Düster wie eine kommunistische Kassandra

Rezensiert von Klaus Möllering · 28.02.2010
Eric Hobsbawm analysiert in seinem Buch die großen Themen "Globalisierung, Demokratie und Terrorismus". Wer findet, dass diese Themen weit auseinanderliegen, merkt bald, warum Hans Magnus Enzensberger den Historiker als eigensinnigsten und souveränsten Kommunisten bezeichnete, der das 20. Jahrhundert überlebt hat.
Wer findet, dass diese drei Phänomene, die das Buch im Titel zusammenstellt, doch recht weit auseinanderliegen, wird bald merken, warum Hans Magnus Enzensberger den englischen Historiker Eric Hobsbawm als den eigensinnigsten, souveränsten und gelehrtesten Kommunisten bezeichnete, der das 20. Jahrhundert überlebt hat.

Es gibt zwei aufschlussreiche Verbindungsstücke, die Hobsbawm als missing links zwischen diesen drei Begriffen immer wieder anführt: den Nationalstaat, der jedoch immer mehr zerfällt. Und den Kapitalismus, der grenzübergreifend dazu beiträgt, dass sogar ganze Imperien zerfallen, die lange das Gesicht des Globus geprägt haben.

Das "Kurze 20. Jahrhundert", ein "Zeitalter der Extreme", wie er es in einem anderen Buch beschrieb, hat Hobsbawm selbst wach miterlebt, auch leidvoll miterlitten: 1917 im ägyptischen Alexandria geboren, in Österreich und Deutschland aufgewachsen, von dort 1933 geflohen, in Cambridge studiert, mit Professuren u. a. in London und New York sah der heute 92-Jährige die meisten Imperien voriger Jahrhunderte in extremen Umbrüchen verschwinden, nach dem britischen Empire sieht er nun auch die Hegemonie der USA am Ende.

Aber was dem Zeitalter der Imperien folgen wird, ist mehr als ungewiss. Das ist die Bilanz, die der vorliegenden Band in Aufsätzen, Reden und Essays zieht. Manches wiederholt sich deshalb in diesem Querschnitt durch Hobsbawms Werk und Denken. Detailkundig und anschaulich, aber düster wie eine kommunistische Kassandra bringt er bisherige politische Krisen, brüchige Gesellschaftskonzepte und bedrohliche Problemtrends auf den Punkt: So kann und so wird es nicht weitergehen. Aber wie dann?

Die Zahl der Nationalstaaten nimmt zwar immer mehr zu, aber ihre Bedeutung ab, wenn transnationale Konzerne viel folgenreichere Entscheidungen treffen – jedoch keineswegs demokratisch legitimiert.

Die repräsentative Demokratie, so notwendig und verbreitet sie auch sein mag, ist der Welt allerdings als Modell kaum mehr zu empfehlen. Konsumenten, Bürger, Steuerzahler können nun mal viel besser gegen etwas stimmen statt sich für etwas organisieren – die meisten Entscheidungen werden deshalb an der Öffentlichkeit vorbei im kleinen Kreis getroffen, meint Hobsbawm. Die Entscheidung für den Irakkrieg kam selbst in ausgewiesenen Demokratien wie den USA und Großbritannien gegen die Mehrheit der Bevölkerung bzw. hinter deren Rücken zustande.

Ohnehin verlieren staatliche Institutionen immer mehr an moralischer Legitimation und politischer Macht – Wahlmüdigkeit, grenzübergreifende Umwelt -Probleme, der Zuzug von Migranten aus aller Herren Länder in die Metropolen, die Zunahme von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit – der Problemkatalog ist groß. Und die Beispiele Hobsbawms sind anschaulich. Wenn die Gesellschaft viele ihrer Institutionen wie Wasserwerke, Schulen, sogar Gefängnisse, Postämter und Sozialdienste dem Markt ausliefert, wird sie in diesen Bereichen kaum mehr auf demokratische Weise mitentscheiden können.

Und wenn im Fußballgeschäft die profitablen Spitzenvereine in Konkurrenz treten zu Nationalmannschaften im Kampf um Spieler, Aufmerksamkeit und Geld, wird deutlich: Auch hier entscheidet der Markt. Weltweit beschleunigt die Globalisierung alle derartigen Erosionsprozesse noch – die ökologischen Probleme unseres Globus wird sie jedoch nicht lösen helfen.

Es wäre für das Buch zwar gut gewesen, wenn Hobsbawm die jüngste Weltwirtschafts- und Finanzkrise in seine Überlegungen mit aufgenommen hätte. Aber bestimmt wäre er auch dann bei seiner düsteren Meinung über unsere Zukunft geblieben.

Hobsbawms Fazit: "Wir stehen am Beginn des dritten Jahrtausend wie der legendäre Ire, der nach dem Weg nach Ballyhinch gefragt wird und nach kurzem Überlegen antwortet: 'Ich an Ihrer Stelle würde nicht von hier losgehen.' Aber wir können nur von hier losgehen."


Eric Hobsbawm: Globalisierung, Demokratie und Terrorismus
Deutscher Taschenbuch Verlag, 180 Seiten, 14,90 Euro
Cover: "Eric Hobsbawm: Globalisierung, Demokratie und Terrorismus"
Cover: "Eric Hobsbawm: Globalisierung, Demokratie und Terrorismus"© Deutscher Taschenbuch Verlag