Drive, Verspieltheit und Tragik

Von Brigitte Neumann · 25.04.2012
Das 2008 gegründete Quintett aus Dresden ist einmalig in der deutschen A-Capella-Szene. Auf dem Programm des Ensembles stehen selbst vertonte, selbst arrangierte zeitgenössische Gedichte. Die Musik der Wortartler ist E-Musik, enthält aber auch Elemente des Pop, Blues und vor allem des Jazz.
Schweben, allem Irdischen sich entheben, Dreck und Kleinkram unter sich lassen. Göttliche Gefilde ansteuern, Sehnsuchtsorte. Andere zahlen einen hohen Preis, um so etwas zu erleben, aber wir kriegen das hier einfach mal frei Haus geliefert.

"Je mehr ich das Stück singe, umso mehr wird mir die Musik, aber auch das Stück immer bewusster. Und das ist für mich immer das Schönste, wenn ich merke, ich arbeite mit dem Stück und es bewegt sich Stück für Stück etwas in mir, und dadurch kann ich es auch Stück für Stück anders singen und wiederum anders präsentieren. Und das macht glücklich, dieses Entwickeln."

Der Gesang von Wortart Ensemble, das sind fünf ausgebildete Sänger und Komponisten aus Dresden, er klingt wie ein Nachbeben ferner Tage, die noch frommes Pathos, Tragik und Magie kannten. Als wollten die Mittzwanziger unsere nüchterne, geheimnislose Zeit wiederverzaubern - mit ihren Stimmen.

Aber während der Zuhörer in Gefühlen schwelgt, hat der Sänger zu arbeiten. Lars Ziegler, geborener Rostocker und der musikalische Kopf des Vokalquintetts, ist vielleicht deshalb jeglicher Überschwang fremd.

"Naja, ne Gedichtvertonung ist ja an und für sich ein alter Hut sozusagen. Kunstlied Schumann oder Schubert, sind ja auch alles Gedichtvertonungen. Und so hatte ich also ein paar Gedichtvertonungen schon in petto als Solo - Klavier, Gesang - im Programm. Damals noch zu Schulzeiten. Und wir hatten einfach irgendwann vor, ein A-capella Ensemble zu gründen. Und dann hat sich das relativ schnell entwickelt irgendwie, ich weiß gar nicht genau, wie es dazu kam, dass wir dann auf der Basis dieser Gedichtvertonungen von Eva Strittmatter, dass da so A-Capella-Arrangements entstehen."

Musik Titel - "Sanft": Blau- Blau - Blau/ Vergissmeinnichte so blau/ auf andere Art, wie die Heuschrecke fiedelt/ auf andere Art, wie die Beeren aus Tau, aus Tau, aus Tau.

"Es ist schon spannend, wie man durch die Komposition und die Vertonung des Gedichts eine ganz neue Stimmung erschaffen kann. Und ich glaube, dass die Gedichte oder besondere Stellen der Gedichte anders aufgenommen werden vom Publikum durch die Vertonung und anders wahrgenommen, als wenn es jemand spricht. Das hat eine ganz andere Ebene dann."

Lena Sundermeyer wirkt knabenhaft verschmitzt, wie eine dieser Amordarstellungen auf barocken Gemälden. Wie die anderen vier Sänger des Vokalensembles gibt auch sie sich alle Mühe, mit ihrer Kunst das Geld zum Leben zu verdienen. Das bedeutet bis jetzt: Vielgleisig fahren. Sie ist Teil des preisgekrönten Jazzensembles Niniwe, sie ist Solistin und arbeitet als Musikpädagogin - eine verlässliche Einkommensquelle, die auch Hannah Ginsburg, Anne Munka, Christoph Mangel und Lars Ziegler schätzen. Das heißt für alle: volles Programm, auch am Wochenende.

Wolf Wondratschek hat hier den Text geliefert mit dem Gedicht "In den Autos", sein Rückblick auf die Siebziger. Was als Gedicht heute vielleicht ein wenig banal wirkt: Versehen mit der Musik von Lars Ziegler, gesungen vom Wortart Ensemble, erhält es den Drive, die Prise Verspieltheit und die Portion Tragik, die ihm wieder Gewicht verleiht.

"Ich find es ganz toll, Texte, die manchen Leuten nicht so leicht zugänglich sind, dass ich die verkörpern kann mit Musik und eben auch mit meiner Präsenz, dass ich die weiter geben kann in einem neuen Gewand. Und wenn die ankommen, das ist das größte Geschenk und das ist der Sinn für mich."

Hannah Ginsburgs Präsenz, das sind vor allem ihre Augen - rund und riesig, aber auch ihre filigrane Gestalt, aus der auf langem Atem ein klarer, reiner und kräftiger Sopran strömt.

Weil die 25-Jährige nicht nur eine großartige Stimme hat, sondern außerdem noch diese besondere Ausstrahlung, arbeitet sie nebenbei als Schauspielerin.

"Die Stimme ist ein ganz schwieriges Instrument. Man macht sich ... Es schwingt immer alles mit, was man fühlt. Und wie man gerade ist. Wie man auch miteinander ist im Ensemble."

Anne Munka ist die einzige geborene Sächsin im Ensemble und Kopf eines nach ihr benannten Jazzquartetts aus Dresden.

Wortart Ensemble, das sind fünf Solitäre. Das Ganze ist ein Glücksfall. Ein Glücksfall, den die Welt noch nicht gebührend zur Kenntnis genommen hat. Vielleicht auch deshalb, weil die Sänger selbst noch nicht so richtig davon überzeugt sind.

"Man ist halt irgendwie Künstler. Nicht irgendwie. Man ist Künstler! ... Oder so ..."
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