Drama über Rassismus in Ungarn

Von Jörg Taszman · 17.07.2013
Ihr Alltag ist geprägt von Armut, Rassismus und Gewalt. In seinem neuen Film erzählt Bence Fliegauf über das Leben eine Romafamilie in Ungarn – überzeugend und ohne politisch korrekte Betroffenheit.
"Es ist nur der Wind, Kinder. Schlaft jetzt", sagt Mari, die Mutter, den verschreckten Kindern nach dem Einbruch in der Nacht. Später hört man Schüsse und sieht wie Rio, ein etwa zehnjähriger Romajunge, um sein Leben rennt.

"Nur der Wind", so lautet die deutsche Übersetzung des ungarischen Films "Csak a Szél", der nun 17 Monate nach seiner Weltpremiere auf der Berlinale endlich auch in die deutschen Kinos gelangt. Warum der Film nun unter dem englischen Festivaltitel "Just the Wind" gezeigt wird, bleibt eine offene Frage an den deutschen Verleiher. Der Film des 1974 geborenen Bence Fliegauf basiert auf einer Mordserie an ungarischen Roma, der zwischen 2008 und 2009 insgesamt acht Menschen, darunter auch Kinder, zum Opfer fielen. Bence Fliegauf weist im Vorspann seines Filmes darauf hin, dass seine Version eine fiktionale Aufarbeitung ist.

Der Autor und Regisseur erzählt aus dem Alltag einer Romafamilie, thematisiert dabei auch die Armut und den Rassismus, der den Familienmitgliedern ständig widerfährt. "Csak a szél" beginnt mit Rio, der im Abendsonnenlicht über eine Wiese läuft. Es gibt seltene poetische Momente wie eine Kissenschlacht unter Jungs oder wenn Anna, Rios Schwester, ihrer kleinen Cousine Zita im See die Haare wäscht.

Fliegauf vermeidet ein politisch korrektes Betroffenheitskino und zeigt nicht nur den Rassismus im Kleinen, sondern eine insgesamt verrohte ungarische Gesellschaft in der Provinz. So wird auch die Mutter Mari auf dem Nachhauseweg sexuell von betrunkenen Romamännern belästigt, die kurz darauf einem Ungarn, der zufällig vorbeikommt, mit Prügel drohen. In einer Schlüsselszene vergewaltigen pubertierende ungarische Schüler eine gleichaltriges blondes Mädchen in einem Umkleideraum der Schule. Anna, die Roma, wird stumme Zeugin. Mit gesenktem Blick verlässt sie den Tatort. Sie holt keine Hilfe.

Bence Fliegauf, der bisher als Benedek Fliegauf mehr für gediegenes kunstgewerblich angehauchtes Arthauskino wie "Dealer" oder "Womb" stand, beweist diesmal, dass er auch schnörkellos und überzeugend eine Geschichte erzählen kann. Sein Film gewann völlig zu Recht den Silbernen Bären auf der Berlinale 2012.

Mehr Informationen auf der Film-Website

Ungarn/Deutschland/Frankreich, 2012; Regie: Bence Fliegauf; Darsteller: Lajos Sárkány, Katalin Toldi, Gyöngyi Lendvai, György Toldi; 98 Minuten; ohne Altersbeschränkung
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