Dorothee Bär (CSU) über Digitalisierung in Deutschland

"Es wäre schön, wenn wir den Bedenkenträgermantel abwerfen"

Digitalstaatsministerin Dorothee Bär, CSU, bei einer Pressekonferenz in Berlin
Digitalstaatsministerin Dorothee Bär, CSU, bei einer Pressekonferenz in Berlin © imago/Metodi Popow
Moderation: Annette Riedel · 23.02.2019
Bis zum Jahr 2022 wird die Verwaltung in Deutschland digitalisiert sein, sagt Staatsministerin Dorothee Bär. Zugleich stellt die CSU-Politikerin fest, dass die Deutschen eine besonders große Angst vorm Wandel hätten.
Die Digitalisierung führt zu den wohl größten gesellschaftlichen Umwälzungen seit der Erfindung der Dampfmaschine. Deutschland hinkt den Entwicklungen im Vergleich zu anderen Industrienationen um einiges hinterher. Das soll sich ändern.
Genau 73 Mal taucht das Wort "digital" im Koalitionsvertrag der Großen Koalition auf – mehr als in jedem anderen zuvor. Um Anschluss an die Weltspitze bei den technologischen Entwicklung und vor allem deren Nutzung in der Praxis zu finden, muss einiges passieren.
Das fängt beim Netzausbau an und hört bei der Aufholjagd in Sachen "Künstliche Intelligenz" nicht auf. Der Ankündigungen und Absichtserklärungen gibt es viele, aber bei der Umsetzung scheint noch einige Luft nach oben.
Die Politik ist gefragt, einen Ausgleich zu finden: Zwischen Daten als Währung und dem Datenschutz. Zwischen berechtigten Gewinninteressen der Internetgiganten und dem Gemeinwohl. Zwischen kritischer Technik-Folgen-Abschätzung und Zukunftsoptimismus. Und sie muss Teilhabe für alle organisieren. Keine leichte Aufgabe.
Die erste Staatsministerin für Digitales in Deutschland, die CSU-Politikerin Dorothee Bär, soll koordinieren, kommunizieren, motivieren. Wieviel Kompetenzen hat sie dabei? Was sind ihre Vorstellungen für die digitale Zukunft? Und: Kann die neueste Mobilfunkgeneration, 5G, die lästigen Funklöcher in Deutschland schließen helfen?

Dorothee Bär wurde 1978 in Bamberg geboren. Sie studierte Politikwissenschaften an der Hochschule für Politik in München und am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. 1992 trat sie in die Junge Union ein, 1994 in die CSU. 2008 bis 2012 war sie stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Union, 2009 bis 2013 Stellvertretende Generalsekretärin der CSU. Seit 2002 sitzt sie im Bundestag. Von Dezember 2013 bis März 2018 war sie Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, seit März 2018 ist sie Staatsministerin für Digitales.

Das Interview im Wortlaut:

Frau Bär, Sie sind seit einem knappen Jahr in diesem Amt als Staatsministerin für Digitalisierung und sind damit die Erste Ihrer Art in Deutschland. Sie haben sozusagen die Definitionsgewalt. Wie definieren Sie Ihr Amt? Was wollen Sie mit diesem Amt?
Dorothee Bär: Was will ich mit diesem Amt? Ich mache das Thema Digitalisierung natürlich schon seit ungefähr zwanzig Jahren und habe in dem Bereich schon so viele Jahre gearbeitet, ohne dass das Kind einen Namen hatte. Jetzt hat das Kind einen Namen – Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für die Digitalisierung.
Und das heißt, man könnte theoretisch alles machen, aber weder zeitlich noch ressourcentechnisch geht natürlich alles. Deswegen merkt man jetzt auch nach so einem knappen Jahr, wo wir erstens mal im Strukturaufbau sind, aber auf der anderen Seite, wo sich Themen raus kristallisieren, wo unterschiedlicher Handlungsbedarf steckt.
Und ein ganz großer Teil - einer sage ich bewusst, aber einer, der mehr so unter Ausschluss der Öffentlichkeit ist - ist natürlich auch ein Thema, wofür wir originär zuständig sind als Bundesregierung: Der ganze Bereich der digitalen Verwaltung, wo ich sehr stark damit beschäftigt bin, die 575 Verwaltungsdienstleistungen, die bis zum Jahr 2022 auch nach dem Onlinezugangsgesetz digitalisiert werden müssen, auch auf die Schiene zu bringen.

Noch echte Pionierarbeit bei der Digitalisierung

Deutschlandfunk Kultur: Nochmal ganz kurz, weil Sie es angesprochen haben: Ressourcen. Außerdem geht’s natürlich auch um Kompetenzen. Sie haben keine gesetzgeberischen Kompetenzen. Sie haben kein eigenes Budget. Sie haben relativ wenige Mitarbeiter. Trotzdem haben Sie das Gefühl, Sie können das, wohin Sie streben, auch umsetzen?
Bär: Also, ich bin ja nicht die einzige Staatsministerin oder der einzige Staatsminister in der Bundesregierung. Das Konstrukt gibt’s ja häufiger. Deswegen muss man ganz ehrlich sagen, es ist jetzt in dieser Legislaturperiode ein Konstrukt, genauso wie in der letzten Legislaturperiode drei federführende Häuser vorhanden waren und wie es sich sicherlich auch nochmal weiterentwickeln wird.
Ich finde, für das Budget und für die Personen kann ich so viel anstoßen, dass wahrscheinlich der eine oder andere große Angst hätte, wenn ich mehr hätte, weil man dann noch viel mehr auf den Weg bringen könnte bzw. auch finanzieren könnte. Aber ich finde, es ist eine müßige Diskussion, weil es in diesen Legislaturperiode wurde so festgelegt wurde.
Auch da, glaube ich, kann man in den nächsten Jahren davon profitieren, von den Erfahrungen, die ich gemacht habe, auch sehr stark profitieren von der Pionierarbeit, von der Aufbauarbeit, die ich leiste. Das ist eine echte Pionierarbeit. Und das ist auch vor allem eine Arbeit - für diejenigen, die zuhören, die die ältesten Geschwister in der Familie sind, die wissen, was sie alles geebnet haben für ihre kleinen Geschwister. Also glaube ich, dass da ganz, ganz viel dann auch in den nächsten Jahren von den Früchten geerntet werden kann.
Aber nochmal zum Thema zu kommen, zu den Verwaltungsdienstleistungen: Ich erwähne es deswegen, weil es mir auch wichtig ist, dass wir nicht nur Rahmenbedingungen setzen - im Bereich der Künstlichen Intelligenz, bei Block Chain, bei Quantencomputing, sondern dass wir auch als Staat bei den Themen, für die wir zuständig sind, auch mit gutem Beispiel vorangehen. Es gibt Studien, die sagen, dass mit digitalen Verwaltungsdienstleistungen, wenn sie denn funktionieren, auch das Vertrauen in den Staat grundsätzlich zunimmt.
Und wir haben einen tollen Staat. Wir haben eine tolle Verwaltung. Also, wir leben ja im Vergleich zu anderen Ländern, wo man abfällig mal über Bananenrepubliken spricht, so ist das in Deutschland nicht. Das funktioniert. Trotzdem muss man sich die Frage stellen: Kann es so gut, wie es jetzt ist, auch die nächsten Jahre weiter funktionieren? Und da mache ich manchmal schon mal ein kleines Fragezeichen dran.
Deutschlandfunk Kultur: Und Sie haben gesagt, bis 2022 sollen viele der staatlichen Dienstleistungen für die Bürger online gestaltet werden können.
Bär: Alle.

"Sprung in eine erfolgreiche Digitalnation"

Deutschlandfunk Kultur: Alle - ein beherztes Ziel. Was mich interessiert, ist, ob es etwas gibt wie eine Vision, die Sie haben, wenn wir über Digitalisierung reden. E-Government ist sicherlich ein Aspekt des Ganzen. Aber gibt’s so etwas wie: Ich möchte, dass wir eine digitale soziale Marktwirtschaft haben? Was treibt Sie?
Bär: Mich treibt, dass wir Weltmarktführer auch in einer digitalen Bundesrepublik sind, und zwar dahingehend, dass wir von einer erfolgreichen Industrienation den Sprung, die Transformation schaffen in eine erfolgreiche Digitalnation, aber unter den Aspekten, die uns heute schon wichtig sind. Das heißt nämlich auch, das Thema Werte, das Thema Ethik, also keine rein technikgetriebene Diskussion führen.
Wir haben eine Daten-Ethik-Kommission genauso ins Leben gerufen wie eben jetzt mehr KI-Strategie oder eine Block Chain-Strategie oder den Digitalrat oder das Digitalkabinett, aber gleichzeitig – und da haben wir ein Merkmal, was sonst kein Land der Welt hat – parallel immer noch die ethischen Aspekte zu denken.
Deutschlandfunk Kultur: Die aber natürlich vieles verlangsamen, wenn man erst mal diskutiert, ob etwas gut und schön und wichtig und richtig ist.
Bär: Vielleicht kurzfristig. Mittel- und langfristig werden wir da die absoluten Gewinner sein. Wenn wir Künstliche Intelligenz Made in Germany oder im Idealfall Made in Europe haben, werden wir da auch in dieser sogenannten Sandwich-Position zwischen den USA und China gewinnen. Aber das ist nicht die einzige Vision.
Es geht natürlich auch so weit, dass ich sagen würde: Es wäre schön, wenn wir auch ein Land wären, was mal diesen Bedenkenträgermantel abwirft und sich auch freut, in so einem neuen Zeitalter an der Spitze der Bewegung stehen zu dürfen. Aber dabei immer alle Bürgerinnen und Bürger mitdenken. Es kann nicht sein, dass irgendeiner am Wegesrand stehenbleiben muss. Was bei uns noch komplizierter ist: Wir sind kein zentralistischer Staat. Wir sind ein föderaler Staat. Das heißt, auch die Gleichwertigkeit auf dem flachen Land so rauszuarbeiten, dass ich mit den Segnungen der Digitalisierung in Berührung komme, davon profitiere - das ist zum Beispiel auch eine Vision.
Oder auch, wenn Sie sagen, ist das überhaupt möglich, aber da wäre mein Wunsch, es hinzubekommen: Jedem der achtzig Millionen Bürger eins zu eins die überwiegenden Vorteile darzubringen. Spreche ich über technische Aspekte oder schaffe ich es dann auch zu sagen, was bedeutet es für dich, Frau soundso mit dem Alter, mit dem Hintergrund? Was bedeutet es für dich, Herr soundso? Was bedeutet es für Kinder? Was bedeutet es für Senioren? Es viel stärker runter zu brechen.
Deutschlandfunk Kultur: Da können Sie ja gleich im Kabinett üben. Denn die meisten Ihrer Kolleginnen und Kollegen sind keine Digital Natives, sind also in diese digitale Welt nicht hineingeboren.
Bär: Na gut, das könnte ich über mich selber auch sagen. Ich habe mein erstes Handy mit 17 bekommen. Wenn ich jetzt mit meinen Kindern spreche, würden meine Kinder mir jegliche Art, ein Digital Native zu sein, absprechen. Ich finde es immer so lustig in diesem Spannungsfeld von denjenigen, die mit mir zu tun haben, die sagen 'Ah, du bist da in allem up to date', da kriegt meine zwölfjährige Tochter einen Lachkrampf.

Andere Länder sind schneller bei der Digitalisierung

Deutschlandfunk Kultur: Jetzt haben Sie gesagt, Deutschland ist Weltspitze, was natürlich für das Digitale nicht stimmt. Wir haben gerade den neuen Index für Digital Economy und Society 2018 von der EU-Kommission vorgelegt bekommen. Da haben wir Schwarz auf Weiß, dass Deutschland von Platz neun auf Platz 14 abgerutscht ist. Woran fehlt es?
Sie haben schon die Skepsis, die oft ein Hindernis ist, angesprochen. Sie haben das Föderale angesprochen – Stichwort Digitalpakt. Da scheint jetzt die Kuh vom Eis zu sein. Also, der Bund darf sich an der Finanzierung von Hardware, also von Ausrüstung in den Schulen, in den Ländern beteiligen.
Aber brauchen wir tatsächlich nicht auch so etwas wie ein Unterrichtsfach Digitalisierung?
Bär: Also, erstens mal muss man sich den sogenannten DESI-Index, den Sie ansprechen, auch immer wieder genau anschauen. Wir sind in diesem DESI-Index tatsächlich besser geworden als im letzten. Dass wir nicht mehr auf einem der vorderen mittleren Plätze, sondern auf einem der mittleren hinteren Plätze gelandet sind, liegt daran, dass andere Länder sich auch verbessert haben und sich stärker verbessert haben als wir.
Das hat unterschiedliche Faktoren. Einen Faktor habe ich angesprochen. Das ist die digitale Verwaltung. Die wird ganz hoch bewertet auch in diesen Rankings. Da sind andere Länder besser. Aber das ist nur ein Teil, die Verwaltung. Ein Teil ist definitiv auch Stadt-Land-Gefälle. Das muss man ganz klar adressieren, der ganze Bereich der klassischen Infrastruktur. Über die digitale sprechen wir sicherlich gleich noch. Aber bei der klassischen Infrastruktur, auch da in allen 16 Bundesländern haben wir die Investitionen in den letzten Jahren um vierzig Prozent erhöht – also, Straße, Schiene, Wasserstraße.

Nicht wegen Föderalismus global abgehängt werden

Deutschlandfunk Kultur: Aber nochmal: Brauchen wir nicht tatsächlich, auch gerade, um diese Skepsis - das haben wir ja schon paar Mal genannt - vielleicht abzubauen, so etwas wie ein Schulfach Digitalisierung? Diese Woche gab es in Berlin den Digitizing Europe Summit, wo Politik und Wirtschaft diskutiert haben, was Not tut. Da war das ja eine Forderung, die im Raum stand.
Bär: Die Forderung habe ich schon vor über zehn Jahren erhoben und habe die auch jahrelang auf unserem eigenen Parteitag gestellt und habe dann so die ersten Jahre immer eine Absage kassiert. Auch da gab's je Erkenntnisgewinne im Laufe der Jahre. Und dann, ich glaube, nach der dritten oder vierten Abstimmungsniederlage wurde dann mit großer Mehrheit am Parteitag zugestimmt. Trotzdem schaffen es die Bundesländer nicht, eine gemeinsame Linie zu finden. Sie wissen ja: Bildung ist Länderhoheit. Bei aller Liebe zum Föderalismus – wir müssen aufpassen, dass wir nicht abgehängt werden.
Ich habe manchmal das Gefühl, dass noch nicht in den Köpfen drin ist, dass nicht Bayern mit Baden-Württemberg im Wettbewerb ist und nicht Hamburg mit Bremen oder mit Niedersachsen, sondern dass wir eben in einem Spannungsfeld, in einer globalisierten Welt leben, dass wir auch nicht mit Italien oder Frankreich konkurrieren, sondern wir konkurrieren auch beim Stichwort Programmieren oder Robotik oder eben Künstliche Intelligenz mit anderen Kontinenten, vor allem auch mit Asien, vor allem auch mit China.
Und da brauchen wir einfach Mindeststandards in Deutschland. Da nützt es uns nix zu sagen: Die Kultushoheit ist uns lieb und teuer. In dem Punkt ist sie vor allem teuer. Aber wir müssen da ganz, ganz klar sagen: Wir können da auch als Bund nicht mehr zuschauen. Deswegen habe ich beispielsweise auch im Kanzleramt - ob jetzt zuständig oder nicht - zu Bildungsgipfeln eingeladen, auch mit Lehrerinnen, Lehrern, Rektorinnen, Rektoren und - auch ganz wichtig - mit Eltern, manchmal den größten Bedenkenträgern, um da überhaupt erst mal in die Köpfe zu bekommen, wie weit wir eigentlich gehen müssen, um unsere Kinder zukunftsfest zu machen.
Wir brauchen außerdem neue, offenere, agilere Arbeitsweisen auch in den Schulen, um da die Kinder so fit zu machen, dass die auch später in ihren Jobs bestehen können, auch wenn sie sie öfter wechseln müssen.

Politik bei Umbrüchen durch Digitalisierung in der Pflicht

Deutschlandfunk Kultur: Wir sind uns wahrscheinlich schnell einig, dass sicherlich die Umwälzungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung die größte vielleicht seit der Erfindung der Dampfmaschine ist. – Ist die Politik da auf der Höhe der Zeit? Wir haben ein paar Baustellen schon aufgezeigt. Aber es geht ja auch darum, dass man tatsächlich diese Digitalisierung wirtschaftsfreundlich, aber auch sozialverträglich gestaltet. Da geht’s dann auch um die Frage, wie man mit den Internet-Giganten Google & Co. umgeht, wie man sie einbinden kann in die Finanzierung, Mitfinanzierung der Infrastruktur, die sie ja auch wahrnehmen in den betreffenden Ländern.
Macht die Politik das richtig oder sind die zu sanft zu Google & Co.? Wie kann das angehen, dass Google im Schnitt in Europa 9,5 Prozent Steuern bezahlt von seinen Gewinnen und ein – in Anführungsstrichen – "normales" Unternehmen 23, 24, 25 Prozent? Das ist doch so eine Frage, die dann letztendlich auch etwas mit der Akzeptanz, über die wir geredet haben, zu tun hat.
Muss da einfach vom Staat, von der Politik in Deutschland, in Europa zugegriffen werden und die in die Pflicht genommen werden? Mindestbesteuerung oder was auch immer man sich da vorstellt?
Bär: Ja, Steuern sind immer ein Beispiel. Ich glaube, dass sich heuer ein ganz gutes Fenster öffnet. Wenn wir im Mai Europawahlen haben und wenn danach auch eine neue Kommission gebildet wird, finde ich es schon richtig - und das hat die Kanzlerin ja auch angekündigt, auch bei Ihrer Rede bei dem Gipfel in Berlin, den Sie angesprochen haben, getan - da die Frage zu stellen: Wie schaut es eigentlich auf einer europäischen Ebene industriepolitisch aus?
Welche Industriepolitik brauchen wir? Welche neue Industriepolitik brauchen wir in Europa? Und sind die geltenden Gesetze, die wir momentan haben - ein Stichwort ist ja das Wettbewerbsrecht - noch zeitgemäß? Passen die eigentlich noch in unsere heutige Zeit? Oder sind die eben aus einer alten Industrialisierung, wo sie hingepasst haben?
Aber auch die andere Frage, die Sie noch gestellt haben, was es für den Sozialstaat bedeutet und wie wir damit eigentlich umgehen, da sehe ich schon uns als Staat auch in der Pflicht. Ich erlebe, dass die Gewerkschaften beispielsweise in Deutschland - weil sie da vielleicht auch ein Defizit sehen - sich mehr mit Google an einen Tisch setzen, um da zum Beispiel auch auszuhandeln: Wie können Fortbildungsmaßnahmen, Weiterbildungsmaßnahmen, wie kann das eigentlich ausschauen, um da in einer gemeinsamen Arbeit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer da fit für die Zukunft zu machen? Also, da passiert schon sehr viel. Und da muss man sehr aufpassen, dass da der Staat auch noch mit am Tisch sitzt und diese Bedingungen mit aushandeln kann.

Beim Datenschutz nicht "das Kind mit dem Bade ausschütten"

Deutschlandfunk Kultur: Man muss natürlich auch aufpassen, denke ich, dass der Nutzer nicht aus dem Blick verloren wird. Es gibt auf europäischer Ebene die Europäische Datenschutzgrundverordnung, die manch einer beklagt hat, die zumindest den Versuch wagen will, die Nutzer als Eigentümer ihrer Daten zu begreifen. Sind Sie eine Freundin dieser Datenschutzgrundverordnung?
Bär: Na ja, Freundin wäre jetzt vielleicht zu viel gesagt. Ich finde, das grundliegende Ansinnen, europäische Regelungen in bestimmten Bereichen zu treffen, weil wir einfach alleine als Nationalstaaten viel zu klein sind, weil wir ja immer glauben, wir sind die Größten, die Dollsten und die Schönsten und – das sieht man bei Kindern ja immer schon: Wenn Kinder das erste Mal so eine Weltkarte sehen und sagen sollen, wo Deutschland liegt, wird immer auf Russland oder China getippt, weil man es sich gar nicht vorstellen kann, nur so ein kleiner Teil der Welt zu sein.
Sich das immer wieder bewusst zu machen, dass wir auch, wenn überhaupt, nur mit einer gemeinsamen europäischen Stimme…
Deutschlandfunk Kultur: Haben wir ja in dem Fall.
Bär: Genau. Und deswegen finde ich das Grundanliegen, weil Sie nach Freundschaft gefragt haben oder Freundin – ich finde das Grundanliegen richtig, zu sagen: Man versucht sich zumindest mal in Europa zu einigen, weil bei uns ja noch dazu kommt, dass wir mit unserem Föderalismus, um wieder beim Thema zu bleiben, ja nicht nur einen Bundesdatenschutzbeauftragten haben, sondern sogar noch 16 Landesdatenschutzbeauftragte. Also, wir schaffen es ja, es sogar in ein noch größeres Klein-Klein zu bekommen.
Deswegen: Die Grundausrichtung vor zehn Jahren - es ist ja schon über zehn Jahre her, mittlerweile elf Jahre - mal zu entscheiden, man möchte mal das Thema gemeinsam europäisch angehen, halte ich grundsätzlich für ein richtiges.
Deutschlandfunk Kultur: Aber!
Bär: Aber die Frage ist immer die Ausgestaltung. Und ob dann tatsächlich in manchen Bereichen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.
Deutschlandfunk Kultur: Welches Kind mit welchem Bade?

EU-Datenschutzverordnung ist "nicht in Stein gemeißelt"

Bär: Zum Beispiel, dass man eben aufgrund eines ganz strengen Datenschutzes in einigen Bereichen, ob das jetzt in der Medizin ist oder ob das bei Startups der Fall ist - die Ausgestaltung ist dann in den Mitgliedsstaaten so unterschiedlich. Oder, was ja in dem Fall oft beklagt wurde: Es gibt eine Abmahnindustrie, die dann beispielsweise bei Verstößen sofort ohne Vorwarnung den einen oder anderen zur Kasse bittet. Da finde ich einfach, dass man genau aufpassen muss.
Deswegen: Diese Verordnung wird von Anfang an einem Monitoring unterzogen. Und das sind nicht die Zehn Gebote. Es ist nicht in Stein gemeißelt. Es kann auch Veränderungen unterworfen sein und muss sich natürlich auch dann immer neuen Zeiten anpassen.
Wenn die Amerikaner, in ihrer Grandezza und Großartigkeit, China noch ein bisschen ernst nehmen aber dann, auf Europa angesprochen, sagen, "die Europäer, was wollen die, das einzige, was die interessiert, ist Datensicherheit, aber um Innovation kümmert sich da schon lang keiner mehr", dann schrillen da schon die Alarmglocken.
Ich bin wieder beim Thema Werte: Ohne unsere Demokratie aufzukündigen; ohne dass wir jetzt Großunternehmen in den Mittelpunkt stellen oder den Staat, wie es in China passiert, in den Mittelpunkt des Handelns stellen, denn wir wollen keine Scoring Modelle; wir wollen unsere Demokratie nicht aufgeben – dürfen wir uns aber trotzdem neuen Geschäftsmodellen nicht verschließen. Da liegt die große Aufgabe.
Deutschlandfunk Kultur: China, das Stichwort fiel. Dass man in einer Demokratie Innovation nicht anordnen kann, ist klar. Dass man Werte zu beachten hat, haben wir jetzt schon mehrmals angetippt. Das heißt aber doch auch, dass wir im Grunde genommen in der Konkurrenz mit China, Stichwort Entwicklung Künstlicher Intelligenz, gar nicht gewinnen können.
Bär: Die Frage ist, was Sie unter "Gewinn" verstehen.
Deutschlandfunk Kultur: Weltmarktführer zu sein - das ist das Ziel, was die Bundesregierung anstrebt.
Bär: Ja, aber da glaube ich auch, dass wir einen Vorteil haben, den eben sonst kein anderes Land auf der Welt hat. Was sehr stark unterm Radar läuft, weil es vielleicht von der Bekanntheit her nicht plastisch genug ist, das ist das Thema Mittelstand. Wir sind – da wieder positiv – sehr breit aufgestellt. Bei uns ist es nicht so, dass wenn ein einziges Unternehmen hustet, dass das ganze Land am Boden liegt.
Wir machen vielleicht nur den Fehler, dass wir unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen, unsere KMU, immer als Hidden Champions bezeichnen. Wir müssen die nicht verstecken. Wir müssen die ins Schaufenster stellen, weil eben da neue Geschäftsmodelle entstehen. Und die müssen wir dann eben auch unterstützen und müssen dafür sorgen, dass die auch eine Chance haben, in Deutschland ihren Hauptsitz zu haben.

Wandel in Demokratien geht langsamer

Deutschlandfunk Kultur: Und aber eben auch, möglicherweise nach China zu exportieren. Da stellt sich dann natürlich die Frage: Das etwas merkwürdige Stichwort des Gesellschaftsmanagements, wie in China es heißt, etwa - also die Möglichkeiten für den Staat, alle Daten abzugreifen, zu überwachen mit Drohnen, Kameras, Mikrofon, all das ist da ja möglich, weil nicht darüber diskutiert wird, weil das eben eine Autokratie ist und keine Demokratie - kann und will man da mithalten?
Bär: Ich hoffe, dass wir uns alle einig sind, dass wir gern in einer Demokratie leben – bei allen Schwierigkeiten. Und man wird ja manchmal vom einen oder anderen Chinesen so ein bisschen belächelt bzw. es wird einem gesagt, "Sie tun mir leid, dass Sie in einer Demokratie leben müssen", weil es eben alles so langsam geht. Und ja, es geht alles sehr langsam.
Deutschlandfunk Kultur: Und manches geht eben auch gar nicht.
Bär: Und manches geht vielleicht auch mal gar nicht, ja. Wobei, das weiß ich noch nicht mal, ob man da nicht es dann doch hinbekommt, dass es irgendwann zum Laufen geht.
Wir haben halt im Moment die Herausforderung - viele sagen, es ist ein Segen, andere sagen, es ist ein Fluch - dass wir jetzt wirtschaftlich oft sehr, sehr gute Jahre in Deutschland hatten. Oft entstehen aber Ideen oder Initiativen aus der Not heraus. Das war die letzten zehn Jahre nicht notwendig.
Deutschlandfunk Kultur: Aber ich meine nicht, dass etwas nicht geht, weil man vielleicht nicht die Notwendigkeit erkannt hat oder sich auf seinen Lorbeeren ausgeruht hat, sondern dass etwas nicht geht, weil man es nicht will ...
Bär: Ja. Das ist ja noch schlimmer...
Deutschlandfunk Kultur: … weil man zum Beispiel eine bestimmte Form von Überwachung nicht will.

Lieber Made in Germany als Made in China

Bär: Deswegen habe ich ja vorhin gesagt, dass KI Made in Germany – früher war ja das Stichwort Made in Germany ein negatives. Es wurde drauf gedruckt, um uns zu stempeln und zu sagen: "Hier, schlechte Ware". Bis sich herausgestellt hat, dass eigentlich Made in Germany ein Qualitätsprodukt ist. Das sehe ich jetzt in dem Bereich auch. Deswegen habe ich gesagt - vielleicht nicht kurzfristig, aber mittel- und langfristig - dass ich der festen Überzeugung bin, dass ich mich lieber in ein autonom fahrendes Fahrzeug setze, was mit einer KI, die in Deutschland oder Europa entwickelt wurde, als in eines, wo der Mensch keine Rolle spielt. Also, wo man sagt, jedes Menschenleben ist gleich viel wert, das ist ja etwas, was uns da absolut auszeichnet an der Stelle.
Spannenderweise - jetzt kann man sagen, ja, wer weiß, wie solche Umfragen zu bewerten sind – aber: Trotz der Überwachung, trotz Gesichtserkennung, trotz Scoring finden achtzig Prozent der Chinesen Digitalisierung großartig. Deutsche haben die größte Angst vor Wandel.
Deutschlandfunk Kultur: Und 61 Prozent der Deutschen nicht.
Bär: Bei uns nur vierzig, genau. Also, deswegen ist da schon noch Luft nach oben. Auf der anderen Seite gibt’s auch wieder beruhigende Studien, auch aus dem Ausland, in denen konstatiert wird, dass von allen Bevölkerungen der ganzen Welt die Deutschen die meiste Angst vorm Wandel haben. Die ist deswegen beruhigend, weil im zweiten Teil der Analyse der Uni Wien steht, dass – wenn eine Bevölkerung Wandel am besten hinbekommt – es dann auch wir sind. Also, wir wollen zwar nicht, aber wir können, weil wir dann doch anpassungsfähig sind und dann auch mit Neuerungen gut umgehen können.
Deutschlandfunk Kultur: In wenigen Wochen sollen Mobilfunkfrequenzen von der fünften Mobilfunkgeneration, 5G, versteigert werden. Die Datenübertragung soll dann hundertmal schneller sein als mit dem aktuellen Standard. Bedingungen sind auf 170 Seiten, glaube ich, festgelegt worden. Da kann sich auch noch was verzögern. Da wird gegen die Bedingungen geklagt.
Aber was mich eigentlich an dieser Stelle in diesem Gespräch mehr interessiert: Ist 5G tatsächlich geeignet, die Funklöcher, die wir in Deutschland immer noch haben, die weißen Flecken - wir kennen sie alle - im Mobilfunknetz zu beseitigen? Ginge es da nicht eher darum, erst einmal in die Fläche - über 2G wäre ja manch einer schon froh - zumindest 4G, also den aktuellen Standard, zu bringen?

Staatliche Infrastrukturgesellschaft muss Funklöcher schließen

Bär: Also, es ist schön, dass es mal so differenziert gefragt wird, weil ich in den letzten Wochen da in der veröffentlichten Meinung Hysterie erlebt habe, weil tatsächlich natürlich sehr viele Diskussionen durcheinander geworfen wurden.
Natürlich ist 5G nicht dafür geeignet, dass da jetzt alle weißen Flecken oder grauen Flecken geschlossen werden. Wir brauchen 5G in der industriellen Anwendung. Wir brauchen es für Vernetzungsfragen. Die 5G-Diskussion hätte es nicht gegeben, wenn wir schon flächendeckend 4G hätten. Dann wäre die gar nicht so aufgekommen, wie sie jetzt aufgekommen ist. Trotzdem brauchen wir den neuen Mobilfunkstandard.
Aber Fakt ist, dass wir, parallel zur Versteigerung und parallel zum weiteren Ausbau, uns als Bundesregierung mit den Unternehmen gemeinsam hingesetzt haben und sagen: Wir brauchen eine staatliche Infrastrukturgesellschaft Mobilfunk, weil eben bestimmte weiße Flecken, aber auch bestimmte graue Flecken nicht von den Unternehmen aufgrund von angeblicher oder nicht angeblicher fehlender Wirtschaftlichkeit geschlossen werden.
Ich sage das seit Jahren, aber manchmal dauert es halt länger, bis man sich durchsetzt: Es ist auch eine staatliche Aufgabe - genauso wie früher die Postzustellung, Fernmeldewesen, Wasser, Abwasser - ist es eine Daseinsvorsorge.
Wir haben ja auch einen Rechtsanspruch auf schnelles Netz in den Koalitionsvertrag reingeschrieben, also dass es ab 2025 einen Rechtsanspruch gibt, und jetzt – beginnend mit der Forderung der CSU-Landesgruppe in Seeon in diesen Jahr – auch diese staatliche Infrastrukturgesellschaft Mobilfunk zu gründen, weil wir da nicht länger zuschauen können und weil wir uns auch nicht länger abspeisen lassen können von Begründungen, die Sie in den Pressemitteilungen der Unternehmen lesen: "Aufgrund der hohen Bürgerinitiativ-Dichte in Deutschland haben wir keine Standorte für Masten."
Deutschlandfunk Kultur: Aber diese Bürgerinitiativ-Dichte würde sich ja nicht ändern, egal, ob eine staatliche Infrastrukturgesellschaft Masten bauen will, oder ein Unternehmen.
Bär: Ich glaube die auch nicht, weil die sich auch in den letzten Jahren sehr stark reduziert hat, allein in meinem eigenen Wahlkreis mit 89 Gemeinden, mehr als ein oder zwei mir nicht mehr bekannt sind. Und das war früher viel, viel mehr. Ich überspitze jetzt mal und verlasse jetzt mal den sachlichen Bereich. Wir bekommen aber manchmal dann auch SMS, die sich gegen Mobilfunk aussprechen.
Und die werden einem bei der offenen Mikrowelle geschickt. Ich will das gar nicht ins Lächerliche ziehen. Wir machen parallel wirklich zu jeder technischen Entwicklung auch immer eine Evaluierung, was es für Gesundheit bedeutet. Aber ich sage nur: Man kann nicht auf der einen Seite komplett fordern eine hundertprozentige Flächendeckung und auf der anderen Seite dann sagen: "Not in my Backyard – bei mir darf es nicht stattfinden."
Da sind dann aber auch alle gefordert. Ich sage bei jedem, der mir sagt "Da geht’s nicht" - wenn das die Unternehmen sagen – dann sage ich: "Okay, wer ist da der Wahlkreisabgeordnete? Wer ist im Landtag? Wer ist der Bürgermeister?" Dann sind die auch verpflichtet, die Standorte zu stellen.
Deutschlandfunk Kultur: Müsste dann analog das Gleiche letztendlich auch passieren, was Elektroautos angeht, mit dem Schaffen der Infrastruktur dort? Da gibt’s ja auch immer wieder die Diskussion: Sind das die Unternehmen? Die streichen im Zweifel dann ja auch die Gewinne ein. Müssen sie halt erstmal investieren. Oder hemmt man Innovation, indem die Investitionskosten für das einzelne Unternehmen zu hoch werden? Also muss der Staat das in die Hand nehmen, weil es sich um wichtige unverzichtbare existenzielle vielleicht Infrastruktur handelt?
Bär: Es kommt immer drauf an. Also, bei der Debatte um alternative Antriebe würde ich mir wünschen, wenn wir uns nicht nur so auf einen alternativen Antrieb fokussieren würden. Ja, Elektromobilität ist einer, aber es gibt natürlich auch noch Wasserstoff, Brennstoffzellen und, und, und. Es gibt da Forschungsprogramme, Unterstützungsprogramme des Bundes insgesamt für alternative Antriebsstoffe. Das wäre der richtige Weg. Da sind wir eigentlich schon, was die Infrastruktur betrifft, auf einem guten Weg.
Es gibt auch Städte, die sich da sehr engagieren, die zum Beispiel auch in jedem Neubaugebiet als Bedingung haben, dass da Ladesäulen gleich mitgedacht, mitgebaut werden – bei Unternehmen, bei Kundenparkplätzen. Da hat sich sehr viel getan. Ich habe da in den letzten vier Jahren viele Ladestationen eröffnet, bundesweit, an den Bundesautobahnen, wo wir selber zuständig sind. Das findet es statt und, und, und.
Aber ja, man muss immer genau schauen. Wo hat der Staat eine Verantwortung? Welche staatliche Ebene hat da eine Verantwortung? Da würde ich mir manchmal wünschen, dass auch das Zusammenspiel zwischen den unterschiedlichen staatlichen Ebenen einfach noch besser funktioniert und wenn man nicht nur zu Bund kommt, weil man das Geld möchte, sondern weil man sich vielleicht dann auch auf Inhalte dann mal einigen kann.

Chinesen beim Bau des 5G-Mobilfunknetzes nicht ausschließen

Deutschlandfunk Kultur: Nochmal eine Sekunde zu 5G zurück: Wir haben ja schon darüber geredet, dass es Bedingungen gibt, unter denen die Versteigerungen stattfinden werden, dass es auch Kritik gibt, dass es Klagen dagegen gibt. Das sind wettbewerbsrechtliche Geschichten. Da brauchen wir jetzt an der Stelle nicht diskutieren. Eine andere Frage, die heiß diskutiert wird im Moment, ist aber: Sollte die chinesische Firma Huawei am Aufbau des 5G-Netzes beteiligt werden – ja oder nein?
Bär: Meine grundsätzliche Haltung ist - jetzt mal losgelöst, ob wir jetzt über Nokia, über Ericsson, oder ob man über Huawei spricht: Da wir kein einziges eigenes Unternehmen in unserem eigenen Land haben, was das leisten kann und wir eben jetzt drei wichtige Player in dem Bereich haben - übrigens auch spannend, zwei der Weltmarktführer sind aus Europa, das ist ja auch schon mal was Positives - dass wir uns trotzdem genau anschauen müssen, wie die Technologien sind, dass man grundsätzlich immer vorsichtig sein muss. Nur, ich würde noch mehr zur Vorsicht raten, sich immer auf einen Player zu einigen.
Also, mir ist es noch wichtiger mal zu schauen, machen wir uns von einem Unternehmen grundsätzlicher Art abhängig. Das ist immer schlecht. Wir machen es in anderen Bereich ja extrem proaktiv, was etwa staatliche Subventionierung von Landwirtschaft betrifft, die oft kritisiert wird, die ich ganz wichtig finde, weil wir sagen, wir dürfen uns nie in der Ernährung vom Ausland abhängig machen. Aber wir dürfen uns natürlich auch bei kritischen Infrastrukturen nicht von einzelnen abhängig machen.
Deutschlandfunk Kultur: Nun ist es bei den Chinesen aber nochmal ein besonderes Problem. Ich verstehe Ihr Argument: Abhängigkeit ist immer schlecht - ob nun von chinesischen Unternehmen oder amerikanischen. Aber in dem Fall - Huawei gilt als staatsnah. Es gibt die Sorge, dass da Industriespionage betrieben werden kann. Es gibt auch die Sorge, dass möglicherweise Hintertüren ins Netz eingebaut werden, die dann im Konfliktfall einen Zugriff der chinesischen Regierung schaffen könnten. Deshalb kommt ja CDU-Politiker Norbert Röttgen, ein Außenpolitiker, beispielsweise zu dem Schluss: Huawei beteiligen? Nein!

Keine neuen Handelskriege riskieren

Bär: Es gibt beide Meinungen. Ich weiß, dass eine abgewogene Meinung da immer schwierig ist. Es finden da sehr viele Gespräche statt. Es finden Gespräche statt auch bei der Bundesnetzagentur, ob dann beispielsweise auch an Anforderungen noch gearbeitet werden kann.
Ich möchte es mal von dem konkreten Fall wegnehmen. Grundsätzlich müssen wir sehr stark aufpassen, ob wir mit bestimmten Nie und Niemals, so wie es die Amerikaner jetzt gemacht haben, ob wir dann in der Eskalationsstufe dafür sorgen, dass neue Handelskriege entstehen. Das ist schon was, was mich umtreibt. Wir leben als Land extrem stark vom Export.
Ich verstehe alle Bedenken. Man muss sich alles ganz genau anschauen, Kriterien nochmal vielleicht auch nochmal spezifizieren, vielleicht auch nochmal an der einen oder anderen Stelle hochschrauben. Aber trotz allem - es heißt immer so schön, "und bedenke das Ende" - und die Frage ist: Wenn wir nur für den eigenen Markt mit unseren Unternehmen, wie sie alle heißen, produzieren, können wir den Laden dicht machen. Also, auch da braucht man einfach ein Augenmaß. Da hat auch Handelspolitik sehr viel mit Außenpolitik zu tun, mit Wirtschaftspolitik. Es ist immer in einer Abwägung, eine Entscheidung mit Augenmaß zu treffen.
Deutschlandfunk Kultur: Und das Telekommunikationsgesetz dahingehend zu ändern, dass man sagt, bei ausländischen Firmen - nicht nur chinesischen, aber gerade vielleicht auch da - die Sicherheitsüberprüfung der verbauten Teile zu erhöhen und auch vielleicht etwas wie eine No-Spy-Verpflichtung zu verlangen, also keine Spionage zu betreiben - was auch immer man dann davon halten will - aber so etwas zu machen, das würde Ihre Zustimmung finden?
Bär: Wir haben das BSI in den letzten Jahren sehr gestärkt - also das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik - sowohl mit finanziellen Mitteln, als auch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und da gilt eben auch für einen Staat, zu sagen: Wir brauchen da auch die Experten, die das dann auch erkennen. Und da müssen wir meines Erachtens stärker dran arbeiten.
Mehr zum Thema