Ehrung

Nackte Realität in schnörkelloser Literatur

Von Michael Castritius · 19.11.2013
Präzise in der Beobachtung, penibel in der Recherche: Elena Poniatowska wurde für ihr Lebenswerk mit dem Cervantes-Literaturpreis ausgezeichnet.
Als das Telefon klingelte und eine spanische Nummer anzeigte, dachte Elena Poniatowska, ein Redakteur von "El Pais" riefe an. Für den hatte sie gerade einen Nachruf auf Doris Lessing abgeliefert.
Aber die Ehrung heute galt ihr selber: Der spanische Kulturminister war dran und überbrachte der 81-Jährigen die sensationelle Kunde aus Madrid. Schließlich rangiert der Cervantes-Preis in der spanischsprachigen Welt gleich hinter dem Literaturnobelpreis.
Poniatowskas trockene Reaktion:
"Also mein Sohn Felipe sagt, ich hätte ihn verdient, schließlich sei ich eine verdammt Große.”
Verdient, ja, aber überraschend erst recht. Überraschend nicht wegen ihres umfassenden Werkes, das Einfluss weit über Mexiko hinaus hat. Sondern wegen ihres handfesten Ansatzes, der nicht vom Literarischen, sondern vom Journalistischen ausgeht.
Purer Journalismus
"Der Journalismus", sagt sie, "umfasst alles". "Alles, was ich mache, ist purer Journalismus."
Das verdeutlicht ihr bis heute bedeutendstes Werk: "Die Nacht von Tlatelolco". Akribisch hat sie Augenzeugen-Interviews geführt über diese Nacht des 2. Oktober 1968, in der im Stadtteil Tlatelolco von Mexiko-City dutzende protestierende Studenten niedergeprügelt und getötet wurden. Kurz vor den Olympischen Spielen in Mexiko sollte Ruhe herrschen im Land.
Elena Poniatowska dürfte Tausende, wahrscheinlich Zehntausende Interviews in ihrem Leben geführt haben, penibel, unersättlich hat sie Informationen aufgesogen. Mancher Gesprächspartner habe sich nach acht Stunden Gespräch gewundert, wenn sich später nur vier Zeilen davon im Buch wiederfanden - aber das war dann die pure Essenz.
Nackte Realität in schnörkellose Literatur gepresst. Der jahrzehntelangen Ein-Parteien-Herrschaft in Mexiko zum Trotz.
"Politikern darf man sich nicht nähern, denn der Macht darf man sich nicht nähern. Politik ist eine Falle, die machen wir, wenn schon, selber."
Bekannt als "rote Prinzessin"
Als die "rote Prinzessin" ist Poniatowska in Mexiko bekannt, denn väterlicherseits entstammt sie dem polnischen Adel. Heute ist sie die letzte linksliberale Intellektuelle ihrer mexikanischen Generation: Octavio Paz, Carlos Monsiváis und Carlos Fuentes sind bereits abgetreten. Poniatowska ist sich ihres Alters bewusst, 81 Jahre.
"Das gibt dir die Gewissheit, dass der größte Teil des Lebens vorbei ist, das du am Ausgang stehst."
Aber auch jetzt noch bleibt sie sehr präzise in ihrer Beobachtung - und in ihrer Selbsteinschätzung: Was ist ihr bestes Werk?
Mein bestes Buch, ist das - sagt Elena Poniatowska - was ich erst noch mache. Denn sonst würde ich es nie schreiben: Ich muss an es glauben.
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