Doping

Leistung aus dem Labor

Beschlagnahmte Fläschchen mit einem Testosteron-Medikament sind am 10.09.2015 in Frankfurt am Main (Hessen) im Zollfahndungsamt zu sehen, nach dessen Angaben der Handel mit illegalen Doping- und Potenzmitteln blüht. Hauptabnehmer ist die Bodybuilder-Szene.
Welche Spätfolgen kann Doping haben? © picture alliance/ dpa/ Frank Rumpenhorst
Von Elmar Krämer |
"Schneller, höher, weiter" - darum geht es noch immer vielfach im Sport. Dabei nutzen Dopingsünder neueste Methoden der Leistungssteigerung. Dopingfahnder ziehen nicht selten den Kürzeren.
"Haben Sie je verbotene Substanzen zur Leistungssteigerung genommen?"
"Ja."
"War eine davon EPO?"
"Ja."
"Haben Sie auch Eigenblutdoping oder Bluttransfusionen genutzt?"
"Ja."
"Haben Sie andere verbotene Substanzen wie Testosteron, Kortison oder Wachstumshormone genommen?"
"Ja."
"Haben Sie bei allen sieben Tour-de-France-Siegen verbotene Substanzen und Eigenblut genommen?"
"Ja."
"Ist es überhaupt möglich, die Tour siebenmal hintereinander ohne Doping zu gewinnen?"
"Ich denke nicht."
Januar 2013: eine gestürzte Legende gesteht – Lance Armstrong, von 1999 bis 2005 die Lichtgestalt der Tour de France, der Kopf des Teams US-Postal und dominierende Held der Radfahrwelt. Er gibt im Fernseh-Interview mit der amerikanischen Talkmasterin Ophra Winfrey zu, gedopt zu haben. Jahrelang hatte er nachdrücklich und kämpferisch seine Unschuld beteuert, dann ein eher dezentes, aber nicht minder eindrückliches Geständnis. Sehr professionell sei das Doping vonstatten gegangen und eher konservativ. Er habe lediglich Zugriff auf die Dinge gehabt, auf die alle Zugriff gehabt hätten.
Alle? Das sind die einstmaligen Helden der Tour de France: Ullrich, Armstrong, Zabel – Verdächtigungen standen mit jeder Glanzleistung im Raum. Untersuchungsergebnisse folgten und nach Jahren des Schweigens und Leugnens im Jahr 2013 einige emotionale Momente in Pressekonferenzen und Interviews.
Erik Zabel: "Ich habe das Epo damals probiert, weil es möglich war und weil es ohne Konsequenzen blieb. Mit anderen Worten: Ich habe gedopt, weil es ging."
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Lance Armstrong bei der Tour de France (Bild: epa / Christophe Karaba)© epa / Christophe Karaba
Ist es möglich, an der Weltspitze dabei zu sein, ohne zu unerlaubten Mitteln zu greifen? Dr. Norman Schöffel, Arzt und Doping-Experte:
"Ich bin überzeugt davon, dass es in vielen Sportarten nicht möglich ist, ohne Doping im Hochleistungssport international wettkampffähig zu sein."
Radio-Reportage: "Ben Johnson führt, jetzt kommt Carl Lewis, Ben Johnson gewinnt in 9.79 Sekunden, das ist neuer Weltrekord."
All die Sportler, die heute nur noch als Dopingsünder im Gespräch sind, haben einiges gemeinsam. Unter anderem: Leidenschaft und Begabung für ihre sportlichen Disziplinen. Keiner von ihnen wäre ohne Talent soweit gekommen. Doch irgendwann wollen sie mehr und geraten an die falschen Leute: Trainer, Berater, Ärzte. Bei Ben Jonson war es u.a. sein Trainer Charlie Francis, der ihm den Einsatz von leistungssteigernden Substanzen nahelegte.
Johnson trainierte wie besessen, das Doping besorgte den Rest. Die auffällig ausgeprägte Muskulatur des kanadischen Sprinters wurde immer wieder kommentiert.
Der "Kraftmaschine", dem "Kraftpaket" gelang, wovon Johnson so lange nur geträumt hatte: "Goodwill Games" in Moskau 1986, Leichtathletik WM 1987 in Rom und der traurige Höhepunkt: Olympia 1988 in Seoul: Ben Johnson schlug "King Karl", Carl Lewis.
"Bei Ben Johnson gibt es verschiedene Sachen, die sehr interessant sind. Also zum einen ist es ja so, dass er diese Olympiamedaille aberkannt bekommen hat im 100 Meter-Sprint 1988 und Carl Lewis hat sie zuerkannt bekommen und wenn man sich mit dem Fall mal auseinandersetzt, dann ist das im Nachgang auch eine bittere Pille, weil Carl Lewis hätte eigentlich bei Olympia gar nicht starten dürfen, weil er in den Ausscheidungswettkämpfen vor Olympia, den US-Trials, positive Dopingproben hatte, also Dopingergebnisse und eigentlich hätte disqualifiziert werden müssen und diese positiven Dopingtests sind halt vom amerikanischen Leichtathletikverband unter den Tisch gekehrt worden."
Leichtathletik, Kraftsport, Rudern, Schwimmen, Skisport, Radsport. Jede Sportart hat ihre großen Dopingfälle und ihre Dopingmoden. Im Radsport ist das Erythropoetin, kurz Epo. Epo wird auch auf natürliche Weise im Körper produziert. Stellen die Nieren eine Sauerstoffarmut im Blut fest, wird Epo gebildet, was eine Erhöhung der Zahl an roten Blutkörperchen zur Folge hat.
"Die Sauerstofftransportkapazität des Blutes steigt und damit das Angebot von Sauerstoff für das Gewebe, also auch die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle und die sind dann in der Lage, mehr Sauerstoff pro Zeiteinheit umzusetzen."
Um das zu erreichen, kann dem Körper Eigen- oder Fremdblut zugeführt werden – das sogenannte Blutdoping. Noch effektiver kann die Leistungsfähigkeit des Organismus werden, wenn synthetisch hergestelltes Epo injiziert wird. Ziel ist es die Leistung enorm zu steigern, die Ermüdung zu verzögern und auch den Kampfgeist erhöhen – was auch auf andere Dopingmittel zutrifft.

Schon 1896 wurde gedopt

Schlägt man die Geschichtsbücher des Sports auf, dann sieht man: Ein neues Phänomen ist das alles nicht.
"Es ist natürlich die Frage, wo fängt man an zu zählen? Wenn man anfängt bei den olympischen Spielen der Neuzeit, 1896 begonnen – viele Athleten werden dort sicher auch schon gedopt haben. Sicher mit anderen Mitteln und Methoden, man weiß ja heute, dass zu Beginn des 20 Jahrhunderts eben dann z.B. Kokain und Strychnin bei vielen Sportarten gängig war."
Interessanter Weise wurden erste Dopingkontrollen und auch Verbote im Pferdesport eingeführt. Der Begriff Doping taucht erstmals Ende des 19 Jahrhunderts auf und meinte die Leistungssteigerung von Rennpferden. In Österreich wurde 1910 erstmalig durch Speicheltests Pferdedoping nachgewiesen. Beim Menschen dauerte es noch einige Jahrzehnte. Bei Olympischen Spielen werden die Athleten erst seit 1968 auf Dopingmissbrauch kontrolliert. Allein die Definition bereitete allerdings schon Schwierigkeiten.
"Es gab über die Jahre und Jahrzehnte immer wieder geänderte Definitionen, weil der Begriff sehr schwer fassbar ist. Und man hat sich letztlich geeinigt, das enumerativ zu machen, also eine Liste von Substanzen, Methoden, die als Doping definiert werden."
Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln ergänzt:
"Doping beginnt dann, wenn ich verbotene Substanzen, die auf der Dopingliste stehen, so muss ich es wirklich sagen, die auf der Dopingliste stehen, nutze, um meine körperliche Leistungsfähigkeit zu beeinflussen, positiv. Was nicht auf der Dopingliste steht, hat nichts mit Doping zu tun."
Formal scheint das richtig, dennoch ist auch hinter diese Definition und die Praxis im Umgang mit Dopingmitteln und Methoden ein dickes Fragezeichen zu setzen. Durch die rasanten Entwicklungen in der Medizin und der Wirtschaft können nicht alle Substanzen auf der Liste stehen. Der Wettkampf findet längst nicht mehr nur in den Stadien statt, sondern in den Labors der Doping-Netzwerke und der Kontrolleure. Immer wieder kommen neue Mittel auf den Markt, werden irgendwann enttarnt und landen dann auf der Liste.
"Allgemein sagt man so, in den 60er Jahren kamen die Amphetamine, waren so große Mode, dann in den 70er/ 80er Jahren Steroide in den 90ern die rekombinierten Hormone, wie EPO sag ich mal. Aber letzten Endes ist es so, dass man die Wirkstoffe gar nicht mehr klar trennen kann, oder den Missbrauch, weil ja nach wie vor auch mit Steroiden gedopt wird, es wird auch mit Amphetaminen gedopt. Bloß bestimmte Substanzen, die sehr sehr wirkungsvoll sind, sind heute so leicht oder so lange nachzuweisen, dass man sie nicht mehr ohne weiteres missbrauchen kann, ohne überführt zu werden."
Aber wie kommen dann die Weltrekorde zu Stande, die vor etlichen Jahren oder Jahrzehnten aufgestellt wurden?
"Das liegt vor allem daran, dass die wirksamsten Substanzen, also z.B. bestimmte anabole Steroide heutzutage so leicht nachweisbar sind, dass man sie nicht mehr ohne weiteres missbrauchen kann und die Rekorde basieren hauptsächlich darauf. Also z.B. Jürgen Schult, Weltrekordinhaber im Diskuswurf, bis heute einer der ältesten Leichtathletik-Rekorde, ich glaub 1986, also inzwischen fast 30 Jahre, der hat eben nachweislich mit Oral-Turinabol gedopt und dieses Niveau zu erreichen mit anderen Doping-Substanzen, das ist halt schwierig, weil es relativ schnell zu einem positiven Test führen würde mit den heutigen Dopingtestmethoden."
Egal ob damals oder heute, Dopingmittel greifen in Strukturen und Prozesse ein, die im Körper der Sportler vonstattengehen. Viele dieser Prozesse finden auch auf natürlichem Wege statt, werden aber durch die Einnahme entsprechender Substanzen verstärkt oder beschleunigt.

Verboten? Oder nur manchmal verboten?

Die WADA, die Welt-Anti-Doping-Agentur, klassifiziert Dopingmittel auf der Verbotsliste nach Substanzen und Methoden, die:
• zu jeder Zeit verboten sind. Beispielsweise Anabolika und andere anabole Steroide.
• die nur im Wettkampf verboten sind. Beispielsweise Stimulierende Substanzen, aber auch Schmerzmittel.
• die nur in bestimmten Sportarten verboten sind. Beispielsweise Betablocker.
• zu jeder Zeit verboten: Anabole Steroide.
Anabole Prozesse sind Aufbauprozesse im Körper, in denen neues Gewebe, auch Muskelgewebe entsteht. Sie finden ganz natürlich in jedem Menschen statt. Durch anabole Steroide und Anabolika, werden diese Prozesse aber beschleunigt und verstärkt. Dadurch kommt es bei gleichem Trainingsreiz z.B. zu einem stärkeren Muskelwachstum. Die Basis der meisten körpereigenen Anabolika ist das Testosteron, das männliche Sexualhormon, das in geringerer Konzentration auch bei Frauen natürlich vorkommt. Künstliches Testosteron gehört zu den am weitesten verbreiteten Anabolika. Seine chemische Struktur ist in der Regel so verändert, dass die Wirkung um ein vielfaches stärker ist als bei natürlichem Testosteron. Anabolika sind im Kraftsport und im Bodybuilding besonders beliebt und weitverbreitet.
Dennoch wurden und werden anabole Steroide und Anabolika nicht nur in den Kraft- und Schnellkraftsportarten eingesetzt, auch, wenn das eine weitverbreitete Meinung ist.
"In den Ausdauersportarten findet eine sehr hohe mechanische Belastung der Muskulatur statt. Und mit Testosteron kann man den Regenerationsprozess oder diese Umbauprozesse beschleunigen und darüber dann Leistungssteigerung erreichen. Testosteron hat aber auch noch andere Wirkungen, die weniger bekannt sind; z.B. steigert Testosteron auch die Freisetzung von EPO im Körper und darüber wird die Blutbildung stimuliert und es steigt die Anzahl von roten Blutzellen und zum anderen ist ja Testosteron ein Sexualhormon, das auch Aggressivität steigert und das spielt ja eben bei bestimmten Sportarten in bestimmten Situationen auch eine große Rolle."
Nur im Wettkampf verboten sind z. B. Stimulanzien. Zu dieser Gruppe zählen Stoffe, die die Aktivität des Zentralnervensystems anregen und auch Schmerzmittel, die die Aktivität dämpfen. Diese werden genutzt, um Pausen zu vermeiden und weitermachen zu können. Im Leistungssport werden Stimulanzien größtenteils als Aufputschmittel eingesetzt, da sie das Konzentrationsvermögen, die Risikobereitschaft und auch die Aggressivität erhöhen und so auf die körperliche Leistungsfähigkeit wirken.
"Als Dopingmittel besonders beliebt sind Amphetamine. Diese entsprechen in ihrer Struktur und Wirkungsweise oft den körpereigenen Hormonen Adrenalin und Noradrenalin. Ihre körperlichen Wirkungen: Sie erweitern die Blutgefäße, sorgen für verbesserte Atmung, regen den Fett-Abbau an und ermöglichen so einen Zugriff auf die Energiereserven des Körpers. Außerdem erhöhen sie die Herzfrequenz und den Blutdruck. In Training und Wettkampf führen sie zu einer deutlichen Leistungssteigerung."

Kaffee wäre schlecht für die ruhige Hand

Viele der im Doping-Substanzen können in den unterschiedlichsten Sportarten leistungssteigernd eingesetzt werden. Es gibt aber auch Sportarten, in denen bestimmte Mittel Nachteile brächten – und das fängt schon weit vor den Dopingmitteln an. Professor Ingo Froböse:
"Beispiel: Wenn ich Koffein nehme, dann hat das in der Regel eine aktivierende Wirkung, es puscht mich auf. Wenn ich jetzt aber eine Sportart habe, wo ich eine ganz ruhige Hand haben muss, wo der Herzschlag ruhig sein muss, da wäre das völlig kontraproduktiv."
So gibt es Dopingmittel, die nur in bestimmten Sportarten verboten sind, da sie in anderen Disziplinen keinen Nutzen bzw. sogar deutliche Nachteile bringen würden.
"Beispielsweise im Bogenschießen oder generell im Schießsport können z.B. Betablocker, das sind Medikamente, die man beispielsweise bei verschiedenen Herzkrankheiten einnimmt, die Herzfrequenz verlangsamen und den Blutdruck senken und das kann eben Vorteile bringen in diesen Schießsportarten.
Es gibt eine ganze Reihe von Betablockern. Sie setzen an der Reizweiterleitung im neuronalen System an. So werden bestimmte Rezeptoren blockiert und unterdrücken so einen Reiz, der z.B. durch die Ausschüttung von Adrenalin im Normalfall die Körperfunktionen hochfahren und u.a. zu einer Beschleunigung des Herzschlags führen würde."
Der Markt an Dopingmitteln ist groß und unübersichtlich, die Kombination verschiedener Wirkstoffe bietet enorme Einsatzmöglichkeiten: eine von vielen Herausforderungen für die Kontrollorgane. Und es kommen immer wieder neue hinzu.
Das Topthema ist Gendoping, weil das wird sicher den Hochleistungssport in den nächsten Jahrzehnten maßgeblich beeinflussen. Und es gibt dort eigentlich momentan kaum Möglichkeiten, des Nachweises und es gibt vielfältige Möglich-keiten, dort zu dopen – mit verschiedensten Mitteln.
"Die WADA, die Welt-Anti-Doping-Agentur definiert Gen-Doping als: " Nicht-therapeutischer Gebrauch von Zellen, Genen und genetischen Elementen sowie die Beeinflussung der Genexpression, mit der Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit zu steigern."
Der menschliche Körper ist ein kompliziertes Konstrukt. Jeder Eingriff in stattfindende Prozesse kann gravierende Folgen haben. Beim Gendoping wird auf das Genmaterial bestimmter Zellen Einfluss genommen. Dieses wird so verändert, dass sich die Funktion der Zellen ändert. Ein Beispiel: Myostatin, ein Protein, das das Muskelwachstum im Körper reguliert und dafür sorgt, dass nicht übermäßig Muskulatur aufgebaut wird.
"Myostatin ist ein ganz zentrales Protein im Muskelstoffwechsel und wenn man z.B. durch ein "Knock-out-Modell", das ist ein etabliertes bio-technologisches Modell, ein Gen oder einen Rezeptor blockiert, dann wird eben ein solches Protein oder Hormon in Übermaß produziert und wirkt dann letztlich wie ein Arzneistoff, der zugeführt wird, also wie ein gängiges Dopingmittel. Man dopt sich sozusagen durch Manipulation der eigenen Körperzellen, des eigenen Erbguts."
So kann eine natürliche Grenze überschritten werden. Bei Doping mit anabolen Steroiden, ist immer noch ein anstrengendes Training notwendig, um ein starkes Muskelwachstum zu bewirken. Durch Gendoping könnte das auch ohne hartes Training funktionieren, befürchten Wissenschaftler.
Anabolika-Missbrauch: mit Pillen schnell zum Traumkörper. Auf dem muskulösen Oberarm eines Bodybuilders liegen verschiedene Anabolika-Präparate.
Anabolika-Missbrauch: mit Pillen schnell zum Traumkörper © picture alliance / dpa / Klaus Rose

Auch Freizeitsportler dopen vermehrt

Leistung zählt in unserer Gesellschaft und Doping ist längst auch im Breiten- und Freizeitsport ein Thema:
"Die Grenze zwischen dem Alltagsmedikamentenmissbrauch oder Alltagsdoping und dem Dopingmissbrauch im Hochleistungssport, die ist fließend und nicht klar zu ziehen."
Verschiedene Studien zeigen beängstigende Ausmaße. Schätzungen gehen davon aus, das mehr als die Hälfte der Teilnehmer an Marathonveranstaltungen prophylaktisch zu Schmerzmitteln greift und 80% der Freizeit- und vor allem Fitnesssportler zu teils bedenklichen Nahrungsergänzungspräparaten. Dr. Norman Schöffel lehnt derlei kategorisch ab. Der Arzt ist Triathlet und startet auch bei Ironman-Wettkämpfen:
"Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass z.B. der Schmerzmittelgebrauch im Triathlon oder auch der Gebrauch von Koffeintabletten, also Koffein in hochkonzentrierter Form relativ weit verbreitet ist – das ist ja schon eine Entwicklung, die zeigt, dass bestimmte Hemmschwellen überwunden sind. Man nimmt ja nicht Koffeintabletten oder Paracetamol aus Gewohnheit, wie man morgens einen Kaffee trinkt, sondern das hat ganz klar das Ziel die Leistung zu steigern. Und jemand der eben diese Hemmschwelle übertreten hat, der übertritt vielleicht auch die nächste Stufe."
Auch der Griff zu "hartem" Doping ist längst keine Seltenheit mehr und nicht zuletzt im Fitnesssport und Bodybuilding verbreitet.
Bodybuilder sind Männer und Frauen, die extrem hart trainieren und äußerst diszipliniert auf ihre Ernährung achten. Nur wenige gehen offen mit dem Thema Doping um:
"Also das Thema Medikamente ist in jedem Sport ein Thema, doch in diesem Sport ist es sehr sehr offensichtlich. Was mich an der ganzen Sache nur stört, ist der Irrglaube, ein Fußballer nimmt keine Dopingmittel das aber nicht so breit getreten wird oder man das nicht so eindeutig sehen kann, wie bei jemandem, der seinen Körper zur Schau stellt. Naja, irgendwann kam bei mir auch der Punkt, an dem sich einfach nichts mehr bewegt hat. Ganz ehrlich – es geht bei uns Frauen gar nicht anders."
Einer, der jahrelang gedopt hat, ist Jörg Börjesson aus Dorsten in Nordrhein-Westfalen. Er kam als Teenager zum Bodybuilding und recht bald ohne groß zu hinterfragen zum Doping – angeregt von einem seiner Vorbilder im Studio.
"Also die ersten Jahre hat man sich natürlich großartig gefühlt, man war wie in so einem Leistungsrausch."
Doch irgendwann war der Traum vorbei: Börjesson erlitt starke Nebenwirkungen: Hautprobleme, Herzrhythmusstörungen, Gelenkschmerzen und als trauriger Höhepunkt: Gynäkomastie. Ihm wuchsen weibliche Brüste, die er später operativ entfernen lassen musste. Heute ist Börjesson Anfang 50 und aktiv gegen Doping im Sport. Er besucht Schulen und Fitnessstudios und klärt ehrenamtlich über Doping und die Folgen auf. Das größte Problem für seine Arbeit: Im Internet und in einschlägiger Literatur findet man genaue Anleitungen zum Dopen und kann sämtliche Mittel auf dubiosen Kanälen bestellen.
"Das hat alles den Anstrich der Legalität. Da sind die richtigen Mittel, da sind die richtigen Dosierungen und wenn ich dieser Angelegenheit dann folge, da kann mir gar nichts passieren und alle anderen, die Nebenwirkungen erlitten haben, so wie ich – ja, der hat was falsch gemacht."
Jörg Börjesson hat immer noch massiv mit den Folgen seines Dopingmissbrauchs zu kämpfen – die Substanzen haben ihn und den Sport, den er einst so liebte, kaputt gemacht, so sagt er.
Um dem Doping in der deutschen Bodybuilding-Szene etwas entgegenzusetzen, wurde 2013 die GNBF, die "German Natural Bodybuilding & Fitness Assoziation" gegründet, ein Zusammenschluss von Kraftsportlern, die ohne Doping ihre Körper stählen.

"Es gibt natürliche Grenzen"

Einer von ihnen ist der Personal Trainer Dr. Michél Gleich. Der ehemalige Soldat einer Spezialeinheit und Bundeswehrausbilder hat sich mit seiner Leidenschaft, Menschen zum Sport zu motivieren, selbstständig gemacht. Für ihn ist klar:
"Du erreichst durch natürliches und ehrliches Training irgendwann einen Level, wo die Leistungssteigerungen nur noch sehr gering sind und das musst du dann in erster Line mit dir selber vereinbaren: Kannst du mit diesem Leistungslevel leben oder eben nicht. Und die sogenannten schwarzen Schafe, die dann zu unerlaubten Substanzen greifen, die wollen halt immer mehr. Ich mein, schau mich an, ich bin 1.80 m groß, durch jetzt über 20 Jahre Training wiege ich jetzt so 93-94 Kilo, bei einem Körperfettanteil von 7-8%. Das ist das, was man maximal nahezu erreichen kann. Ich bin jetzt in keiner Wettkampfform aber ich bin athletisch gebaut, ich kann mich bewegen, ich laufe auch Marathonläufe, ich laufe auch 24 Stunden Extremläufe und auf der anderen Seite gibt es Bodybuilder , die wiegen bei meiner Körpergröße locker mal 110, 120 Kilo – ist das möglich, das auf natürlichem Wege überhaupt zu erreichen? Meine Antwort lautet, nein, da gibt es irgendwann natürliche Grenzen."
Bei den deutschen Meisterschaften im Natural Bodybuilding ist Michél Gleich dritter geworden, bei den Weltmeisterschaften in Amerika hat er es auf den sechsten Platz geschafft. Im Natural Bodybuilding werden verstärkte Dopingkontrollen durchgeführt, Blut, Urin und Haarproben genommen. Anfangs wurden auch Lügendetektortests durchgeführt – dennoch kann auch hier Doping nicht ausgeschlossen werden.
"Das absolute 100% Vertrauen hast du leider zum aktuellen Zeitpunkt nicht."
Ein großes Problem, sagt Norman Schöffel:
"Und es ist ja auch in vielen Untersuchungen und Befragungen bekannt geworden, dass die Motivation von vielen Sportlern, auch Profisportlern zum Doping ist, dass sie ihren Konkurrenten nicht trauen."
Doping, weil alle Dopen? Für Michél Gleich ist das keine Option.
"Es geht um ehrliche Leistung, weil sonst könnte ich morgens einfach nicht in den Spiegel schauen."
Doch dazu gehören Willensstärke und Selbstbewusstsein. Und das ist für viele Sportler spätestens in dem Moment vorbei, wenn vom Siegen mehr abhängt als sportliche Bestätigung, wenn der Körper das einzige im Leben ist, auf das man stolz sein kann oder natürlich, wenn der Sport zum Beruf wird, wenn auch Werbeverträge und Prämien davon abhängen.
Die intensive Beschäftigung mit dem Thema Doping im Spitzensport hat den Mediziner Norman Schöffel auf jeden Fall desillusioniert:
"Das Ziel, im professionellen Bereich sportwissenschaftlich zu arbeiten und mit Profisportlern zu arbeiten, das habe ich halt ausgeschlagen, weil für mich das Bild vorhanden ist, das in vielen Sportarten – ich möchte nicht alle Sportarten unter einen Kamm scheren – aber in vielen Sportarten ist eben der internationale Wettkampfsport ohne Doping nicht möglich."
Personal-Trainer und Naturell-Bodybuilder Michél Gleich hat noch Hoffnungen, zumindest für den Breitensport:
"Ich glaube, das müssen wir als Gesellschaft lernen, dass es nicht unbedingt immer darum geht, neue Rekorde aufzustellen, sondern man sollte Sport treiben, weil er in erster Linie Spaß macht."
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