Eduard Graf von Keyserling: "Feiertagskinder"

Glückspielende Männer, ge­fühls­se­lige Frauen

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Das Cover des Buches "Feiertagskinder" zeigt zwei Kinder auf einer Wiese, beide tragen Hut. Das gesamte Bild ist unscharf gehalten.
Erzählt in seinen späten Roman sinnenfroh, mit allen Registern impressionistischer Stilkunst: Eduard von Keyserling. © Cover: Manesse
Von Edelgard Abenstein · 23.10.2019
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Auch wenn sich bei ihm die Männer noch duellieren: Eduard von Keyserling hat uns schon vor 100 Jahren gezeigt, wie die Geschlechter ticken.
Jahrestage beleben wie Morgenluft das Verlagsgeschäft. Alte Texte kommen, mit einem mehr oder minder ansprechenden Nachwort versehen, neu heraus. Doch kaum ist das Jubiläum vorbei, scheint das Interesse an dem gerade noch in den Olymp gejubelten Klassiker erloschen, wird zur Jagd auf den nächsten geblasen.
Nicht so im Falle des 1855 geborenen Eduard von Keyserling, zum Glück: Nach dem im Vorjahr zum hundertsten Todestag erschienenen Band "Landpartie", der sämtliche Erzählungen versammelt, schließen im Manesse-Verlag jetzt die späten Romane an – unter dem Titel "Schwabinger Ausgabe".

Impressionistischer Stil

Der Name kommt nicht von ungefähr: Keyserling, der mit 23 die heimischen Güter in Kurland, dem heutigen Lettland, verließ, war eine Instanz im Bohème- und Caféhausviertel Münchens, bewundert und hochgefeiert von den Schriftstellerkollegen.
Der hervorragend kommentierte Band enthält die Romane aus Keyserlings letztem Lebensjahrzehnt, die er durch eine Syphiliserkrankung vollkommen erblindet, seinen Schwestern diktierte: 'Wellen' (1911), 'Abendliche Häuser' (1914), 'Fürstinnen' (1916) und die 1919 posthum erschienenen, titelgebenden 'Feiertagskinder'.
Erzählt wird sinnenfroh, mit allen Registern impressionistischer Stilkunst, vom adligen Leben auf dem Land, irgendwo in der Weite des Ostens zwischen preußischen Gutshöfen, wo pflichtbewusst die Ernte eingefahren wird und im Einerlei des Immergleichen auch Langeweile und Müßiggang herrschen. Männer geben sich der Jagd und dem Glücksspiel hin, junge Frauen, die sich nach dem großen Gefühl sehnen, brechen aus.

Tragischer Ausbruch

Zweifellos gehört jenen, die mutig den Sprung in eine neue Zeit proben, Keyserlings Sympathie. Aber nicht durchweg allen. In dem Roman 'Wellen' zeigt eine Heldin, die, nachdem sie ihrem Grafen mit einem Maler davongelaufen ist, mit dem Luftwechsel im ärmlichen Alltag einer Fischerkate am Ostseestrand nicht zurechtkommt.
Begleitet wird der tragische Ausbruch vom ironisierenden Parlando der Alten, jenen kantig-unsentimentalen Nebenfiguren, von denen das Werk Keyserlings voll ist. So verkündet die Generalin, die genau weiß, was die historische Stunde geschlagen hat: "Sich entführen lassen, das geht schnell. Aber mit dem Herrn, der einen entführt, leben, das ist die Kunst."

Kühle und empathische Zeitdiagnose

Beharrlich wirft man Keyserling vor, er sei ein Nostalgiker, der den Untergang einer abgelebten Zeit in stimmungsvollen Bildern feiert. Davon gibt es viele, voll schillernd-schöner Melancholie, vom düsteren Meer, eisigen Winterhimmeln, sonnenüberfluteten Terrassen und poetisch durchtränkten Seelenlandschaften.
Aber wie kühl und emphatisch zugleich Keyserling seine Zeit diagnostizierte, zeigt das Ende seines letzten Romans: Der betrogene Ehemann, ein "steifer Geselle", "der schwer auftaut", der stets die Contenance wahrt, verabschiedet sich vom männlichen Rollenkodex. Die Moderne steht, einmal ganz anders, machtvoll vor der Tür. Statt sich um der Ehre willen zu duellieren, lässt er seine Frau gehen und weint.

Eduard von Keyserling: "Feiertagskinder - Späte Romane"
Schwabinger Ausgabe, Band 2
Herausgegeben und kommentiert von Horst Lauinger
Manesse-Verlag, 2019
720 Seiten, 28 Euro

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