Illegalisierung hat "zu überhaupt nichts geführt"
Heute findet in Berlin die diesjährige Hanfparade statt, und nach dem Urteil zum Hanfanbau aus medizinischen Gründen hofft die Szene auf eine weitergehende Cannabis-Freigabe. Dem grünen Bundestagsabgeordneten Tom Koenigs geht das nicht weit genug: Er fordert die Legalisierung aller Drogen.
André Hatting: Die Hanfparade tourt heute wieder durch Berlin, zum 18. Mal demonstrieren die Veranstalter für die Freigabe von Cannabis. Am Anfang, 1997, wurden sie noch von vielen als spinnerte Randgruppe gesehen, denen es angeblich ja nur darum geht, sich straffrei die Birne vollzukiffen. Das hat sich aber im Laufe der Jahre verändert, und seit das Kölner Verwaltungsgericht Ende Juli den privaten Hanfanbau zu medizinischen Zwecken erlaubt hat, hat die Szene Oberwasser und fühlt sich in dem bestätigt, was sie seit Jahrzehnten sagt: Nicht die Drogen sind das Problem, sondern ihre Kriminalisierung. Das findet auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs. Guten Morgen, Herr Koenigs!
Tom Koenigs: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Fangen wir mal mit Cannabis an: Warum wollen Sie, dass Cannabis generell und nicht nur zu therapeutischen Zwecken erlaubt sein sollte?
Koenigs: Also Cannabis ist eine Droge wie Alkohol und Tabak auch, und zweifellos – das sage ich auch immer in Veranstaltungen: Kiffen macht blöd. Aber das stimmt für Alkohol auch. Und die Strategie, den Markt zu illegalisieren, hat nun zu überhaupt nichts geführt, sondern eher zu Schwierigkeiten. Gegenwärtig wird mehr Geld in die Verfolgung von Drogenkriminalität ausgegeben als in die Prävention. Und ich glaube, das ist der falsche Weg. Das gilt für mich auch für andere Drogen.
Hatting: Sogar für harte?
Koenigs: Auch für harte. Die Vereinten Nationen haben sich 1998 in einer Resolution der Generalversammlung zum Ziel gemacht: Angebotsreduzierung und Nachfragereduzierung. Beides ist nicht gelungen. Die einzigen Erfolge, die es gegeben hat in der Drogenpolitik, waren solche durch Entkriminalisierung und dann Beratung und Kontrolle. Deshalb bin ich für einen kontrollierten Markt, aber für eine Freigabe der Abgabe, so wie man zum Beispiel Medikamente bei der Abgabe kontrolliert. Gegenwärtig haben wir im illegalen Markt keinerlei Alterskontrolle, wir haben keinerlei Kontrolle der Inhaltsstoffe und auch keine Preiskontrolle. Dieses alles könnte man in einem kontrollierten, aber legalen Markt organisieren.
Der Drogenkrieg hat zu mehr Toten geführt als andere Kriege
Hatting: Aber wenn ich jetzt mein Heroin und mein Kokain in der Apotheke kaufen kann, wie andere da Kopfschmerztabletten kaufen, ist nicht durch die leichte Verfügbarkeit auch eine leichte Verführbarkeit dann gegeben?
Koenigs: Sie müssen natürlich aufklären. Gegenwärtig können Sie nicht aufklären, weil es alles illegal ist. Aber wenn Sie sich die Opfer ansehen, die Drogentoten, ...
Hatting: Entschuldigung, Herr Koenigs, Moment – wieso kann ich im Augenblick nicht aufklären, weil es illegal ist? Ich kann doch trotzdem sagen, welche Gefahr von Heroin und Cannabis ausgeht.
Koenigs: Sie können sagen, Sie können sagen, dass es illegal ist, Sie können aber zum Beispiel nicht sagen, was in einer Packung Heroin drin ist. Keinerlei Kontrolle gibt es da. Das können Sie bei jedem Medikament. Da gibt es einen Zettel, da gibt es Institutionen. Das können Sie aber bei Drogen nicht, weil es in der Illegalität ist. Da gibt es eine blaue Pille und irgendjemand sagt: Nimm das doch. Was da drin ist, weiß kein Mensch. Das ist in einem kontrollierten Abgabemarkt anders. Und bei der Entkriminalisierung gibt es ja Erfolge. Zum Beispiel ist die Anzahl der Drogentoten vermindert worden durch eine kontrollierte Abgabe, durch Druckräume, durch Möglichkeiten der Substitution, durch Ansprache der Abhängigen – und nicht durch Verbot. Ich glaube nicht, dass es weiter hilft, diesen Drogenkrieg, das ist es ja, vor allem in Mittelamerika, weiterzuführen, der offensichtlich zu mehr Toten geführt hat als in manchen anderen Kriegen. In Mittelamerika ...
Hatting: Ich muss noch mal, Herr Koenigs, ich muss ... Bevor wir darauf zu sprechen kommen, möchte ich doch noch mal über die Hemmschwelle sprechen. Also es ist in Deutschland so: Wenn man 18 ist, kann man Schnaps, Weinbrandt et cetera kaufen, und jährlich müssen 20.000 Kinder wegen Alkoholvergiftung ins Krankenhaus, eben weil es für sie ab 18 sehr leicht zu beschaffen ist. Sie kommen sehr leicht an Alkohol ran. Wenn ich mir vorstelle, dass die in die Apotheke gehen können und sich ein Päckchen Crystal Meth zum Beispiel, Designerdroge, kaufen, dann habe ich die Befürchtung, dass das die Hemmschwelle senkt.
Koenigs: Die Hemmschwelle wird gegenwärtig nicht durch den Preis bestimmt, denn Drogen sind teuer. Die Illegalität führt nur zu einem hohen Preis, zu einer anderen Kontrolle führt sie nicht. Sie kriegen nach wie vor jede Art von Drogen. Und die Hemmschwelle wird nicht durch einen niedrigen Preis erhöht oder erniedrigt, sie wird erniedrigt, sie wird überhaupt erst aufgebaut durch Information. Und die braucht man. Die kann man aber nicht geben, wenn alles das, was auf dem Markt ist, eigentlich undurchsichtig ist. Sie wissen ja gar nicht, was Sie kaufen, wenn Sie auf der Party irgendwas angeboten kriegen.
Es würde "wieder profitabel sein, Weizen anzubauen"
Hatting: Welche Folgen hätte denn eine Legalisierung – Sie haben das vorhin schon angedeutet – für die Anbaugebiete, Afghanistan oder Kolumbien zum Beispiel?
Koenigs: Entkriminalisierung.
Hatting: Entkriminalisierung, gut. Aber welche Folge hätte das für die Anbaugebiete?
Koenigs: Die erste Folge wäre, dass es einen Preis gäbe für diese Drogen, der sehr niedrig wäre, und damit wäre der Nutzen des Anbaus oder der Reiz des Anbaus sofort weg. Der Preis würde radikal runtergehen, und damit würde es wieder profitabel sein, Weizen anzubauen.
Hatting: Und Drogenbosse würden in Kolumbien damit nicht ihr Geld verdienen?
Koenigs: Das Geld wird ausschließlich durch die Intensität der Verfolgung verdient, weil dadurch die Preise riesig hoch werden, die Gewinnspannen gewaltig, und das ist nirgends zu kontrollieren. Es ist nirgends gelungen, Anbaukontrollen so durchzuführen, dass das zu einer Angebotsreduzierung führte. Und die Anbaugebiete ... Auch zum Beispiel der afghanische Präsident sagt völlig richtig: Ihr kriegt die Nachfrage nicht unter Kontrolle – wie soll ich den Anbau unter Kontrolle kriegen? Und die Nachfrage unter Kontrolle bringen heißt kontrollierte Abgabe, Entkriminalisierung und Aufklärung, systematische Aufklärung. Man muss über Drogen sprechen, auch über Alkohol.
Hatting: Der ja, wie wir wissen, sehr viele Menschen krank macht in Deutschland und sehr viele Menschen auch das Leben kostet.
Koenigs: Mehr als über harte Drogen.
Hatting: Der grüne Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs und warum er für die Entkriminalisierung auch von harten Drogen ist. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Koenigs!
Koenigs: Danke, Herr Hatting! Schönen Tag!
Hatting: Ebenso!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.