Dorf-Fußball und DDR-Politik

Wie ein Freundschaftsspiel zu Honeckers Chefsache wurde

Der Altenburger Rudi Spindler trifft andere Fans in Prag - und Nationalspieler Bernard Dietz.
Der Altenburger Rudi Spindler (re.) trifft andere Fans in Prag - und Nationalspieler Bernard Dietz* © Rudi Spindler / Privat
Von Naomi Conrad und Michael Hartlep  · 01.10.2017
In den Zeiten der deutschen Teilung war der große Sport auch immer Teil der großen Politik. Aber der kleine Sport, der Freizeitkick? Wie eine Gruppe Hobbykicker in den 80ern sogar einmal die Stasi auf den Plan rief, das erzählt eine Anekdote aus dem thüringischen Altenburg.
Altenburg, eine Stadt südlich von Leipzig. Ehemals Residenzstadt. Auf einem Porphyrfelsen thront, alles überragend, das Schloss. Darunter in der Altstadt, in manchen Straßen noch unsanierte Häuser, bröckelnder Putz. Der Wind fährt durch das Gras, das am Rande eines kleinen, beschaulichen Fußballplatzes wuchert. Frauen sitzen auf einer Bank und tratschen, während ein Knirps mit einem Ball auf ein Tor zu trottet. Keiner beachtet den älteren Mann in dem grünen Trikot, das über seinem Bauch spannt. Darunter, direkt über seiner Brust, baumelt eine dicke Kette mit einem Anhänger – ein goldener Fußball.
Vor über 30 Jahren hat er schon einmal hier gestanden, hier, auf diesem Platz, mit einer unbedeutenden Altenburger Hobby-Mannschaft, und er hat sich gefragt, ob er am Abend noch ein freier Mann sein würde, oder aber ob die Stasi den Platz umstellen und alle Fußballspieler verhaften würde: "Wir waren drinnen in der Kabine, hier drauf stand die Baracke auf dem Fundament, da waren Umkleidekabinen und die Fenster gingen hier hinaus und da kam quer über den Platz der große Chef."
Rudi Spindler ist kein Mann für große Emotionen. Eher für die kleinen Gesten. Mal ein Schulterzucken, oder ein kurzes Lächeln. Ein 75-Jähriger, der immer Adidas-Turnschuhe trägt. Wenn er erzählt, mäandern seine Geschichten, manchmal verheddern sie sich. Aber sie kreisen alle um eins: Fußball. Denn Spindler ist Fußballfan, einer der Art, die man eigentlich auch einen Fanatiker nennen könnte. So einer, der als Baggerführer viele Überstunden geschoben hat, damit er zu den Auswärtsspielen der westdeutschen Mannschaften reisen konnte. Hunderte Spiele hat er über die Jahrzehnte besucht, mal in Ungarn, dann in der Tschechoslowakei, in allen Ländern also, die ihm als DDR-Bürger nicht versperrt gewesen waren.

Hoher Preis für die Fußball-Leidenschaft

In seinem Keller stapeln sich die vergilbten Hefte mit den handgeschriebenen Spielberichten, die seine Frau längst aus dem Wohnzimmer verbannt hat. Man könnte man sagen, er ist er einer von vielen Fußballfans in Deutschland, die für ihr Team leben. Aber Spindler, der DDR-Bürger, der den Westfußball liebt, hat einen hohen Preis dafür bezahlt. Doch der Reihe nach.
Rudi Spindlers Mannschaft im lokalen Pokalendspiel 1977: Das Team der Alten Herren der BSG Wismut Altenburg
Rudi Spindlers Mannschaft im lokalen Pokalendspiel 1977: Das Team der Alten Herren der BSG Wismut Altenburg© Rudi Spindler / Privat
1980 lernt Rudi Spindler in der Tschechoslowakei den Frankfurter Theo Finzel kennen: Ein Draufgänger, ein "Hallodri" - so nennen ihn seine Freunde -, und er ist einer, der genauso fußballverrückt ist wie Spindler. Irgendwann, zwischen Fußballgucken und Biertrinken, schmieden die beiden einen Plan: ein Freundschaftsspiel ihrer beiden Hobbymannschaften. West gegen Ost – "Gulf Atletico 71 Frankfurt" gegen die "Alten Herren" der "BSG Wismut Altenburg". Der Austragungsort liegt zwangsläufig in Altenburg.
"Die Vereinbarung eines Spieles zwischen einer Mannschaft der BRD und der BSG-Mannschaft Altenburg wurde vermutlich zwischen dem "X" und dem BRD-Bürger "Y" beim Zusammentreffen während des Europapokalspieles Brno-Frankfurt 1980 in der CSSR getroffen. (…)"
(MfS – HA XX Nr. 2698) Ministerium für Staatssicherheit, Hauptabteilung 20, Nummer 2698
Ein paar Männer, die aus Spaß Fußball spielen und dann ein paar Flaschen Bier trinken? - Das war damals eine gefährliche Sache. Zumindest für die Genossen der Staatssicherheit, denn jeder, der Kontakte in den Westen hat, ist verdächtig. Die Angst vor Spionage grenzt an Paranoia: Der Westen tue alles, glaubt man, um die DDR zu destabilisieren und die Bürger gegen die Regierung aufzuwiegeln. Dieses Weltbild lässt keinen anderen Schluss zu: Sport ist immer politisch und sei es ein kleines Fußball-Turnier.

Ein kleiner, unauffälliger Sportplatz am Stadtrand

Spindler weiß das. Der damals 40-Jährige kennt das Risiko, er hat eine Frau und Kinder, auch deshalb muss er vorsichtig sein. Er wählt einen kleinen, unauffälligen Sportplatz am Stadtrand, damit möglichst wenige Zuschauer von dem Spiel etwas mitbekommen. Und die Gegenseite? Die Mannschaft sei aus dem Harz, erzählt er dem Platzwart, die hätten natürlich einen ungewöhnlichen Akzent, also bitte nicht wundern. Nach und nach zieht Spindler jeden Spieler der Hobby-Mannschaft zur Seite und weiht sie in seinen Plan ein. Alle, bis auf die Spieler, die dem System zu nah stehen.
"Weil ich wusste, dass manche Staatsstellen haben, zwei Polizisten, die in der Mannschaft waren, alles sehr gute kameradschaftliche Leute, der eine war Lehrer, die mussten wir schützen. Wir wussten, dass es riskant ist, klar! Wir kannten doch die DDR durch die Kontrollen, durch die ganzen Ostblockfahrten, da hab ich gewusst, wie's geht."
Kneipenbesitzer Theo Finzel und seine Freunde 1981 aus Frankfurt am Main unterwegs zum Spiel
Kneipenbesitzer Theo Finzel und seine Freunde 1981 aus Frankfurt am Main unterwegs zum Spiel© Helmut Labrenz / Privat
"Wir hatten mal so ein Lied, das ging mit dem O-alele, das war so ein richtiges Gröle-Lied, das war wie so Kanon. Ich krieg's theoretisch noch hin, ja. Also, einer hat vorgesungen und die anderen haben hinter, nach gesungen, aber dann richtig hin", sagt Helmut Labrenz. Er ist einer der Frankfurter Truppe. Auch so ein Fußballnarr, der damals - da war er 30 - mit seinen Freunden von der Kneipenmannschaft "Gulf Atletico 71 Frankfurt" fast jede Nacht um die Häuser zog: erst Fußball, dann Feiern und Bier.

Die Idee in der Kneipe

"Das war halt so die Draufgänger-Zeit", sagt Labrentz, der heute für eine Versicherung arbeitet. Ein freundlicher, ruhiger Mann, der manchmal lange überlegen muss, um sich an die Details von damals zu erinnern: Das Ganze war ein Abenteuer, natürlich, aber eins von so vielen. Aber eines weiß er noch genau: Keiner von den Spielern war sonderlich erstaunt, als Theo Finzel die anderen in seinen Plan einweihte, 'mal einen kleinen Ausflug in die DDR zu machen.
"Jeder hat gesagt: 'Okay, warum nicht, kein Thema.' Und dann hat er gesagt: 'Ja, aber wir machen da auch ein Fußballspiel, das ist nicht so ganz..., ja, das kann ein bisschen mit Schwierigkeiten..., aber wir wissen jetzt nicht..., einfach mal 'rüber und gucken es uns mal an."
Die West-Mannschaft: Der Frankfurter Kneipenbesitzer Theo Finzel und seine Freunde 1981 auf dem Platz: "Gulf Atletico 71 Frankfurt "
Die West-Mannschaft: Der Frankfurter Kneipenbesitzer Theo Finzel und seine Freunde 1981 auf dem Platz: "Gulf Atletico 71 Frankfurt "© Helmut Labrenz / Privat
Mit vier Autos, frisierten Sportswagen, fahren die Frankfurter gen Osten. Der Zeitpunkt ist klug gewählt, denn während der Zeit der Leipziger Frühjahrsmesse sind die Einreise-Formalitäten einfacher. Die Stimmung ist gut, eine Flasche Schnaps macht die Runde. Bis zur Grenzkontrolle: Die Autos werden durchsucht - und zwar gründlich: Die Grenzer entdecken im Kofferraum des BMW von Theo Finzel und Helmuth Labrenz ein Adidas-Trikot mit dem Aufdruck "BSG Wismut" und werden sofort misstrauisch, denn Adidas-Trikots, ein Produkt des kapitalistischen Westens, gibt es in der DDR nicht zu kaufen. Die Frankfurter geben notgedrungen zu, dass sie auf dem Rückweg vom Messebesuch in Altenburg Fußballspielen wollen. Die Grenzbeamten lassen die Männer fahren.

Die Überwachungsmaschine läuft

Während die Sportwagen der Frankfurter über die Schlaglöcher holpern, läuft die Überwachungsmaschine der Staatssicherheit an: Eilmeldungen gehen nach Altenburg, Leipzig und schließlich nach Berlin, nach ganz oben in das Ministerium für Staatssicherheit. In einem von Erich Mielke unterzeichneten Informationsblatt wird festgestellt:
"Dieses Spiel war nicht entsprechend der Direktive des DTSB für den internationalen Sportverkehr angemeldet sowie genehmigt und muß als Unterlaufen der Vereinbarungen über den Sportverkehr zwischen der DDR und der BRD gewertet werden."
Jetzt ist die Kreisdirektion Altenburg gefordert. Sie beschließt, ihre Mitarbeiter "zur Aufklärung" zu allen Fußballplätzen in Altenburg zu schicken. Das Spiel ist für Sonntag angesetzt und noch bleibt ihnen ein Tag Zeit für die Suche.
Derweil warten die ahnungslosen Spieler mit ihren Familien auf die Ankunft der Frankfurter: Die Begrüßung ist herzlich, die Stimmung ausgelassen, bis Theo Finzel seinen Kumpel Spindler zur Seite zieht und ihm von der Durchsuchung und den Trikots erzählt.
Aber Spindler will das Spiel nicht abblasen, jetzt, wo die Frankfurter da sind und alles organisiert ist. Zusammen hecken sie einen neuen Plan aus: Das Spiel wird einfach von Sonntag auf Samstag vorverlegt. Ein Tag früher also, als die Stasi glaubt.
Und so nimmt das Spiel seinen Lauf: Auf dem kleinen, beschaulichen Sportplatz am Stadtrand stehen sich die Mannschaften gegenüber. Ost gegen West - Freund gegen Klassenfeind – aber vor allem: Fußballfanatiker, die einfach mal zusammen eine Runde kicken wollen, angefeuert von einer Handvoll Zuschauer, die allesamt eingeweiht worden sind. Die Altenburger tauschen ihre abgenutzten Trikots gegen die neuen, giftgrünen Gastgeschenke mit dem Adidas Aufdruck – eine weitere, kleine Rebellion gegen die Stasi und das ganze System.
Während die Männer bereits spielen, suchen die Stasi-Leute noch immer nach dem Austragungsort.
"In Realisierung einer der eingeleiteten Sofortmaßnahmen – Rücksprache mit den Platzwarten der Sportplätze Altenburgs durch operative Mitarbeiter der Objektdienststelle zur Prüfung 'vor Ort' wann und wo ein solches Spiel stattfinden könnte, stellte der Mitarbeiter der OD Altenburg, Gen. Leutnant Richter, gegen16.20 Uhr fest, daß auf dem sogenannten 'Postsportplatz' der BSG Wismut Altenburg, Altenburg, Münsaer Straße, ein Fußballspiel stattfindet."

Die Stasi kommt zu spät

Doch als die Mitarbeiter der Staatssicherheit endlich am Platz erscheinen, ist es schon zu spät: Sie können nur noch die letzten paar Minuten des Spiels beobachten, inklusive des 5:0 für Frankfurt.
"Zur Vermeidung insbesondere politischer Komplikationen (…) und weil das Spiel bereits kurz vor dem Abpfiff stand, wurde auf einen Abbruch des Fußballspieles mit polizeilichen Mittel verzichtet. Der Vorsitzende der Sektion Fußball Gen. Rößler, war zu einem Fußballspiel in Leipzig und konnte erst nach seiner Rückkehr, gegen 17.30 Uhr zum Sportplatz gebracht werden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Sportler bereits umgekleidet."
Noch einmal davon gekommen, treffen sich die Spieler zusammen mit ihren Familien am Abend im Lokal. Die Männer trinken eine Runde nach der anderen, Westbier und Coca Cola, die die Frankfurter ins Land geschmuggelt haben. Die Gespräche drehen sich, natürlich, um das Spiel, Fußball, den UEFA-Cup. Politik, der Ost-West-Konflikt, das DDR-Regime interessieren hier keinen. Die Stimmung wird immer ausgelassener, irgendwann am späten Abend entführen die Frankfurter kurzerhand die Braut einer Hochzeitsgesellschaft, die im selben Lokal feiert.
"Der ganze Abend war eigentlich super. Also wir haben dann da oben gestanden und gesagt: 'Hier, noch ne Flasche Sekt oder noch einen Rotkäppchen. 'Noch eins', war dann normal, also für uns war das normal. Ich glaube der Rotkäppchen hat da sechs Mark gekostet oder so was, also Ostmark. Das war ja für uns kein Geld."
Am nächsten Tag machen sich die Frankfurter, auch das ist akribisch von der Stasi dokumentiert, wieder auf den Weg gen Westen.Damit könnte die Geschichte eigentlich vorbei sein, doch es ist 1981 und der kalte Krieg ist gerade ein ganzes Stück frostiger geworden: Ronald Reagan ist seit ein paar Monaten an der Macht und hat die Entspannungspolitik aufgekündigt. Ost und West rüsten auf, die Anspannung ist extrem.
Ein einfaches Freundschaftsspiel? - Das gibt es in diesem Kontext nicht. Rudi Spindler wird nach Leipzig in die Stasi-Zentrale zitiert, die Adidas-Trikots werden eingezogen: "Das war ganz kriminell. In Leipzig, da saß einer, am Tonband, ein großer Funktionär. Da sagt der: Nun erzählen Sie mal die ganze Geschichte von vorne. Aber alles und vergessen Sie nichts. Und wenn ich 'mal gestockt habe, dann hat er geschrien, ich soll weiterreden."

Mielke informiert Honecker

Die Beamten stehen unter Druck, schließlich liegt der Fall bereits auf dem Schreibtisch von Erich Honecker. Der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke notiert am 28. 3. 1981 handschriftlich:
"Durch Genossen Minister Generalsekretär am 31.3.81 informiert"
"Ja. Guten Tag! Schmidt, ja. Ich grüß Sie… Satzung ist. Ja, wieviel, mach ich, ja. Kein Problem, ciao… Geht seinen Gang, ja, mach ich…. Ja… Da war auch keins dabei…. Du willst nur, wenn Material ist ja…."
Das quadratische Büro in dem grauen Plattenbau in Berlin ist vollgestopft: Auf dem Bücherregal steht ein Bildband über den Harz neben ausgeblichenen Aktenordnern und einem "MfS Lexikon", an der Wand hängt ein Ölgemälde, eine Reproduktion von einem Mann im Halbdunkeln, nur sein Helm schimmert golden. Fast könnte man meinen, als habe die Zeit Wolfgang Schmidt vor 30 Jahren hier abgeladen und dann einfach vergessen. Schmidt, braunes Kordhemd, Typ Ministeriumsbeamter, war seit 1957 beim Ministerium für Staatssicherheit, die letzten Jahre vor der Friedlichen Revolution als Chefanalytiker, zuständig für die staatliche Sicherheit auf dem Gebiet Sport, wie er sagt.
Wer die Guten sind, ist auch heute noch klar. Persönlich, sagt Schmidt, kann er sich nicht an den Fall erinnern, der eigentlich auf seinem Schreibtisch hätte landen müssen. Vielleicht, weil er direkt zur Chefsache erklärt wurde. Wundern würde ihn das nicht:
"Man musste ja immer vom Schlimmsten ausgehen: Dass also dahinter ein großer Plan besteht, der also, auf diese Weise jetzt Unterwanderung zu betreiben oder irgendwas. Ja oder dann auch ist ja sogar die Möglichkeit immer in Betracht zu ziehen, - Geheimdienste müssen da immer misstrauisch sein - dass auch andere subversive Interessen dahinter stehen. Denn in Altenburg war ja auch ein Militärflughafen…"
Was die Stasi besonders misstrauisch machte: Viele der Spieler arbeiteten in der Wismut in Altenburg, einem deutsch-sowjetischen Bergbau-Unternehmen, das Uran für die sowjetische Atomindustrie förderte. Wollten die westlichen Geheimdienste etwa über die Frankfurter das Werk ausspionieren? Oder die Spieler und durch sie die Arbeiter gegen den Staat aufwiegeln? Warum sonst hätten man das Fußballspiel geheim gehalten und es nicht offiziell genehmigen lassen?
"Das müssen Sie natürlich schon so in diesem Zusammenhang sehen, also dass hier das was in der offiziellen, in den offiziellen Sportbeziehungen erreicht wurde, auf irgendeine Weise unterlaufen wurde."
"In Durchsetzung der Weisung des Genossen Minister wurde gegen die beiden Organisatoren des Spiels (…) durch die Kreisdienststelle Altenburg am 15.4.1981 operative Personenkontrolle gemäß Richtline 1/81 eingeleitet."
Das bedeutet für Rudi Spindler: Seine Post wird gelesen, in der gegenüberliegenden Wohnung wird eine Kamera installiert, Autos folgen ihm unauffällig auf der Straße.
"Gegen (…) die Organisatoren des nicht genehmigten Spiels wurden eine Reihe von Sanktionen durchgesetzt. Spindler wurde aus der SED, der BSG Wismut und dem DTSB ausgeschlossen und von seiner Funktion innerhalb des FDGB entbunden. Am 4.6.1981 wurde ihm der Personalausweis entzogen und an Stelle dessen eine PM 12a ausgehändigt."

Der Ausweis weg und Reisen nicht möglich

Ein Desaster für Rudi Spindler. Der PM 12a ist ein vorläufiger Ausweis, der mit Auflagen für den Besitzer verbunden ist: regelmäßige Meldetermine bei der Polizei, Reiseverbot selbst in die sozialistischen Bruderländer. Jetzt kann er nicht mehr zu Fußballspielen fahren und die westdeutschen Teams anfeuern. Doch damit nicht genug: Zur Überprüfung ihrer Maßnahmen geht die Stasi noch einen Schritt weiter und versucht, Mitspieler als informelle Mitarbeiter anzuwerben. Um das zu verstehen, muss man sich aber in die damalige Zeit zurückversetzen, erklärt Schmidt:
"Da sind ja Atomwaffen aufeinandergerichtet worden, da war ja im Westen bekannt, wie viele Atombomben auf Dresden fallen sollten und umgedreht waren solche Pläne sicher auch da. Also in diesen Konflikt müssen Sie das rechnen, da kommt plötzlich jemand und sagt: 'Wir sind alles Deutsche, ist alles unpolitisch.' Da war nichts unpolitisch in diesen Beziehungen, verstehen Sie! Da war nichts unpolitisch!"
Dann, endlich, nach vielen Monaten, schließt die Stasi die Ermittlungen ab.
"Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe Bereich 2
Berlin, 26.November 1981
Es konnten keine Hinweise dafür erarbeitet werden, daß bei den Angehörigen beider Mannschaften im Zusammenhang mit dem Spiel am 21.3.1981 eine feindliche Zielstellung vorlag, das Spiel von feindlichen Stellen organisiert bzw. im Nachhinein ausgenutzt und mißbraucht wurde."
Ein Jahr später bekommt Spindler seinen Personalausweis zurück und reist sofort wieder zu UEFA-Cup-Spielen, aber der Kontakt zwischen den Altenburgern und Frankfurtern verliert sich, denn, das ist, so beschließt man nach den ganzen Scherereien, einfach sicherer für die Ostdeutschen. Auch deshalb behalten die Frankfurter das Ganze für sich. Was sie nicht wissen. Auch in ihrem Fall hatte die Staatssicherheit eine Überprüfung eingeleitet.
"Politisch-operative Maßnahmen zu den an dem Fußballspiel vom 21.3.1981 beteiligten BRD-Bürgern
Alle BRD-Bürger sind für die Kreisdirektion in KK-West zu erfassen und anschließend ist eine Einreisesperre für die Dauer von drei Jahren einzulegen.
Verantwortlich: Leiter Referat 3"
Herbst 1989. Zehntausende Menschen ziehen in Leipzig und anderswo durch die Straßen und skandieren: "Wir sind das Volk!" – und das Volk hat genug von der DDR, der Stasi und dem ganzen Regime. Bald wird die Mauer fallen, werden Menschen sich in Berlin in den Armen liegen und die Wiedervereinigung beschlossen werden, kurz: die DDR-Regierung gestürzt.
Noch bevor das passiert, setzt Spindler einen Brief an die Staatssicherheits-Zentrale in Berlin auf. Er schreibt: Entweder spendiert ihm die Stasi einen neuen Satz Adidas-Trikots oder -"Dresse", wie sie sie nennen, oder Spindler geht an die Presse.

Im Herbst 1989 dann: Forderungen an die Stasi

"Da haben sie gesagt: 'Drei, vier Wochen!' Und dann haben sie angerufen: 'Dresse sind da.' Dann haben wir gesagt welche Farbe, was drauf sollte und dann habe ich gesagt: 'Den Sponsor, der die Trikots damals gemacht hat, hätten wir gerne mit drauf gehabt.' 'Ja, kein Problem, die müssen sowieso gedruckt werden.' - Haben die alles gemacht, und dann haben die angerufen: 'Die Dresse können abgeholt werden.' Und dann habe ich gesagt: 'Ich habe doch gar keinen Grund, die bei euch abzuholen, warum denn?' Ich sag: 'Wir mussten sie bringen, und ihr bringt sie diesmal.' Und dann haben sie sie gebracht mit dem Auto. Das war Genugtuung, ja."
Eine Genugtuung, auch Jahre später. Spindler grinst, wenn er die Geschichte erzählt. 1:0 für Rudi Spindler. Die Stasi muss geschlagen vom Feld gehen.
Noch einmal: Zwei Hobbymannschaften treffen sich zum Spielen, feiern dann in einem Lokal, schlagen ein bisschen über die Stränge und gehen dann getrennte Wege. Das findet heute wohl jeden Tag hundertmal in Deutschland statt, aber damals, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, war das Spiel etwas Besonderes und auch etwa Einmaliges. Schmidt kennt kein anderes Beispiel der Art.
In Prag trifft Rudi Spindler (rechts) auch Fußballprofi Sepp Maier
Gelebte Fußballleidenschaft: Bei einer Fahrt nach Prag lernte Rudi Spindler (re.) auch Profi Sepp Maier kennen.© Rudi Spindler / Privat
Aber, vielleicht, hatte die Stasi doch in einem Recht: Sport war damals politisch, denn die Frankfurter und Altenburger haben gezeigt: Fußball kann Grenzen überwinden. Zwei Tore, ein Ball, mehr braucht es nicht. Und vielleicht hat die Stasi letztlich deswegen so überreagiert, denn die Männer hatten bewiesen, dass auf der anderen Seite der Mauer nicht der Feind wohnt, sondern ganz normale Menschen – so normal man als Fußballfanatiker eben sein kann.
Nach dem Fall der Mauer haben die Altenburger und Frankfurter an ihr Spiel angeknüpft, sich mehrmals getroffen und sind sogar gemeinsam nach Österreich gereist. Später haben sie noch mal ein Freundschaftsspiel organisiert – diesmal hat das aber niemanden mehr interessiert.

*Redaktioneller Hinweis: Ein Name wurde korrigiert.

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