ja nachher die lockere Zentralbankpolitik, mit den daraus folgenden niedrigen Zinsen, was ja durchschlägt auf die Pensionskassen, auf die Lebensversicherungen, auf das Ersparte der Menschen."
Wir spüren die Folgen der Krise noch heute. Er hatte irgendwann genug und nahm das Abfindungsangebot seines Arbeitgebers an. Denn die Zeit ist über einen Banker alten Schlags wie ihn hinweggegangen. Erwartet er eine weitere Finanzkrise?
"Mit Sicherheit. Ich weiß bloß nicht wann."

Hören Sie hier einen weiteren Beitrag zur Lehman-Pleite von Thomas Reintjes.
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