Parlamentswahl in Russland

Putin nutzt Kulturpolitik als Machtressource

Russlands Präsident Putin auf der Jahrespressekonferenz
Russlands Präsident Putin auf der Jahrespressekonferenz © dpa / POOL SPUTNIK KREMLIN
Ulrich Schmid im Gespräch mit Christine Watty · 18.12.2017
Russland befindet sich im Wahlkampf. Allerdings gilt die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Wladimir Putin als gesichert. Darüber und wie sich Putin gezielt der Kulturpolitik bedient, um das Wahlvolk hinter sich zu bringen, sprechen wir mit dem Russlandexperten Ulrich Schmid.
Christine Watty: In drei Monaten, am 18. März 2018, findet die nächste russische Präsidentschaftswahl statt. Das wurde am Freitag vom Föderationsrat beschlossen, heute wird es noch mal offiziell bekannt gegeben. Damit befindet sich das Land nun im Wahlkampf. Aus dem Radio heraus kann man Anführungszeichen meistens nicht so richtig gut hören, aber natürlich, trotz des Interesses von 23 Mitbewerbern am Präsidentenamt gilt die Wiederwahl Putins jetzt schon als sicher. Und wie erreicht man solche Zustimmung? Auch mit Hilfe der Kulturpolitik des Landes. Ich spreche mit Ulrich Schmid. Er ist Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität in St. Gallen. Schönen guten Morgen, Herr Schmid!
Ulrich Schmid: Guten Morgen!
Watty: Sie sagen in Bezug auf ein Zitat einer Kreml-nahen Webseite, dass Putin die Regierung "über die Seelen" gewinnen möchte. Was heißt das eigentlich genau?
Schmid: Das hat mit einer Besonderheit der politischen Willensbildung in Russland zu tun. Wir haben kein funktionierendes Parteiensystem in Russland. Da gibt es zum Teil irreführende Namen wie zum Beispiel Liberaldemokratische Partei – die ist überhaupt nicht freisinnig, diese Partei, sondern das sind stramm rechtsnationale Politiker. Und im heutigen Russland haben wir eine organische Gemeinschaftsvorstellung. Die Regierung führt idealerweise den Willen jedes Einzelnen aus, und dafür muss man den Leuten natürlich eigentlich sagen, was sie wollen sollen.

Wirkung "über die Seelen"

Watty: Das heißt aber, diese Regierung "über die Seelen" – und wir, glaube ich, schauen dann eben so ein bisschen distanziert auf diesen Begriff der Seele –, der funktioniert auch, oder dies zu erreichen, funktioniert am Ende auch über die Kulturpolitik des Landes?
Schmid: Genau. Die Kulturpolitik und die Kultur sind für die heutige russische Regierung nicht einfach nur ein lästiger Ausgabeposten im Budget, sondern eine wichtige Machtressource. Man sieht das zum Beispiel sehr schön auch an der nationalen Sicherheitsstrategie, die Präsident Putin Ende 2015 unterzeichnet hat. Da hat die Kultur und die Kulturpolitik ein ganzes eigenes Kapitel.
Watty: "Wir brauchen Filme", ich zitiere mal weiter dieses Zitat mit dem "Krieg um die Seelen", das ich vorhin schon nannte, der Kreml-nahen Webseite, "wir brauchen Filme, Bücher, Ausstellungen, Videospiele, patriotisches Internet, Radio, Fernsehen. Wir müssen einen Gegenangriff starten in diesem Krieg um die Seelen." Das ist schon ein bisschen älter, dieses Zitat, aber was heißt das denn wirklich, wenn man auf diese Kulturerzeugnisse schaut? Wie will da dieser "Krieg" – so ein Wort, das eben auch Zitat ist –, gewonnen werden?
Schmid: Vorstellungen über das, was ein Staat sein soll, was eine nationale Gemeinschaft sein soll, das wird eben im heutigen Russland nicht über einen politischen Schlagabtausch zwischen Parteien definiert, sondern es wird oft eben in den Medien, in der Populärkultur ausgetragen dieser Streit. Und eine wichtige Rolle spielt dabei die russische militärhistorische Gesellschaft, die eben dieses Zitat, die eben dieses Zitat auf ihrer Webseite veröffentlicht hatte.

Hohe Zustimmung für Putin

Watty: Wo stehen die Kulturschaffenden in Russland?
Schmid: In Russland haben wir ja eine hohe Zustimmung zu Präsident Putin, vor allem seit den Ereignissen im Frühjahr 2014, seit der Annexion der Krim. Es gibt aber auch eine Minderheit, die sich radikal gegen die Regierung ausspricht, und das ist vor allem die gebildete urbane Bevölkerung in Moskau. Und bei den Kulturschaffenden haben wir eigentlich ein ähnliches Bild. Wir haben berühmte Kulturschaffende wie zum Beispiel die Schriftsteller Boris Akunin und Ljudmila Ulizkaja, die erklärte Gegner der Regierung Putin sind. Und auf der anderen Seite haben wir aber auch nationalistische Autoren wie Eduard Limonow oder Sachar Prilepin. Die waren eigentlich vor 2014 ebenfalls radikal gegen Putin und gegen den Kreml eingestellt, und jetzt sehen diese nationalistischen und patriotischen Schriftsteller in Putin nicht mehr einen Gegner, sondern nachgerade den Garanten ihrer imperialen Vorstellungen über Russlands Zukunft.
Watty: Das ist also schon ein Teil des gewonnenen Kampfes um die russischen Seelen?
Schmid: Ja, auf alle Fälle. Eduard Limonow zum Beispiel führt in der regierungsnahen Zeitung "Iswestija" einen sehr patriotischen und Kreml-freundlichen Blog. Und das hilft natürlich, Zustimmung zur Regierung in der Bevölkerung zu erzeugen.
Watty: Sie werfen in Ihrem Buch, das sich auch mit diesem Thema beschäftigt, auch noch mal die These auf, dass das Ziel der Polittechnologie darin besteht, mit Überzeugungsstrategien, Sympathiesteuerung und ästhetischen Inszenierungen die Seelen – da sind sie wieder – der Menschen zu gewinnen. Allerdings tun das auch westliche Regierungen, die PR-Experten haben, sogenannte Spin-Doktoren, die natürlich versuchen, die Leute auf ihre Seite zu bringen oder von ihren Argumenten zu überzeugen. Da würden wir nicht gleich vom Seelenfangen sprechen. Was ist hier anders?
Schmid: Ich würde sagen, in Russland kann man sich auf eine lange Tradition dieses Seelenfängertums berufen. Im Prinzip sind das natürlich posttotalitäre Operationen, die hier durchgeführt werden. Aber Sie haben natürlich recht, es gibt natürlich auch im Westen Politiker und Vereinigungen, die begeistert sind von dem, was man heute in Russland beobachten kann. Dieser neue Wertekonsens, der ästhetisch inszeniert wird in Russland, der spricht ja auch westliche rechtspopulistische Parteien an. Denken Sie an die AfD, an den französischen Front National. Und vor kurzer Zeit hat ja zum Beispiel auch die österreichische Freiheitspartei, die ja jetzt an der Regierung ist, ein Kooperationsabkommen mit der russischen Regierungspartei Einiges Russland geschlossen.

Vorsicht mit dem Attribut "Diktatur"

Watty: Die jetzt heute vereidigt oder eingelobt werden. Sie sagen auch, Russland sei möglicherweise eine postmoderne Diktatur. Warum möglicherweise?
Schmid: Man muss ein bisschen vorsichtig sein mit dem Attribut "Diktatur". Russland ist sicher ein sehr autoritäres Regime. Aber auf der anderen Seite gibt es natürlich eben diese Zustimmung vor allem zum Präsidenten, und hier können wir ein Paradox beobachten: Seit 2014 bewegen sich die Zustimmungsraten zu Putin in schwindelerregenden Höhen von 80 bis 85 Prozent, und gleichzeitig ist man aber in der Bevölkerung sehr unzufrieden mit der Arbeit der Regierung, die offensichtlich in der Wahrnehmung des einfachen Bürgers ganz wenig mit dem Präsidenten zu tun hat. Das ist natürlich Unsinn, denn der russische Präsident ist extrem stark. Er könnte die Regierung von heute auf morgen einfach so entlassen.
Watty: Danke schön an Ulrich Schmid von der Uni St. Gallen. Das Buch, das er zum Thema geschrieben hat, heißt "Technologien der Seele. Vom Verfertigen der Wahrheit in der russischen Gegenwartskultur". Herr Schmid, vielen Dank für das Gespräch und schöne Grüße in die Schweiz!
Schmid: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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