Dresscodes in Politik und Wirtschaft

Fake durch Flausch

Sergio Marchionne reibt sich die Augen. Er trägt einen dunkelblauen Pullover.
Weiche Wollpullover waren sein Markenzeichen: Der langjährige Fiat-Chef Sergio Marchionne (1952-2018) gehörte zu den ersten Topmanagern, die auf straffe Anzüge verzichteten. © imago / Italy Photo Press / Victor Matfiled
Ein Einwurf von Uwe Bork · 28.04.2022
Sweater statt Schlips: Inzwischen ist bei den Spitzen unserer Gesellschaft eine neue Lockerheit angesagt. Aber bedeutet diese modische Umorientierung auch, dass oben und unten näher zusammenrücken? Der Journalist Uwe Bork hat da so seine Zweifel.
Sergio Marchionne mochte es gern flauschig. Markenzeichen des langjährigen Fiat-Chefs waren dunkle, weiche Wollpullover. Bereits vor mehr als einem Jahrzehnt gehörte er damit zu den ersten Topmanagern, die straffe Anzüge, steife Kragen und erstickende Krawattenknoten aus ihrem persönlichen Dresscode strichen.
Augenscheinlich wirkte der 2018 verstorbene Italo-Kanadier mit seiner Vorliebe für einen lockeren Look durchaus stilbildend: Tritt heute doch kaum noch ein mächtiger Macher aus Politik und Wirtschaft ohne souverän gelockerten Kragenknopf vor die Presse oder ans Rednerpult.
Elektro-Pionier Elon Musk, mit einem Vermögen von grob geschätzt 250 Milliarden Dollar gegenwärtig reichster Mensch der Welt, toppt seine gewollt legeren Auftritte im schwarzen Sweater sogar noch gelegentlich durch – wahrscheinlich weniger gewollt - ungelenke Dance-Moves.

Mit Dreitagebart und Hoodie

Auf der politischen Bühne zeigen gerade vor allem Vize-Kanzler Robert Habeck mit lässiger Eleganz und Emmanuel Macron mit betonter Jugendlichkeit, wohin der modische Hase läuft. Der französische Präsident inszenierte sich im Netz jüngst demonstrativ mit Jeans, Dreitagebart und schwarzem Hoodie, einem Kleidungsstück, das die Älteren unter uns noch als Kapuzenpullover schätzten oder verabscheuten.
Macrons Auftritt macht deutlich, dass die öffentlich zelebrierte Abkehr von der Förmlichkeit keinesfalls einer zufälligen Formlosigkeit gehorcht. Ganz im Gegenteil.
Auf seinem Hoodie prangt unübersehbar das Logo einer Spezialeinheit der französischen Luftwaffe. Geboten wird hier also mitnichten ein spontaner Blick hinter die Kulissen des Elysée-Palastes.
Das von der offiziellen Präsidentenfotografin aufgenommene Bild soll vielmehr eine klare Botschaft vermitteln, eine klare Botschaft der Stärke: Dieser Präsident hat – Verzeihung – Eier in der Hose, er steht zu seinem Militär als Mittel der Politik. So, wie die Weltläufte nun einmal sind.

Nur Klamotten wechseln reicht nicht

Auch die scheinbar so jovialen Auftritte der Businessbosse sind nicht ohne Botschaft. Blue Jeans statt Bügelfalten und Shirt statt Schlips: Einmal abgesehen davon, dass Casual Wear durchaus bequemer zu tragen ist als der klassische Nadelstreifen, reicht ein einfacher Wechsel der Garderobe für einen Wechsel der Werte keinesfalls aus.
Damit Manager und Malocher Konflikte abbauen können und Hierarchien flacher werden, dafür muss schon etwas mehr geschehen, als dass die Hochflorteppiche der Vorstandsetagen nun durch Sneakers und nicht mehr durch handgefertigte Budapester flachgetreten werden.
Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse verändern sich nicht dadurch, dass Vorstandsmitglieder und Bandarbeiter inzwischen oft so aussehen, als würden sie dieselben Sorgen teilen und ihr Feierabendbier in derselben Kneipe trinken. Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse verändern sich durch Druck und Debatten in Betrieben und Parlamenten. Und manchmal auch auf der Straße.

Lockerheit als Masche

So dürften denn selbst bei Sergio Marchionne die weichen Maschen seiner weichen Pullover ebenfalls nur Masche gewesen sein, Fake durch Flausch gewissermaßen.
Der millionenschwere Workaholic galt trotz seines unkonventionellen Auftritts als eisenharter Sanierer und Verhandler mit augenfälligem Hang zur Egozentrik. Doch immerhin: Man hat ihm den lockeren Look abgekauft, bis heute.
Das schafft nicht jeder: Als Olaf Scholz beispielsweise unlängst bei einem Transatlantikflug im schlichten grauen Pullover vor die mitreisende Presse trat, wurde ihm medial vorgeworfen, sein Outfit sei „kurz vor der Jogging-Hose“ und passe doch eher in einen Baumarkt als in eine Regierungszentrale.
Der Schritt zwischen kühl und cool ist für manchen offensichtlich einfach zu groß.

Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion „Religion, Kirche und Gesellschaft“ des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Uwe Bork arbeitet als Autor, Referent und freier Journalist.

Der Journalist Uwe Bork
© Deutschlandradio / Manfred Hilling
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