Dresdner Frauenkirche in der Coronakrise

Predigt vor dem leeren Kirchenschiff

08:41 Minuten
Das leere Kirchenschiff in der Frauenkirche
Dieses Jahr sehr häufig zu sehen: Das Kirchenschiff bleibt leer. Dafür tragen schreiben Gläubige ihre Gedanken in Besuchsbücher. © Deutschlandradio / Alexandra Gerlach
Von Alexandra Gerlach · 22.12.2020
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Auch die Kirchen sind von der Coronakrise stark betroffen. Gleichzeitig suchen viele Menschen Halt im Glauben. Ein vorweihnachtlicher Besuch in der Dresdner Frauenkirche.
Kurz vor dem 4. Advent herrscht geisterhafte Leere in der Dresdner Innenstadt. Es ist Mittagszeit, und der sonst quirlige Neumarkt ist verwaist.
Nur wenige Schritte entfernt hat die Frauenkirche ihre Eingangstore weit geöffnet, zur Mittagsstunde lädt sie zu einer kurzen Andacht mit Orgelspiel ein. Im Eingang stehen der Küster und zwei Mitarbeiterinnen des Besucherdienstes und begrüßen mich. Um fünf vor zwölf bin ich der einzige Gast.

"Es ist ein anderer Advent"

Dann schaut noch ein etwa 50-Jähriger im sportlichen Dress vorbei. Er kommt aus Parchim in Mecklenburg-Vorpommern und hat, wie er sagt, mit der Kirche normalerweise nichts am Hut, will nur mal einen Blick in die berühmte Frauenkirche werfen.
Angelika Behnke ist seit 2016 Pfarrerin an der Frauenkirche Dresden. Als sie an diesem Vormittag auf die Kanzel tritt, lässt sie sich nicht anmerken, wie das leere Kirchenschiff auf sie wirkt:
"Es ist ein anderer Advent. Besinnlich in der Weise, als dass es jetzt wirklich um existenzielle Fragen geht, angesichts der Pandemie und der Entwicklung der steigenden Zahlen, auch der Todeszahlen. Und ich kann das eben nicht verdrängen mit dem Striezelmarkt-Besuch oder mit Firmenadventsfeiern oder mit Einkaufstouren, sondern ich werde darauf gestoßen. Kann gar nicht mehr daran vorbei."
Die Frauenkirche in Dresden
Wie viele andere Gotteshäuser, ist auch die Frauenkirche stark von der Coronakrise betroffen.© imago images / Westend61
"Und das merkt man auch bei den Menschen: Die sind einerseits sehr bedrückt, weil sie damit schlecht umgehen können und erst mal nach Antworten suchen, warum sich das Leben jetzt so gravierend geändert hat, warum es so gefährdet plötzlich ist, und kommen dann auch mal auf den Gedanken, jetzt in die Kirche zu gehen."

Die Coronafolgen zeigen sich in den Besucherbüchern

Gerade deshalb halte die Frauenkirche die Türen unter der Woche jeden Mittag offen für die Andacht, sagt Behnke. Ein Blick in die Besucherbücher der Frauenkirche unterstreicht die Worte der Pfarrerin und Seelsorgerin. Die Bücher liegen immer auf einem kleinen Pult neben dem verrußten und verbeulten, vom Krieg gezeichneten ehemaligen Turmkreuz, das mahnend seitlich im Kirchenraum steht. Jeder Besucher kann sich hier eintragen und seine Gedanken zu Papier bringen, seiner Freude Ausdruck geben oder eine Fürbitte oder einen Dank aufschreiben.
"Ein Licht für unseren geliebten Papa und Opa, Liebe an Dich, ein Licht für meine Tochter Jasmin. Eine Kerze für meinen Opa Herbert, der leider an Corona einsam im Krankenhaus verstarb. Friede sei mit Dir. Bleibt gesund!"
Besucherbuch der Frauenkirche
Die Coronakrise beschäftigt die Besucherinnen und Besucher.© Deutschlandradio / Alexandra Gerlach
Die Eintragungen der Besucher in den Zeiten vor der Pandemie unterscheiden sich deutlich von den jetzigen aus diesem Jahr. Nur wenige widmen sich noch der Schönheit und Besonderheit der aus Spenden wieder aufgebauten Kirche im Herzen von Dresden.

Viele Veranstaltungen fallen aus

Die Pandemie und all die daraus folgenden Einschränkungen haben auch die Musik in der Dresdner Frauenkirche verstummen lassen. Der digitale Veranstaltungskalender offenbart die zahlreichen Absagen hochkarätiger Kirchenkonzerte und Oratorien und wird fortlaufend aktualisiert. Gerade jetzt, im Advent und der nachfolgenden Weihnachtszeit, wäre eigentlich Hochsaison für die Kirchenmusik. Maria Noth, Geschäftsführerin der Stiftung Frauenkirche Dresden, zieht Bilanz:
"Finanziell ist das Jahr 2020 für uns, als sich ja zum größten Teil selbsttragende gemeinnützige Stiftung, natürlich sehr, sehr schwierig. Wir leisten das mit Unterstützung unserer vielen Spenderinnen und Spender, nah und fern, in Deutschland und auch darüber hinaus. Und wir werden das auch miteinander weiter stemmen, wenn ich jetzt mal in das Jahr 2021 schaue, durch Partizipation, über das Miteinander von vielen."

Spenden aus aller Welt

Die Stiftung, die einen Löwenanteil für den Unterhalt und Betrieb der Kirche aufbringen muss, ist dringend auf Einnahmen angewiesen, die in diesem Jahr pandemiebedingt wegfallen. Besonders dankbar schaut Geschäftsführerin Noth auf die Unterstützer in aller Welt: "Unsere Spenderinnen und Spender haben uns in diesem Jahr sehr die Stange gehalten und uns deutlich gezeigt, wie viel Wert ihnen die Frauenkirche ist, auch wenn Dinge nicht stattfinden können oder anders stattfinden als sonst."
Viel Neuland musste in diesem ungewöhnlichen Jahr betreten werden., Gottesdienste und andere Veranstaltungen wurden in das Digitale übertragen, ständig müssen die Bedingungen an die aktuelle Lage angepasst werden, um den täglichen Betrieb und die Gottesdienste und Angebote Corona-tauglich möglich zu machen.

Einlass ins Heiligtum

"Wo man auch zu neuer Kreativität angeregt und herausgefordert wird, was können wir denn noch machen, woran wir noch gar nicht gedacht haben? Das macht auch Spaß, weil man das dann im Team entwickelt."
Das betrifft unter anderem auch die Verkündigung des Evangeliums. In einer Andacht lädt die Pfarrerin beispielsweise ein, direkt im Altarraum – der sonst nur bei ganz feierlichen Anlässen, wie Hochzeiten oder Taufen, für Gläubige geöffnet ist – das geistliche Wort zu hören.
Ein Angebot, das auch den zufällig anwesenden, kirchenfernen Andachtsbesucher aus dem hohen Norden beeindruckt: "Ja, dass wir nach vorne gehen dürfen, das ist schon ein Hammer, das werde ich mein Lebtag nicht vergessen."

Flexibel bleiben

Für Pfarrerin Angelika Behnke ist das ein schöner Erfolg. Es bedeutet aber auch, dass sie flexibel bleiben muss. Besinnlicher wird dieser Advent daher für sie nicht:
"Nein! Weil wir ständig damit beschäftigt sind, nachzujustieren, zu gucken, was sind die Verordnungen, wie passen wir die an. Die Schnelligkeit der Entscheidungen ist erhöht und lädt gar nicht ein zur Besinnlichkeit, die Verantwortung ist größer, also auch für das Team, die Kommunikation ist verstärkt, anders geworden, digitaler, und auch das ist sehr anstrengend. Ich bin am Abend völlig erledigt, erledigter als sonst."
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