Ein Anfang, der nach Bewegung klingt

Von Tim Lang |
Als Nebenprodukt aus dem Orgel- und Spieluhrenbau taucht sie in den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts erstmals auf und wird schnell zum Modeartikel. Heute gilt sie als meistgebautes Instrument der Welt: die Mundharmonika. Der Leipziger Blues-Musiker Thomas Hanke ist seit seiner Jugend von dem Instrument fasziniert.
Thomas Hanke sucht einen Ton. Und er hat ihn gefunden. Für einen Song von einem Fernfahrer und seinem Truck.

Der Mann mit den langen Haaren hat die Hände vor den Mund gefaltet. Den Oberkörper leicht nach vorne gekrümmt. Das rechte Bein ist über das linke geschlagen.

"'Another Lucid Moment' ist ja auch ein Song, den ich geschrieben habe und da entwickle ich auch Instrumente dazu. Die haben dann eine ganz eigene Stimmung, die ich dann entwickle oder die es schon gibt und danach schreibe ich dann den Song oder entwickle ihn weiter."

Thomas Hanke sieht zum Fenster hinaus durch die Bäume. Die Hände flattern um das kleine Instrument. Der Truck beginnt sich Bewegung zu setzen.

""Ich wollte eine Melodie, einen Anfang finden der nach Bewegung klingt. Und da dachte ich, das kann man vielleicht so machen. Es war mal in, in der Schulzeit das war so 8. 9. Klasse, da wurde Mundharmonika gespielt. Und da fing man eben an: …Das hat jeder dritte in der Schule gespielt und ich bin halt hängen geblieben bei dem Instrument."

Anfang der 80er Jahre: Thomas Hanke geht in Leipzig zur Schule und bekommt die Möglichkeit Gitarre zu lernen. Da ist er 14.

"Da hatte ich Privatunterricht. Das war ein super Gitarrenlehrer, der hat mir viel beigebracht. Und dann hatte ich zu DDR Zeiten Förderverträge bekommen und da hatte ich wirklich gute Lehrer, die mir viel Musiktheorie beigebracht haben."

Aber dann wird es doch die Mundharmonika und Thomas Hanke spielt sich mit seinem Talent durch den bürokratischen Apparat der sozialistischen Musikförderung.

"Ich habe damals in Bands gespielt und hatte ein Duo. Das hat sich zu DDR Zeiten rasch entwickelt. Ich hatte dann diese Einstufung, diese Amateureinstufung, die musste man haben, bevor man Berufsmusiker wird und dann musste man noch ein Jahr die höchste Amateureinstufung spielen und dann habe ich halt meinen Berufsausweis gemacht. Das war damals sehr selten als Autodidakt sozusagen mit dem Instrument Mundharmonika. Und das hat auf Anhieb total funktioniert und ich habe damals schon die höchste Einstufung in der Kategorie Jazz bekommen. Das war natürlich super klasse. ... Da war ich 18."

Nach der Wende entdeckt Thomas Hanke, dass er neben dem Spielen der Mundharmonika noch eine andere Fähigkeit hat: Das Bauen, Bearbeiten und individuelle Anpassen der Instrumente an ihre Spieler. Das sogenannte Costumizing.

"Es ist noch ein bisschen anders zu sehen wie ein Gitarrenbauer. Ich suche mir nicht die Bäume aus oder fälle das Holz selber. Sondern ich mache aus Rohmaterial für die Firma, mit der ich zusammenarbeite, tue ich das Material verbessern und mit meinen eigenen Ideen und Techniken verändern."

Auf dem ovalen Holztisch liegen Feilen, Hämmer, Zangen und ein kleiner Amboss.
Hanke bekommt Aufträge von Musikern aus der ganzen Welt. Seine Instrumente sind beliebt. Wahrscheinlich weil Thomas Hanke keine Fließbandarbeit leistet.

"Bei jedem Instrument was ich baue arbeite ich auch an mir selbst. Ich beobachte mich bei jedem Instrument, wie geht's noch besser. Und dadurch, dass ich auch selbst spiele kann man es auch einschätzen, weil irgendwie ist das eine Philosophie. Man arbeitet und hat das schon wieder im Ohr oder denkt an den gewissen Spieler. Man merkt selber dass man vor 3-4 Jahren ganz anders gearbeitet hat oder wenn man mal zurückdenkt, wie die Mundharmonika einfach mal vor 20 - 30 Jahren noch gespielt wurde."

Lieber würde Thomas Hanke losspielen, um die Frage zu beantworten, was seine Arbeit so besonders macht. Er sieht zu seinem Arbeitstisch mit den vielen kleinen Bauteilen hinüber. Die Antwort scheint irgendwo dazwischen zu liegen.

"Jeder hat dasselbe Material und bei jedem würde das Instrument dann doch anders klingen. Das ist das Kuriose. Das ist vielleicht auch die Energie, die man umsetzt, wenn man das Material so lange in der Hand hat. Wie man eben eine Stimmzunge poliert, wie weich man sie macht, das ist Ermessenssache, das ist ja eben dieses spezielle Costumizing. Also, man kann viele Dinge sehen, wenn man sich schon mit der Materie auseinandergesetzt hat, aber dann passieren noch mal Sachen, die sind nicht mehr zu sehen und trotzdem passiert was."

"Ein Koch kann ja auch alles bestens erklären und trotzdem schmeckt es dann doch immer anders."

Thomas Hanke nimmt sich wieder eine seiner Mundharmonikas und lässt sie durch die Hände gleiten. Hunderte hat er davon in Koffern und Kistchen liegen. - Und er hat noch einiges mit ihnen vor.

"Wenn man das 'mal vergleicht mit einer Violine oder mit einem Klavier, das es schon Hunderte Jahre gibt und seit Hunderten von Jahren ausgereizt und entwickelt wurde, ist die Mundharmonika eigentlich total am Anfang."
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