David Lauer ist Philosoph und lehrt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Philosophie des Geistes und der Erkenntnistheorie. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.
Ehrung der Künstlerin Josephine Baker im Pariser Panthéon
Unter den knapp 80 Menschen, die im Panthéon, der Ruhmeshalle der französischen Republik, mit einem Ehrengrab bedacht wurden, ist sie die erste Schwarze Frau und erst die dritte nicht-weiße Person überhaupt. © Getty Images / Corbis / Antoine Gyori
Zwiespältige Aneignung
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Die Künstlerin und Aktivistin Josephine Baker ist die erste Schwarze Frau, die im Pariser Panthéon mit einem Ehrengrab bedacht wird. Ein klares Signal gegen Rassismus? Ja und nein, meint David Lauer.
Josephine Baker zählt nun zu den Großen Frankreichs. Unter den knapp 80 Menschen, die im Panthéon, der Ruhmeshalle der französischen Republik, mit einem Ehrengrab bedacht wurden, ist sie die erste Schwarze Frau und erst die dritte nicht-weiße Person überhaupt. Ist dies das starke Signal gegen Rassismus und für Inklusivität, das der französische Präsident Emmanuel Macron senden wollte? Ja – und doch nicht ganz.
Als Künstlerin entlarvte sie rassistische Fantasien
Das liegt nicht an Josephine Baker, die in den Pariser Nachtclubs der 1920er-Jahre zum ersten Schwarzen Superstar der Welt wurde – black and proud, 40 Jahre vor Muhammad Ali, 80 Jahre vor Beyoncé.
Zu einer Zeit, in der europäische Zoos Menschen aus Afrika noch in sogenannten Völkerschauen wie Tiere ausstellten, bestand ihre Kunst darin, die ihr zugedachte Rolle der exotischen Naturschönheit durch parodistische Übertreibung als das zu entlarven, was sie war und ist: eine rassistische Fantasie.
Statt das Objekt des lüsternen Blicks weißer Männer zu bleiben, machte sie sich über deren Projektionen lustig, indem sie sie selbstbewusst aneignete und ihrem Publikum zurückspiegelte. Judith Butler sollte das 70 Jahre später „die Parodie als subversive Performance“ nennen.
Geehrt wurde Baker jedoch nicht für ihre Kunst, sondern für ihre Rolle als Freiheitskämpferin in der französischen Résistance und in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Der Kampf für die Gleichheit und Freiheit aller Menschen wurde zu ihrem Lebenswerk.
Sie habe dabei jedoch nicht eine bestimmte Hautfarbe verteidigt, sondern ein universales Ideal des Menschen, erklärte Emmanuel Macron in seiner Laudatio. Gerade darin sei sie durch und durch französisch gewesen. Indem Macron Baker als Verteidigerin universaler Werte in Anspruch nahm, nahm er ihre Werte für Frankreich in Anspruch.
Frankreichs Rassismus klammerte sie aus
Genau hier liegt allerdings der Grund, warum manche Kommentatoren hinter Macrons Initiative die selbstgerechte Vereinnahmung einer Ikone wittern, gegen die bezeichnenderweise nicht einmal Marine Le Pen etwas einzuwenden hat. Denn anders als die Performerin Baker hat die Aktivistin Baker es Frankreich stets erspart, in einen Spiegel blicken zu müssen. Sie hat sich niemals öffentlich gegen den Kolonialismus und Rassismus ihrer geliebten Wahlheimat gestellt.
Andere haben es getan. An den Wänden des Panthéon, im Eingangsbereich zur Krypta 26, erinnern Inschriften an drei weitere Schwarze Kämpfer gegen den Rassismus: den 2008 verstorbenen Schriftsteller Aimé Césaire sowie die Offiziere Toussaint Louverture und Louis Delgrès, die im 18. Jahrhundert auf Haiti und Guadeloupe für die Freiheit ihrer Völker kämpften und ihr Leben gaben.
Alle drei allerdings führten ihren Kampf für universale Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht mit, sondern gegen das koloniale Frankreich, also ausdrücklich in Verteidigung „einer bestimmten Hautfarbe“. Ist es Zufall, dass es für sie trotz der Inschriften zu einem Ehrengrab im Panthéon nicht gereicht hat, obwohl es entsprechende Initiativen auch in ihrem Fall gab?
Universalismus und Minderheitenrechte
In diesen Tagen an Césaire, Louverture und Delgrès zu erinnern, soll die Verehrung für die große Josephine Baker nicht einen Deut mindern. Aber sie lehren uns, dass der Universalismus immer wieder gerade gegen diejenigen erkämpft werden muss, die glauben, sich schon in seinem Besitz zu befinden. Auch heute, wo "Black Lives Matter" eben nicht im Widerspruch zu "all lives matter" steht.
Vielmehr wird das allgemeine, unbegrenzte Ziel hier und jetzt gerade im Kampf um die Rechte einer besonderen, begrenzten Community verwirklicht. Dies anzuerkennen und zu bekennen, fällt den Verteidigern des Universalismus oft schwer – ob in Frankreich, in den USA oder hierzulande.