Drogenpolitik in Leipzig

Was hilft gegen Heroinspritzen im Park?

Auf einem Stein im Park liegen Utensilien für den Heroinkonsum: Ein Teelöfel und eine Spritze.
Drogenbesteck eines Suchtkranken. Da sich in Leipzig neben einem zum Spritzen beliebten Park ein Kindergarten befindet, wird jetzt über die Einrichtung eines Suchtraums diskutiert. © imago/Jochen Tack
Von David Seeberg · 13.08.2018
In Leipzig ziehen sich Suchtkranke zum Spritzen in einen Park zurück, der direkt neben einem Kindergarten liegt. Ein Suchtraum könnte dem Abhilfe schaffen. Doch die Stadt setzt vorerst auf Repression. Mit den Suchtkranken selbst spricht niemand.
"Wenn man sich die Verbreitung von Crystal Meth in Europa anguckt, sieht man, dass sie nur in Tschechien, hier in Sachsen und ein bisschen in Franken verbreitet ist, aber zum Beispiel im Westen noch gar nicht", erklärt Michael Kluge, Suchttherapeut am Leipziger Uniklinikum. "Ich denke das ist eine Riesenlawine, die auf uns zurollt. Da habe ich schon Sorge. Das muss ich sagen."
"Ein Suchthilfesystem kann nicht auffangen, was eine Gesellschaft über Jahre hinweg übersehen oder ignoriert hat", sagt Silvia Lein, Suchtbeauftragte der Stadt Leipzig.
"Es sind wirklich sehr viele Drogenabhängige in Leipzig. So viele habe ich in den ganzen Jahren noch nicht mitbekommen", sagt Mareike, eine suchtkranke Leipzigerin.

Hot-Spot der Leipziger Drogenszene

"Und das ist unsere Kindergartenmauer hier", erklärt die Leipzigerin Marie Müller. "Das ist die vielbesagte Mauer. Da geht man eben hier hinten hin. Hoffentlich treten wir in nix."
Die "vielbesagte Mauer" steht im Leipziger Osten. Sie trennt den Garten einer Kindertagesstätte von einem kleinen öffentlichen Park. Marie Müllers Sohn besucht den Kindergarten. Heute zeigt sie mir die Mauer von der anderen, frei zugänglichen Seite.
"... und hier kann man halt schön abstellen. Und dann fallen die Sachen eben auch schnell mal rein, leider Gottes. Und dann sind die Sachen bei den Kindern drüben."
Wenn Marie Müller von "Sachen" spricht, meint sie eigentlich Spritzbesteck, Alufolien, Drogentütchen. Denn die Grünfläche neben dem Kindergarten ist ein Hot-Spot der Leipziger Drogenszene. Täglich spritzen Suchtkranke hier Heroin, ziehen Crystal Meth, rauchen Cannabis und trinken Alkohol. Deshalb suchen die Erzieher drei Mal täglich den Garten ab. Und das seit Jahren.
Eine heruntergekommene Parkbank steht vor einem Bauzaun, der eine mit Graffiti besprühte Mauer abschirmt, hinter der ein Gebäude hervorragt. 
Ein Bauzaun als drogenpolitische Antwort? Die "vielbesagte Kindergartenmauer" in Leipzig. © David Seeberg
"Die Kinder kriegen natürlich auch mit, wie die Drogenabhängigen sich verhalten, wenn sie die Drogen konsumiert haben", führt Marie Müller aus. "Da ist alles passiert. Mit Sex hinter der Mauer, auf Toilette gehen hinter der Mauer. Die machen dort alles. Streiten, Messerstechattacken, so dass schon tausendfach die Polizei gerufen wurde. Also wie gesagt: Wir reden ja hier nicht über das vergangene Jahr, sondern das geht schon seit vielen, vielen Jahren so."

Suchtraum oder Repression – die Stadt diskutiert

Letztes Jahr haben Eltern des Kindergartens deshalb beschlossen, aktiv zu werden. Im Leipziger Stadtrat forderten Sie die Einrichtung eines Drogenkonsumraums. In Drogenkonsumräumen können Suchtkranke in einem professionell abgesicherten Umfeld Drogen konsumieren.
Neben der Linken zeigten sich auch die Grünen, die SPD und die AFD offen für den Vorschlag, einen Drogenkonsumraum einzurichten. Leipzigs Sozialbürgermeister Thomas Fabian wies die Anfrage allerdings zurück. In seiner Stellungnahme erklärt er, dass die "Sucht - und – Drogenpolitischen Leitlinie ‚Repression‘ die konsequente Unterbindung von Szenebildung vorsieht."
Repression. Das ist die Verdrängung der Drogenkonsumenten aus dem öffentlichen Raum.
Marie Müller wohnt seit mehr als 4 Jahren ganz nah an den sogenannten Hot-Spots. Genauso lange beobachtet sie auch schon die Wirksamkeit von Repression und Polizeipräsenz.
"Dass man die eben irgendwie von einem Park in den nächsten schiebt, ist meiner Meinung nach keine wirkliche Lösung. Weil es wieder öffentlicher Raum ist, der von Kindern und Jugendlichen benutzt wird."

Mit den Suchtkranken spricht niemand

Aber was wäre eine Lösung? Nachdem ich mich eine Weile mit der Problematik in Leipzig beschäftigt habe, wird mir bei der Suche nach einer Antwort eines klar: Die einzigen, die bei der Debatte nicht zu Wort kommen, sind die Suchtkranken.
Ich frage mich, was sie von einem Drogenkonsumraum halten würden. Deshalb gehe ich auf die Szene zu. An einer Parkbank, gleich neben der Mauer des Kindergartens, spreche ich eine Gruppe an. Man kann ihnen ihre Krankheit ansehen. Sie begegnen mir mit Abweisung. Doch eine Frau ist bereit, mit mir zu sprechen. Am nächsten Tag treffen wir uns unter vier Augen. Sie möchte nicht, dass ihr richtiger Name veröffentlicht wird. Nennen wir sie Mareike.
"Ich bin 31 Jahre. Mit Drogen angefangen habe ich mit mit 13 - mit Kiffen. Mit 15 habe ich mit Heroin angefangen. Das hat sich bis jetzt mit kürzeren Pausen, nach vielen Entgiftungen und drei Therapien, fortgesetzt. Seit einem Jahr ist noch Crystal dazu gekommen."

Repression aus Sicht der Betroffenen

Ich frage Mareike, ob sie sich im Klaren über den Konflikt mit dem Kindergarten ist.
"Natürlich. Zurzeit ist es wahnsinnig auffällig, weil das Ordnungsamt fast täglich herkommt und die Leute hinten aus dem Busch jedes Mal nur vorschickt. Mehr können sie ja auch nicht machen. Die können dir ja jetzt nicht verbieten, dahinter zu gehen. Aber sie sagen jedes Mal, wir sollen da rausgehen. Naja, ansonsten kommen sie nur, wenn man auf der Bank irgendwie falsch sitzt."
Mareike erzählt mir, wie es aussieht, wenn die Polizei Kontrollen durchführt.
"Wir sehen die ja schon von weitem kommen. Und in dieser Zeit ist natürlich alles, was die Leute haben, entweder im Mund verschwunden oder oft auf der Erde. Da können sie dann auch nicht sagen: 'Hier das war deine Tüte.' Wenn sie es nicht grade gesehen haben. Geringe Chance bei den Leuten, dann auch wirklich was anzufinden."

Ein Suchtraum wäre "ein Stück Hoffnung"

Ich habe jetzt einen Eindruck davon bekommen, wie die ‚repressiven‘ Maßnahmen der Stadt in der Praxis aussehen. Was würde Mareike von Drogenkonsumräumen halten, wie es sie in anderen deutschen Städten schon seit mehr als 20 Jahren gibt?
"Es gibt viele Leute, die sich zwar spritzen wollen, es aber einfach nicht können. Und wenn dann jemand da ist… Oder auch das Zubehör: Das kostet ja auch Geld: Die Kanülen kosten Geld. Die Pumpen kosten Geld. Und ich weiß ganz genau, dass es viele Menschen gibt, die dann Uralte nehmen, die wirklich schon total stumpf sind und dann nochmal damit reingehen. Mit so stumpfen Nadeln stirbst du dann fast.
Das ist natürlich so ein Raum, wo die wissen, ich bekomme dort mein sauberes Zeug und so. Im Notfall ist da sogar jemand da. Das wäre vielleicht schon ein Stück Hoffnung, dass wir nicht wirklich allen egal sind und nur als Last gesehen werden."

Keine Ermutigung zum Spritzen

Ein Argument der Gegner von Drogenkonsumräumen lautet häufig, dass die Räume den illegalen Konsum noch verstärken würden. Mareike ist sich jedoch bewusst, dass ein Drogenkonsumraum keine Ermutigung zum Spritzen darstellen soll. Sondern Hilfe.
"Das hört sich ja fast so an, dass das dann ok. wäre für den Staat. Ihr nehmt nur die Drogen hier. Das ist uns dann schon bewusst, dass das so nicht gemeint ist, sondern dass es hier um die Hilfe geht, dass es nicht noch mehr Tote gibt oder einfach, dass wir Stellen haben, wo wir noch hingehen können. Das ist ja eigentlich eine gute Sache."
Nach dem Ende der Recherche für diesen Beitrag hat die Stadt dann doch noch eine neue Antwort auf das Problem des Kindergartens gefunden. Ein einfacher Bauzaun wurde zwischen Mauer und Parkbank aufgestellt. Mareike habe ich dort schon länger nicht mehr gesehen.

Wie eine andere Drogenpolitik aussehen kann, zeigt das 1986 eröffnete, von der Suchthilfe-Stiftung Contact getragene "Fixerstübli" in Bern. Der anfängliche Widerstand gegen die Einrichtung hat sich gelegt, zumal die Drogenszene durch das "Stübli" von der Straße verschwunden ist. Zwischen 40 und 70 Drogenabhängige suchen die Einrichtung täglich auf. Dietrich Karl Mäurer hat das "Fixerstübli" für eine Reportage besucht.

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Sein Fazit fällt positiv aus: "Der Ansatz des Fixerstüblis, der die Schadensminderung in den Mittelpunkt stellt, gliedert sich ein in das vier-Säulen-Konzept der Schweizer Drogenpolitik - neben Verboten, Prävention und Therapie. Das Konzept gilt für viele Länder als nachahmenswertes Beispiel, denn dadurch ist die Zahl der drogenbedingten Todesfälle zurückgegangen, ebenso die Zahl von HIV-Ansteckungen unter Drogenkonsumenten. Auch verringerte sich die Beschaffungskriminalität. Zudem wurde durch das Verschwinden der offenen Drogenszenen das Sicherheitsgefühl erhöht."
Sehen Sie hier auch Dietrich Karl Mäurers Eindrücke:
Ein kleines Gebäude hinter einem Sicherheitszaun
Das "Fixerstübli" in Bern.© Dietrich Karl Mäurer
Ein Schild an einem Zaun gibt Aufschluss darüber, dass hier Heroinspritzen umgetauscht werden können.
Hinweise zum Spritzenumtausch im Berner "Fixerstübli"© Dietrich Karl Mäurer
Ein Tresen, Sitzgelegenheiten und ein Kicker 
Blick in den Aufenthaltsraum des Berner "Fixerstüblis": Eine alkohol- und rauchfreie Caféteria mit Freizeitangeboten.© Dietrich Karl Mäurer
Utensilien für den Drogengebrauch liegen auf einer Auslage.
Herausgabe von frischem Spritzbesteck im Berner "Fixerstübli"© Dietrich Karl Mäurer
Eine Hygieneraum mit Hinweisen für Suchtkranke, sich vor dem Spritzen die Haut gut zu reinigen, um Infektionen zu vermeiden.
Der Waschraum im Berner "Fixerstübli". Nur wer sich gut gereinigt hat, kommt in den Konsumraum.© Dietrich Karl Mäurer
Ein Tisch mit Sitzgelegenheiten und Hilfsutensilien zum hygienischen Gebrauch des Drogenbestecks. An der Wand hängen Hinweise, wie sich die Klienten verhalten sollen.
Der Konsumraum im Berner "Fixerstübli". Sehr auffällig: die Hinweise zum richtigen Verhalten.© Dietrich Karl Mäurer
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