Dror Mishani: "Drei"

Gefährliche Lektüre

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Buchcover zu "Drei" von Dror Mishani.
Eine Kriminalgeschichte voll ungewöhnlicher Wendungen: "Drei" von Dror Mishani. © Diogenes Verlag
Von Tobias Gohlis · 06.09.2019
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Drei Frauen begegnen einem Mann – Dror Mishanis Roman "Drei" beginnt als Beziehungsgeschichte. Erst allmählich entpuppt sich das Buch als ungewöhnlicher, grausam-verstörender Krimi, geschildert aus der Opferperspektive.
Dror Mishani aus Tel Aviv ist ein großartiger Schriftsteller und ein gewitzter Taktiker des Literaturmarketing. Den Start seines ersten Kriminalromans mit dem kleinen Inspektor Avi Avraham begleitete er mit Interviews, in denen er behauptete, Israel sei kein Land für Krimis. Was natürlich Quatsch war. Mishani unterrichtet als Dozent Kriminalliteratur - und israelische Autorinnen wie Shulamit Lapid und Batya Gur sind ihm selbstverständlich vertraut. In seinem neuen Roman "Drei" geht er noch raffinierter vor: Dass es sich um einen Kriminalroman handelt und nicht um einen Roman über eine neue Liebesbeziehung unter zwei Geschiedenen, merkt man erst auf Seite 125, am Ende des ersten Drittels von "Drei".

Verbrechen aus der Perspektive ihrer Opfer

Dror Mishani ist ein Meister in der Kunst, Verbrechen aus der Perspektive ihrer Opfer zu entwickeln. In "Drei" übertrifft er sich. Drei Frauen begegnen einem Mann, und alle drei projizieren ihre Sehnsüchte nach Geborgenheit, männlichem Schutz und Anerkennung auf diesen Rechtsanwalt Gil. Der gibt sich mal geschieden, mal getrennt lebend, verfügt über eine leere Wohnung in Tel Aviv, in der man sich treffen kann.
Er drängt sich nicht auf - und wenn es zum Sex kommt, denken die Frauen, er ginge von ihnen oder zumindest von beiden aus. Die erste ist Orna, Lehrerin, von ihrem Mann für eine Deutsche verlassen, fixiert darauf, ihren neunjährigen Sohn Eran gut durch die Schule, das Leben und die Trennung zu bringen. Emilia, die zweite Frau, ist Altenpflegerin aus Lettland und benötigt Gils Hilfe, um ihren Aufenthaltsstatus zu klären. Und Ella, die dritte, ist Soldatengattin, oft allein, Mutter dreier kleiner Töchter und Historikerin. Sie sehnt sich danach, nicht nur als "Gebärende" wahrgenommen zu werden.

Grausamkeit ohne Erklärung

Dror Mishanis Roman "Drei" ist eine gefährliche Lektüre. Auf mehreren Ebenen. Wer wie Orna und Emilia einen Schicksalsschlag zu verkraften hat, kann sich anderen nur zuwenden, wenn man über eine gewissen Portion Grundvertrauen verfügt. Dieses Grundvertrauen wird getäuscht werden – doch ohne dass der Leser, der diese Enttäuschung miterlebt, verstehen kann, warum und wieso. Zwar wird er teilnehmender Zeuge einer Art von ausgleichender Gerechtigkeit werden. Aber der Erzähler lässt ihn verstört und unbefriedigt zurück: Der Leser erhält keine Erklärung für die Bösartigkeit und Grausamkeit, die er miterleben musste.
Gerade deshalb ist Dror Mishanis "Drei" ein hervorragender Kriminalroman. Denn er handelt überaus kunstvoll vom heißen Kern unserer Moral – und dem der Kriminalliteratur: der Unbegreiflichkeit des Verbrechens.

Dror Mishani: "Drei"
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
Diogenes, Zürich 2019
336 Seiten, 24 Euro

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