Donna Leon und ihr neuer Brunetti-Krimi

"Meine Heimat sind Bücher"

Donna Leon, US-amerikanische Schriftstellerin. Aufgenommen am 19.10.2016 auf der Buchmesse in Frankfurt/Main
Überall zu Hause: die Schriftstellerin Donna Leon © picture alliance / Erwin Elsner
Von Irene Binal · 11.07.2017
Im Gegensatz zu ihrem Commissario Brunetti ist Donna Leon dauernd unterwegs. "Ich halte es nicht für notwendig, eine Heimat zu haben", sagt die in der Schweiz lebende Schriftstellerin. Geborgen fühle sie sich in ihren Büchern.
Spannung ist garantiert, wenn Guido Brunetti ermittelt. Seit 25 Jahren ist der akribische Commissario im Dienst. Da ist es kein Wunder, wenn er im neuesten Band der Reihe einen Schwächeanfall erleidet und sich für ein paar Wochen auf ein Landgut an der äußersten Spitze von Sant’ Erasmo in der idyllischen Lagune von Venedig zurückzieht. Hier spiegelt sich ein bisschen Donna Leons eigene Liebe zum Landleben:
"Es ist manchmal gesund, in der Natur zu sein und zu sehen, wie viel größer sie ist als wir. Man kann gar nicht oft genug die Berge betrachten und denken: In zehn Millionen Jahren werden sie wahrscheinlich noch da sein. Dann begreift man, dass man nur eine winzige Ameise im Kosmos ist."
Donna Leon lebt heute in der Schweiz, in einem kleinen Dorf bei Graubünden. Sie hat sich Bienenschwärme zugelegt und beobachtet gern die Kühe auf den Feldern:
"Ich habe als Kind drei Jahre lang auf der Farm meines Großvaters gelebt. Daher kommt diese Liebe zu Tieren. Ich liebe Tiere. Ich mag Menschen, aber ich begeistere mich nicht für sie. Ich begeistere mich für Tiere."
Im soeben erschienenen Kriminalroman, Band 26, bekommt es Commissario Brunetti zwar bald mit einem Todesfall zu tun, aber dennoch genießt er den Aufenthalt auf dem Land. Zumal er nicht weit weg ist von seiner Familie, von Venedig. Brunetti ist ein heimatverbundener Charakter, ganz im Gegensatz zu seiner Autorin. Donna Leon hat an vielen Orten der Welt gelebt, in den USA, in Italien, im Iran, in China, sogar in Saudi-Arabien:
"Ich halte es nicht für notwendig, eine Heimat zu haben. Es gibt viele Orte, wo ich glücklich bin. Ich reise viel mehr als ich sollte, um in die Oper zu gehen und wenn ich ein Orchester begleite, daher bin ich die Hälfte des Jahres weit weg von dem, was meine Heimat sein könnte."

Quirlig und eloquent

Eine ungewöhnliche Lebenseinstellung. Aber Donna Leon hat doch so etwas wie ein Zuhause – nur eben kein geographisches:
"Meine Heimat sind vielleicht Bücher. In ihnen fühle ich mich sehr geborgen."
Ihre 74 Jahre merkt man Donna Leon im Gespräch kaum an. Quirlig ist sie, eloquent und interessiert an allem, was in der Welt passiert. Der Kriminalroman, sagt sie, sei die einfachste Möglichkeit, um sich mit aktuellen Themen zu beschäftigen:
"Als Motiv für ein Verbrechen kann man ein soziales Problem behandeln. Ein Flüchtling, der jemanden umbringt oder umgebracht wird, ein Grundbesitzer, jemand, der in illegale Geschäfte verwickelt ist und mordet oder ermordet wird. Im Krimi kann man das leicht benutzen."
Und das tut sie auch in ihrem neuesten Buch. Es geht um sterbende Bienen, um illegal entsorgten chemischen Müll und undurchsichtige Geschäfte großer Konzerne. Da ist die Auflösung des eigentlichen Falls gar nicht mehr so wichtig:
"Ich denke, es ist besser, wenn es in einem Krimi keine Lösung gibt. Interessant ist nicht so sehr, wer den Typen nebenan umgebracht hat. Das findet man leicht heraus. Die eigentliche Frage lautet: Warum besteht der US-Saatguthersteller Monsanto darauf, dass sein Saatgut nach einer Saison vernichtet wird? Warum dürfen Landwirte dieses Saatgut nicht im nächsten Jahr verwenden? Global gesehen ist das ein viel größeres Verbrechen als den Nachbarn umzubringen."
Tatsächlich kann Brunetti zwar oft die Hintergründe eines Mordes aufklären, aber die hoch positionierten Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft ziehen. Eine frustrierende Situation für einen Ermittler. Wenigstens hat Donna Leon ihm eine intakte Familie an die Seite gestellt. Zwischen Brunetti und seiner Frau Paola kracht es vor allem, wenn sie sich zu sehr in die Ermittlungen einmischt.

Der deutsche Brunetti - überhaupt nicht italienisch

Meist aber ist das Familienleben harmonisch, in den Büchern und in den deutschen Verfilmungen. Mit denen allerdings hat Donna Leon ein Problem:
"Wenn man nicht auf den Hintergrund achtet, könnte das, was passiert, auch in Polen spielen. Oder in Uruguay. Die Figuren sehen nicht italienisch aus, sie ziehen sich nicht italienisch an, sie bewegen sich nicht wie Italiener, sie sind nicht erkennbar italienisch."
In einem Fall erkannte Donna Leon selbst gar nicht, um welchen ihrer Romane es eigentlich ging:
"Es gab da eine alte Frau, die Bridge spielte. Und ich dachte: Wer ist das? Welcher Roman ist das? Warum Bridge? Ich habe nie einen Italiener getroffen, der Bridge spielt. Die meisten Italiener kennen Bridge nicht. Dann sah ich weiter zu, weil ich herausfinden wollte, wer diese alte Frau war. Nach 15 Minuten sagte Brunetti irgendetwas mit 'Mama'. Und ich sagte mir: das ist Brunettis Mutter! Das ist Signora Brunetti!"
Ans Aufhören denkt Donna Leon noch lang nicht. Zu viele Ideen hat sie in der Schublade, zu oft drängen sich ihr Themen förmlich auf. Der 27. Band der Brunetti-Reihe ist bereits abgeschlossen, im kommenden Jahr wird er voraussichtlich in Deutschland erscheinen. Donna Leon arbeitet schon am nächsten Buch – und findet im Schreiben ihr eigentliches Zuhause:
"Ich lebe rund acht Stunden am Tag in den Köpfen von fünf, sechs verschiedenen Menschen. Das löst gewissermaßen die Bindung zum Heimatkonzept auf. Heimat ist, wo ich arbeite, das sind diese Menschen, die gar nicht existieren."
So kann Donna Leon mit leichtem Gepäck reisen, weil sie ihre Heimat immer mit sich nimmt, in ihrem Kopf. Und den packt sie immer als erstes ein:
"Es ist das erste, was ich einpacke."
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