Drogenhandel

Die Spur des weißen Goldes

Ein zusammengerollter Geldschein neben zwei Linien Kokain
Hinterlässt seine Spuren: Kokain © picture alliance / Romain Fellens
Von Maike Albath · 29.05.2014
In seinem Buch "Zero Zero Zero" verfolgt der italienische Journalist Roberto Saviano die weltweiten Handelswege des Kokains. Einer Droge, die brutale Kriege entfesselt - und mafiösen Syndikaten zu mehr Macht und Reichtum verhilft.
"Das ist die wahre Macht der Camorra: Sie verwaltet das Leben und den Tod ihrer Leute, beides wird Teil der wirtschaftlichen Spekulation, so als sei das Leben ein spezielles Privileg. Jeder weiß genau, dass es jeden Moment vorbei sein kann."
Als Absolvent der philosophischen Fakultät, hat sich Roberto Saviano von Anfang an nicht nur für die Kriege zwischen den Clans interessiert, sondern für das Phänomen der Camorra an sich. Der 1979 in Neapel geborene und in Casal di Principe aufgewachsene Arztsohn wusste, wovon er sprach.
"Wenn ich diese Wirklichkeit nicht aus meinem eigenen Leben gekannt hätte und nicht von dort käme, hätte ich größere Schwierigkeiten gehabt, zu verstehen, was die Camorra ist. Man muss mittendrin groß geworden sein, um das zu begreifen, auch um sich selbst zu durchschauen. Am Anfang denkt man, es sei eine andere Welt, aber es ist eben gerade keine andere Welt. Als Teenager habe ich plötzlich auch angefangen, drei Ringe zu tragen, so wie die Camorra-Killer das in unserer Gegend machen. Ich wollte damit vor allem meine Mutter erschrecken. Damals habe ich diese Leute einfach nachgeahmt und mich so wie sie verhalten. Aber dann habe ich ziemlich bald gespürt, dass ich Position beziehen musste."
Das Ergebnis war Savianos dokumentarischer Roman "Gomorrha" über die Camorra, die man zuvor als wenig glamouröse Spielart der Mafia abgetan hatte. Der Ansatz des jungen Reporters war bahnbrechend: Plötzlich begriff man auch anderswo, wie Syndikate von der Globalisierung profitierten und zur Avantgarde des Kapitalismus wurden.
Wie Syndikate von der Globalisierung profitierten
"Die Camorristi sind keine Kriminellen, die sich eines Tages entscheiden, Unternehmer zu werden. Sie sind Unternehmer, die mit Hilfe des Verbrechens ganz unterschiedliche Marktbereiche abdecken. Sie investieren in Spanien, England, Deutschland, Polen. Gerade die Bosse aus Casal di Principe waren in osteuropäischen Staaten aktiv. Wenn man die Camorra bekämpfen wollte, dürfte man sie eben nicht als ein süditalienisches Phänomen begreifen, sondern als eine europäische Angelegenheit. Sie kommen nicht nur irgendwohin und kolonisieren einen Ort. Nein, die Camorristi geben im Ausland vor, international erfahrene Unternehmer zu sein, sie tun sich mit den ortsansässigen Geschäftsleuten zusammen, stellen Kapital und Know-how zur Verfügung und garantieren einen schnellen Profit."
Dieser Spur ist Saviano für sein neues Buch "Zero Zero Zero" nachgegangen. Er begann, die internationalen Handelswege von Kokain zu erkunden. Auf der Straße, die über Jahre sein Lebenselixier war, konnte er nicht mehr recherchieren. Roberto Saviano las stattdessen zentnerweise Akten, traf sich mit Informanten und ging unter einem Decknamen für ein paar Monate nach New York, wo er unbehelligt arbeiten konnte.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Cover: "ZeroZeroZero" von Roberto Saviano© Carl Hanser Verlag
Die Kokain-Konsumenten zwischen Madrid, Rom oder London sind das letzte Glied einer Kette, die bis nach Lateinamerika reicht, die Schwäche der Staatsapparate nutzt und brutale Kriege entfesselt. Der Autor führt uns von Schauplatz zu Schauplatz: Kolumbien in den 90er-Jahren, Mexiko um die Jahrtausendwende, Russland nach dem Ende des Kalten Krieges, wo das politische Machtvakuum den Banden riesige Freiräume bot, das ruhige Deutschland mit seinen Investitionsmöglichkeiten. Dann Kalabrien, wo die 'Ndrangheta herrscht und stetig an Macht gewinnt, und schließlich Afrika, das zu einem neuen Umschlagplatz für den europäischen Markt geworden ist.
Auf zahlengesättigte, dokumentarische Passagen folgen Geschichten wie die von Bebè, einem römisch-kalabresischen Unternehmer, der zu einem der ersten Broker des Kokainhandels wurde und die Geschäfte über Kanada abwickelte. Genauso haarsträubend ist der Aufstieg eines norditalienischen Firmeninhabers für Bodenbeläge, der ausgerechnet im erdbebenzerstörten L'Aquila eine Ausschreibung gewann und sein Unternehmen für Geldwäsche nutzte.
Ein aufrüttelndes, beunruhigendes Buch
Auch wenn die Namen mitunter vorbei rauschen, die Fülle der Fakten einen manchmal erschlägt und Saviano sich ab und zu in ein dröhnendes Pathos hineinsteigert - "ZeroZeroZero" ist ein aufrüttelndes Buch. Besonders beunruhigend wird die Lektüre, wenn der Autor erklärt, welche Rolle ein mafiöses russisches Unternehmen beim Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland spielte, wie Banken instrumentalisiert werden und auf welche Weise die Clans während der Wirtschaftskrise an Einfluss gewannen, weil sie schlichtweg für Liquidität sorgten. Ihr Erfolgsrezept: Sich legale Strukturen zunutze zu machen und zu unterwandern.
Die 'Ndrangheta operiert nach dem Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Prinzip: Immobilien, Gastronomie, Lebensmittel und Supermarktketten sind nur die äußere Erscheinungsform. Verblüffend ist außerdem, wie effizient die Syndikate sind: Findige Logistiker ändern fortwährend die Vertriebswege und sind den Ermittlern immer um mehrere Nasenlängen voraus.
Ihre Kraft gewinnt die dickleibige Studie aber vor allem aus der Haltung des Verfassers. Man spürt eine tiefe Empörung und echtes Entsetzen. Die Gier Westeuropas und der USA nach dem weißen Pulver sorgt in anderen Regionen für unterdrückerische Strukturen und verleiht den Organisationen ungeheure Macht, was kaum jemanden zu stören scheint."Zero Zero Zero" ist gerade keine sensationsheischende Berichterstattung, sondern eher ein verzweifelter Aufschrei. Die Philosophie der Camorra ist zu einem weltweiten Exportschlager geworden:
"Die Logik der Camorra ist folgende: Außer dem Business gibt es keine Regeln. Wenn das Business mit irgendwelchen Regeln in Widerstreit gerät, muss man diese Regeln ändern."

Roberto Saviano: Zero Zero Zero. Wie Kokain die Welt beherrscht.
Aus dem Italienischen von Rita Seuß und Walter Kögler
Carl Hanser Verlag, München 2014
479 Seiten, 24,90 Euro

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