Dramatiker Heiner Müller

„Der Terror, von dem ich schreibe, kommt aus Deutschland“

53:30 Minuten
Heiner Müller von schräg hinten Zigarre rauchend während einer Pressekonferenz.
Viele Texte Heiner Müllers waren in der DDR verboten. © Imago / Rolf Zöllner
Von Michael Opitz |
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Vor 25 Jahren starb Heiner Müller. Seine traumatischen Erfahrungen im Nationalsozialismus brachten ihn dazu, sich für die DDR zu engagieren. Doch „die Erweiterung des Möglichen“ durch Vergessenes und Tote verstand man als Bedrohung.
Heiner Müller ist einer der bedeutendsten Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Seine Texte wecken keine falschen Hoffnungen, ihr Autor ist resistent gegenüber allen Spielarten von Sentimentalität.
Müller zerrt wortgewaltig immer wieder Unerledigtes hervor, macht sich auf in die Keller, fragt nach den Erschlagenen, den Leichen und schreibt Literatur aus der Perspektive von unten, nicht aus der der Sieger. Theater ist für ihn immer Einmischung und Totenbeschwörung: Die Toten sollten die Hoffnungen hergeben, die mit ihnen begraben wurden.

Der Blutstrom namens Geschichte

Daher geht es in Müllers Theatertexten immer wieder um Terror, Gewalt und Verrat. Schonungslos analysiert er die Geburtsfehler von Gesellschaftssystemen. Auf der Suche nach den Anfängen für das Misslingen verschlägt es Müller in die Abgründe der Historie. Er entdeckt den nicht versiegenden Blutstrom namens Geschichte, der sich vom Mythos bis in die Gegenwart erstreckt, und verschreibt sich ihm. Die Steinbrüche und Trümmerstätten an den Ufern dieses Stromes gerinnen in Müllers Texten zu Gleichnissen für verschüttete Hoffnungen.
Die Welt ist ein Schlachthaus. Heiner Müller wird bereits als Kind mit Furcht und Schrecken konfrontiert. Die Verhaftung des Vaters 1933 durch die neuen braunen Machthaber bezeichnet er als die erste Szene seines Theaters.
Diese ist eine Initiationsszene, festgehalten in dem 1958 entstandenen Prosatext "Der Vater". Doch das Stück, das vor dem Minderjährigen aufgeführt wird, heißt Wirklichkeit. Es ist ein Daseinsspiel von brutaler Komik, in dem es immer ums Ganze geht - um Leben und Tod.

An der DDR gewetzte Dialektik

Heiner Müller starb am 30. Dezember 1995, und Durs Grünbein schrieb im Nachruf: "Der Meister ist tot." Kein Schriftsteller aus der DDR, keiner aus der BRD konnte es nach 1989 im größeren Deutschland mit seinem Nimbus und seiner Präsenz aufnehmen.
Müller war überall: Auf den Bühnen, die seine Stücke so oft spielten wie Jahrzehnte zuvor in der DDR nicht; auf vielerlei Podien, wo er mit Whiskyglas, Zigarre und knarrender Stimme eine lässige Figur machte; auf der Mattscheibe, die seinen dialektischen Sarkasmus zelebrierte; in Büchern, Zeitungen und Magazinen, in denen er mit Ausführungen "Zur Lage der Nation", zu Bonobo-Äffchen und unausweichlichen Fluchtpunkten ("Das Böse ist die Zukunft") die intellektuelle Kassandra gab. Heiner Müller hatte mit der DDR seinen Lieblingsgegner verloren, wurde aber mit den in ihr entstandenen Hoffnungs- und Enttäuschungsbeständen Kult.
(pla)
Die Sendung ist eine Wiederholung vom 6. Januar 2004.
Das Manuskript können Sie hier herunterladen.

Es sprechen: Hermann Treusch und Oliver Nitsche
Ton: Ralph Seidler
Regie: Rita Höhne
Redaktion: Sigried Wesener

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