Justizvollzugsanstalt Tegel

Drogen im Gefängnis – ein lukratives Geschäft

Wachturm über einer Außenmauer der JVA Tegel in Berlin
Wachturm über einer Außenmauer der JVA Tegel in Berlin © dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini
Von Daniela Siebert · 19.04.2018
In Berlin gibt es 4.200 Inhaftierte, verteilt auf sieben Haftanstalten. Ein Viertel von ihnen konsumiert Drogen – wie kann das sein? Gefängnisse gehören zwar zu den bestbewachten Orten der Welt, aber Drogen werden auf vielen Wegen eingeschmuggelt.
"Es gibt, glaube ich, kein Gefängnis auf der Welt, das drogenfrei ist. Die Frage ist immer: Wie offensiv geht man mit dem Thema um?"
… sagt Martin Riemer, Leiter der Justizvollzugsanstalt Tegel. Und er geht offensiv damit um, weil er sich unseren Interviewfragen stellt und weil er offen einräumt, dass seine Anstalt überdurchschnittlich viel mit dem Problem zu tun hat. Über die Hälfte der Insassen in Tegel konsumieren Drogen, sagt Riemer. Die "Bild-Zeitung" behauptet sogar, seine JVA gelte unter hartnäckigen Konsumenten als bevorzugte Haftanstalt.
Tatsache ist, in der JVA Tegel gehören Drogen zum Gefängnis-Alltag. Erst am Tag vor unserem Interview gab es einen Vorfall: Zwei Gefangene kollabierten.
Martin Riemer: "Es ist während der Arbeitszeit in einem Arbeitsbetrieb bei zwei Gefangenen festgestellt worden, dass es denen offensichtlich nicht gut ging, die kaum ansprechbar waren. Das ist dann ein medizinischer Notfall gewesen, der dazu geführt hat, dass von außen ein RTW eingefahren ist, ein Rettungstransportwagen, und in beiden Fällen hat sich herausgestellt, dass es offensichtlich eine Intoxikation durch Spice-Konsum gewesen ist."
Beiden Männern gehe es wieder gut, berichtet der Gefängnisleiter. Spice ist ein verbotenes Rauschmittel, das synthetische Bestandteile enthält, bei dem die Konsumenten nie genau wissen können, welche Stoffe noch enthalten sind und welche Dosierung die richtige ist.
Mehrmals im Monat gebe es solche Notfälle, sagt Riemer.

Der Haftalltag wird lahmgelegt

Wie sehr der Drogenkonsum den Haftalltag beeinflusst, zeigen auch die Antworten der Redakteure* der Gefangenen-Zeitung "Lichtblick". Ihr Magazin erscheint alle paar Wochen. Erst im Januar titelten sie: "Drogensumpf JVA Tegel". Die Problematik sei im vergangenen Jahr sehr hoch gekocht, schreiben sie. Insbesondere Spice sei problematisch, antworten sie schriftlich auf Nachfragen von Deutschlandfunk Kultur. Dauernd gebe es deswegen Anstaltsalarm und der gewohnte Haftalltag werde lahmgelegt.
"Anstaltsalarm gleich: Alle Räder stehen still. Übersetzt: Ich wollte gerade zu meiner Sportgruppe. Niente. Ich wollte gerade einen Kuchen backen. Niente. Ich wollte gerade ins Besuchszentrum. Niente. Die Arbeiter in den Betrieben wollen Feierabend machen, kommen aber nicht in ihre Hafthäuser und müssen warten, bis der Alarm beendet ist. Die Inhaftierten möchten in die Freistunde in den Hof. Niente."
Auch die Drogenpäckchen, die immer wieder von außen über die Mauern reingeworfen werden, ärgern sie. Ihr eigener Freiraum beim Hofgang sei deswegen "erheblich verkleinert" worden, durch rot-weiße Absperrbänder. "Total doof" so die Redakteure, zumal die Päckchen auf diesem Weg kaum jemals die gewünschten Empfänger erreichten.
*Peter Müller hat jahrelang Drogen in der JVA Tegel konsumiert. Erst seit ein paar Monaten ist er wieder draußen. Weil auch er unerkannt bleiben will, verraten wir nicht seinen richtigen Namen. Vor seiner Gefängniszeit habe er nur Alkohol konsumiert, behauptet er, dort drin aber…
"…hauptsächlich Haschisch, früher halt auch andere Sachen, Heroin, aber nicht lange Zeit."
Viele Jahre hat Peter Müller hinter Mauern mit Gitterfenstern verbracht. Er hat dort Sport getrieben und Ausbildungsangebote genutzt. Warum also Drogen?
"Die Langeweile spielt da, glaube ich, eine große Rolle. Wenn man zum Beispiel guckt, auch jetzt noch, es wird ja jetzt Sommer, schönes Wetter, um halb fünf schließen die die Zellentür zu. Am Wochenende. Und dann bin ich im Sommer um halb fünf in meiner Zelle und sehe niemanden mehr bis zum nächsten Morgen. Was mache ich jetzt, es ist bis um zehn Uhr hell!?"

Mitgefangene oder Urlauber bringen Drogen mit

Die Drogen ins Gefängnis zu bekommen, sei kein Problem gewesen, erzählt der Ex-Häftling:
"Es gibt verschiedene Wege. Durch Mitgefangene kommen natürlich nur kleine Mengen in die Sprechstunde oder über Betriebe, irgendwie mit Lkw, die reinfahren, dass der eine oder andere draußen was hat verstecken lassen, oder Urlauber, die sich das anal einführen."
Im Gefängnis gebe es ausgeprägte Handelsstrukturen. Bei großen Liefermengen gehe die heiße Ware durch zahlreiche Häftlings-Hände, viele verdienten mit. Die Kehrseite:
"Diese Drogen bringen zum großen Teil natürlich auch viel Unruhe. Wenn jemand Drogen beschafft, er braucht ja das Geld dafür, egal wie, da wird auch mal der Mitgefangene beklaut. So Sachen laufen also auch. Oder dass Angehörige draußen richtig genötigt werden: Du musst mir jetzt das und das mitbringen – sei es Geld oder Drogen."
Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen), Justizsenator von Berlin
Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen), Justizsenator von Berlin© dpa / picture alliance / Paul Zinken
Im Gefängnis seien Drogen doppelt so teuer wie sonst, sagt Peter Müller. Mindestens. Trotzdem: Über ein Viertel der Berliner Gefängnisinsassen konsumierten Drogen, bilanziert der Justizsenator Dirk Behrendt. Viele davon mehr als eine Substanz. Besonders beliebt sind synthetische Drogen, Ecstasy oder Speed beispielsweise. Alkohol und Heroin spielten immer weniger eine Rolle.
Dirk Behrendt: "Mir machen immer Drogen am meisten Sorgen, die die Leute in ihrer Kontrollfähigkeit derart einschränken, dass sie womöglich übergriffig werden gegenüber meinen Mitarbeitern. Das ist jetzt bei Cannabis eher nicht der Fall, das ist gerade in diesem synthetischen Bereich häufiger, vor allem, wenn die Leute das auch nicht wirklich einschätzen können, wie das auf sie wirkt."
Bei Kontrollen würden vor allem Cannabis und Kokain sichergestellt, sagt der Grünen-Politiker und frühere Richter. Drogenkonsum im Gefängnis zu bekämpfen, sei zwar ein erklärtes Ziel, so Behrendt, doch den Import komplett stoppen zu können, daran glaubt weder der Justizsenator noch der JVA-Leiter Riemer. Auch, weil man nicht zu radikalen Maßnahmen greifen möchte, wie zu regelmäßigen Kontrollen von Körperöffnungen bei Häftlingen oder Mitarbeitern, die täglich von draußen in das Gefängnis kommen.
"Natürlich ist das beim Drogenschmuggel relevant. Das wird in der Mundhöhle eingeschmuggelt, das wird in der Vagina eingeschmuggelt und das wird im After eingeschmuggelt, da brauchen wir gar nicht drumrum reden. Oder sie klemmen sich das unter die Achseln und hoffen, dass das dann keiner findet. Und dann wird das eben kontrolliert, da werden auch die Körperöffnungen kontrolliert, aber da gibt es menschenrechtliche Grenzen, die wir dann auch wahren wollen und werden."
Natürlich finden in den Zellen und Gebäuden immer wieder Durchsuchungen statt, manchmal auch mit Drogenspürhunden. Wer erwischt wird, bekomme eine Anzeige, sagt Martin Riemer:
"Bei uns führt der Fund von Drogen, die wir Gefangenen zuordnen können, regelmäßig zu einer Strafanzeige und zu einem Disziplinarverfahren. Da gibt es ein paar Ausnahmen, aber das ist der Regelfall erstmal."
Ex-Häftling Peter Müller sagt von sich, er sei in all den Jahren nur zwei Mal erwischt worden.
"Bei mir ist was gefunden worden, aber kleine Mengen Haschisch. Hab‘ dann Nachschlag gekriegt, also Strafe, einmal sechs Wochen und einmal vier Wochen."

Es fehlen Therapiemöglichkeiten

Die Drogenbeauftragte des Landes Berlin, Christine Köhler-Azara, wundert sich nicht über den hohen Drogen-Konsum in den Gefängnissen. Bedauerlich findet sie, dass es dort nicht die gleiche Therapie-Vielfalt gebe wie draußen:
"Es finden zwar Gespräche mit Psychologen und so statt, aber nicht wirklich ein Therapieprogramm, wie wir das in anderen Einrichtungen haben. Im normalen Leben hat derjenige, der suchtkrank ist, eine Fülle von Wahlmöglichkeiten. Er kann sich also entscheiden, ob er ambulante Therapie machen möchte oder stationäre Therapie, ob er in eine kleine Einrichtung gehen möchte, so in Form einer Wohngemeinschaft, oder ob er lieber in eine klinikähnliche Einrichtung gehen möchte. Diese Wahlmöglichkeiten gibt es in der Haft nicht."
Eine Sonderregel gilt für Personen, die eine Haftstrafe unter zwei Jahren verbüßen müssen: Sie können wählen zwischen einer Therapie oder einem Gefängnis. 265 Personen hätten sich 2016 für eine Therapie entschieden, so der Justizsenator.
Ideen, wie sich das Problem Drogen im Knast verkleinern ließe, gibt es zahlreiche. Die Drogenbeauftrage setzt auf Risikoaufklärung und Hilfsangebote. Ex-Häftling Peter Müller wünscht sich, dass Handys und Computer erlaubt werden − auch gegen die Langeweile. Und JVA-Chef Martin Riemer wünscht sich neben mehr Hilfsangeboten und Therapien:
"Mehr Personal ist für dieses Problem, wie für viele Aufgaben, die wir haben, immer hilfreich. Ich würde mir ein Gefängnis wünschen, was nicht mitten in der Stadt liegt und wo man von allen Seiten erreichbar ist, weniger Dramatisierung, weniger Hysterie im Umgang mit diesem Thema, auch in den Medien."
Für eines der Hauptziele von Gefängnissen sind Drogen im Übrigen auch sehr hinderlich, sagt Martin Riemer. Drogenabhängige seien kaum zu resozialisieren, diese Menschen beschäftigten sich zu sehr damit, wo sie die nächste Dosis her bekommen können − nicht mit ihrem künftigen Leben.

* Anmerkung der Redaktion: Um die Rechte der Gefangenen zu schützen, haben wir die Namen nicht genannt bzw. geändert und die Originaltöne der Inhaftierten nachgesprochen bzw. verfremdet.
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