Dritte Staffel der ARD-Serie "Charité"

Das Krankenhaus direkt an der Mauer

08:24 Minuten
Vor der Charité wird eine Mauer errichtet - Soldaten halten Passanten zurück.
Die Serie "Charité" spielt nun in den 1960er-Jahren: Der Mauerbau in Berlin 1961 ist ein zentrales Thema. © ARD/Stanislav Honzik
Thomas Schnalke im Gespräch mit Stephan Karkowsky  · 12.01.2021
Audio herunterladen
Das Erfolgsprojekt "Charité" geht im Ersten in die dritte Runde: Die historische Krankenhaus-Serie ist in der DDR und den Jahren rund um den Mauerbau angekommen. Der Medizinhistoriker Thomas Schnalke war verantwortlich, dass keine "Soap" entsteht.
Stephan Karkowsky: Seit 2017 bereits läuft die historische Krankenhausserie "Charité" im Ersten – ein Riesenerfolg für die ARD, längst verkauft an Netflix, aber alle Folgen der ersten und zweiten Staffel finden Sie in der ARD-Mediathek und nun auch die nagelneue dritte Staffel von "Charité". Im Fernsehen startet sie heute.
Über diese dritte Staffel möchte ich mit einem Experten sprechen, der die Drehbuchautoren fachlich beraten hat. Der Leiter des Medizinhistorischen Museums der Charité ist Professor für Medizingeschichte und medizinische Museologie Thomas Schnalke. Die Geschichte eines der berühmtesten Krankenhäuser der Welt: In Staffel zwei ging es noch um die Nazizeit, worum geht’s jetzt in Staffel drei?
Schnalke: Ein großer Sprung, jetzt geht es um die Zeit des Mauerbaus, 13. August 1961, also wieder mit einer zeitlichen Distanz, und die Charité ist wieder mitten im Weltgeschehen.
Karkowsky: Die Charité 1961, vor 60 Jahren also, die lag direkt an der Mauer. Was war denn medizinhistorisch wichtig in dieser Zeit, was wurde da entdeckt, worum geht’s also?
Schnalke: Medizinhistorisch war es eine ganz zentrale Zeit. Man kann sagen, durch den Zweiten Weltkrieg war viel Entwicklung aufgehalten worden, und gerade mit einer Erholungsphase Ende der 50er-Jahre passiert sehr viel. Die Herzschrittmacher-Technologie wird zum Beispiel entwickelt und eingeführt, und eine große Herausforderung seinerzeit ist die Polioepidemie, also auch eine Viruserkrankung, die auch in der Charité für Furore sorgt.
Karkowsky: Nun liegt die Charité 1961 nicht mehr in dem Land, in dem Sie geboren wurden, Herr Schnalke, sondern in der DDR. War das ein Problem für Sie als Berater?
Schnalke: Eigentlich nicht. Ich bin als Historiker gewohnt, mich zurückliegenden Zeiten zuzuwenden, das heißt in den Quellen nachzulesen. Aber tatsächlich für die Beratung, wenn es um Stimmungslagen geht, um Einschätzungen, war es wichtig, dass wir den Beraterstab erweitert haben. Deswegen sind Kollegen dazugekommen, die selbst eine DDR-Sozialisation haben – aus dem Institut der Gerichtsmedizin Rainer Herrn und von den Rechtsmedizinern Sven Hartwig.

Radikaler Einschnitt durch den Mauerbau

Karkowsky: In den ersten Szenen der ersten Folge der dritten Staffel, da gibt es die Mauer noch nicht. Man sieht aber natürlich die Grenze, die man passieren muss zwischen Ost- und Westberlin. Wie hat denn dieser Mauerbau eigentlich die Arbeit in der Charité damals beeinflusst?
Schnalke: Das war ein radikaler Einschnitt. Man war grenznah gelegen, die grüne Grenze war aber durchlässig. Es haben viele medizinische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Westen gewohnt, in der Charité gearbeitet. Im Augenblick des Mauerbaus war das nicht mehr möglich. Das heißt 166 Mitarbeiter und Mitarbeiter waren von heute auf morgen nicht mehr da. Neun Professoren der Charité sind auch nur kurzfristig in den Westen gegangen, das war ein radikaler Bruch am 13 und 14. August.
Die Fortsetzung der ARD-Serie "Charité" spielt 1961, im Jahr des Mauerbaus. In den Hauptrollen v.l.n.r. : Kinderärztin Ingeborg Rapoport (Nina Kunzendorf), Serologe Prof. Otto Prokop (Philipp Hochmair), Gynäkologe Prof. Helmut Kraatz (Uwe Ochsenknecht) und die junge Ärztin Dr. Ella Wendt (Nina Gummich).
In der neuen Staffel der ARD-Serie "Charité" (v.l.n.r.): Kinderärztin Ingeborg Rapoport (Nina Kunzendorf), Serologe Prof. Otto Prokop (Philipp Hochmair), Gynäkologe Prof. Helmut Kraatz (Uwe Ochsenknecht) und die junge Ärztin Dr. Ella Wendt (Nina Gummich)© ARD/Stanislav Honzik
Karkowsky: Ein Brain-Drain sozusagen. Eine der Hauptfiguren dieser Staffel ist der Gerichtsmediziner Otto Prokop, ein Vorbild für Generationen von Gerichtsmedizinern und Kriminalbiologen nach ihm. Was war das für ein Mensch, was war sein großes Verdienst?
Schnalke: Er war als Wissenschaftler hoch angesehen als forensischer Blutgruppenforscher – das muss man ein bisschen erklären. Blutgruppen waren wichtig, um auch Tote zu identifizieren und auch bei Lebenden etwa in Vaterschaftsfragen genauer nachzufragen, wer war denn hier im Spiel. Er war als Forscher im Labor in der Lage, durch seine Forschung maßgeblich hier voranzugeben, und als Rechtsmediziner war er natürlich auch mit allen möglichen Todesfällen zugange. Er und seine Mitarbeiter haben über 35.000 Leichname seziert in 30 Jahren, also eine hohe Leistung auch auf diesem Gebiet.

Berlin als Zentrum der Rechtsmedizin

Karkowsky: Rechtsmediziner sind diejenigen, die feststellen, woran ist einer gestorben, hat es hier womöglich einen Kriminalfall gegeben. Gab es denn dieses Fach der Gerichtsmedizin schon vor ihm, weil er gilt immer so als der Vater der Gerichtsmedizin.
Schnalke: Das Fach gab es durchaus schon, es hieß früher nur anders. Staatsarzneikunde etwa, geht früh im 19. Jahrhundert schon los, entwickelt sich und hat in Berlin aber auch ein absolutes Zentrum hier. Das heißt, Prokop kommt dann 1957 aus dem Westen, wird dann nach Ostberlin berufen in ein eigentlich sehr geschichtsträchtiges Institut, das nur verwaist war – auch eine Folge des Zweiten Weltkriegs. Der vorherige Inhaber des Instituts, Herr Müller-Heß, war an die FU in Westberlin gegangen.
Karkowsky: Eine weitere wichtige Figur im Leben und in der Serie, historisch also, ist Ingeborg Rapoport. Wer war das?
Schnalke: Ingeborg Rapoport war eine Kinderärztin, die zusammen mit ihrem Ehemann Mitja Rapoport 1952 auch an die Charité nach Ostberlin kam und auch eine unglaublich interessante Frau ist und eine Biografie hat. Sie selber und ihr Mann waren beide überzeugte Sozialisten, Kommunisten. Sie gingen ganz bewusst nach Ostberlin, machen dort wissenschaftlich, fachlich, medizinisch Karriere. Sie ist diejenige, die in der Medizin im Grunde die Neonatologie, also die Neugeborenenheilkunde aufgestellt hat und hier Maßgebliches beigetragen hat.
"Charité" Serie: Die Charité liegt während der deutschen Teilung im Osten, in der DDR. Das berühmteste Krankenhaus Deutschlands im Spannungsfeld des Kalten Krieges. Ein Ort der Lehre, Forschung und Heilung – und das beste Krankenhaus im Ostblock. Doch Anfang der 60er Jahre blutet die Charité fast aus: Immer mehr Ärzte gehen in den Westen. Bis zum 13. August 1961. Fortan liegt das Krankenhaus im Mauerschatten. - Großer Hörsaal Anatomie in der Charité.
Der große Anatomie-Hörsaal der Charité ist einer der Originalschauplätze der TV-Serie.© rbb/Friedemann Rehse
Karkowsky: Es geht auch viel, in der ersten Folge zumindest, um die Männer- und Frauenbilder dieser Zeit 1961. Uwe Ochsenknecht spielt einen Gynäkologen, richtig?
Schnalke: Und gar nicht mal so schlecht, wie ich meine – er ist ja öfters, mir zumindest, im humoristischen Fach bekannt. Er spielt diesen Helmut Kraatz, einen älteren Gynäkologen, Geburtshelfer sehr, sehr authentisch als einen doch konservativen, aber sehr selbstbewussten und fachlich ausgewiesenen Mediziner. Er tut das bärbeißig und mit keiner Silbe irgendwie mit einem "twinkle in the eye".

Lob für ein kleines Kammerspiel

Karkowsky: Herr Schnalke, mal Hand aufs Herz, wie hart war Ihre Arbeit, wie oft mussten Sie einschreiten gegen allzu freizügige Drehbücher?
Schnalke: Es war schon hart in dem Sinne, weil wir gesagt haben oder uns immer gefragt haben, wer sind denn eigentlich die wirklichen historischen Protagonisten hier. Aus den vorherigen Serien war das klar – Virchow, Behring, Koch oder Sauerbruch, das waren so Granden. Jetzt ging es eigentlich eher in die Breite. Es waren mehrere Figuren, die mussten stimmungsmäßig zusammengeführt werden, und es durfte vor allen Dingen der politische Hintergrund nie außer Acht bleiben. Sonst würde es eine "Soap", und das sollte es nicht werden. Es ist keine "Mediziner-Soap", sondern doch ein historisch gegründetes fiktionales Stück.
Karkowsky: Wie sind Sie insgesamt zufrieden mit dieser dritten Staffel?
Porträt des Medizinhistorikers Thomas Schnalke.
Der Medizinhistoriker Thomas Schnalke© privat
Schnalke: Recht zufrieden, muss ich sagen, denn es ist natürlich ein kleines Kammerspiel. Sicherlich punktuell fokussiert auf einen engeren Zeitraum, aber es ist ein Gate-Opener. Die Leute interessieren sich plötzlich für Medizingeschichte und können auch in anderen Formaten dann Informationen bekommen, etwa auch heute Abend in der Dokumentation, die nachgängig ausgestrahlt wird. Oder wir bereiten eine Ausstellung zu Otto Prokop vor. Das heißt, das Interesse wird geweckt, gerade durch so eine unterhaltende Serie. Unterhaltung ist ja ein toller Begriff – und kann anderweitig befriedigt werden.
Karkowsky: Wenn man als echter Charité-Professor so eng eingebunden wird in so eine Fernsehproduktion, müssen Sie da manchmal auch den Spott von Kollegen ertragen, die Sie ansprechen und sagen, Mensch, Thomas, so war das doch gar nicht damals?
Schnalke: Natürlich, gerade bei der jetzigen Folge ist es so, dass viele ältere Kollegen dabei waren. Da hat jeder seine eigene Geschichte, und die werden kommen und werden sagen, so war es nicht, es war ganz anders. Da werde ich sagen, natürlich, es war immer ganz anders. Das ist im historischen Rückblick so. Das werde ich aushalten können, weil es tatsächlich eine Bühne gibt. Ein Impulsgenerator ist diese Serie, um dann nachzulegen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema