Dokumentarfilm

Kein Wandel durch Annäherung

Ein Pfarrer von hinten.
"Gott und Verstand haben auch nichts miteinander zu tun" lautet der Untertitel zum Film. © Salzgeber & Co. Medien GmbH
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 05.04.2014
Aus der Spannung zwischen Gläubigen und Atheisten haben zwei Filmemacher einen Dokumentarfilm gemacht: Sie bezeichnen sich selbst als Atheisten – und haben junge Frauen und Männer beobachtet, die in Wittenberg, dem Geburtsort der Reformation, im dortigen Predigerseminar zu Pfarrerinnen und Pfarrern ausgebildet werden.
Vikarin: "Der Herr erhebe sein Angesicht... Ne, Scheiße!" Chor: "Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich!" Vikarin: "Der Herr lasse sein... Ach Mann, Scheisse!!" "Leuchten!"
Auch das Leuchten beim Segen will gelernt sein. 22 Vikare und Vikarinnen stehen im schwarzen Talar und mit weißem Bäffchen um den Hals in der mittelalterlichen Schlosskirche. Alltag in der Ausbildung im ältesten deutschen Predigerseminar in der Lutherstadt Wittenberg: Nach dem ersten Staatsexamen, schon als Vikare in die Gemeindearbeit integriert, kommen sie immer für zwei Wochen in das gleichsam mächtige wie anheimelnde Gebäude der alten Universität zurück. Für die Vikarin Ulrike eine Kunstwelt, ein Lernstudio, das wenig mit der Wirklichkeit draußen zu tun habe:
"Wir sind hier gezwungen uns mit uns auseinanderzusetzen. Und das ist aber auch ein schwerer Prozess, gleicht so ein bisschen einer Psychotherapie. Das sind Türen, die will ich eigentlich gar nicht öffnen, ich will eigentlich wissen, ob jetzt Berufung oder nicht, aber ich muss mich damit auseinandersetzen. Glaub ich an ein Leben nach dem Tod? Ich will mich eigentlich nicht, aber ich bin quasi gezwungen, mich damit auseinanderzusetzen. Sinn des Lebens? Was heißt das? Was heißt das für mich?"
300 Stunden Material
Aber gerade diese permanente Auseinandersetzung mit der eigenen Person und dem eigenen Glauben reizten die Filmemacher Stefan Kolbe und Chris Wright. Ein Jahr lang begleiteten sie die zukünftigen Gemeindepfarrer. Dabei filmten sie 300 Stunden Material zwischen Lehrveranstaltung, Diskussionen und ganz privaten Momenten, erzählt Regisseur Chris Wright:
"Da haben wir dann sehr viel Zeit damit verbracht, das einfach zu reduzieren. Im Film konzentriert man sich eher auf die Riten, natürlich auf die Musik, ja eher auf die sinnlichen Momente und dann natürlich die Einzelbegegnung. Also was passiert nach dem Seminar. Da passiert oft das Meiste, wo Leute sich wirklich zeigen und am meisten offen sind für die Begegnung."
Der Zuschauer wird in einen faszinierenden und facettenreichen Mikrokosmos eingeführt. Besonders beeindruckend ist die Offenheit mit der die jungen Theologen auf persönliche Fragen antworten. Es geht um grundsätzliche Fragen nach dem Tod und dem Sinn des Lebens, aber auch nach dem Sinn des Glaubens in modernen Zeiten. Die Stadt Wittenberg symbolisiert für die Filmemacher auch den Wandel der Zeiten:
"Wittenberg ist die Hochburg der deutschen Reformation, und jetzt ist es eine der ungläubigsten Ecken von ganz Europa. Und dieser Widerspruch ist verrückt und für einen Filmemacher natürlich sehr reizend. Es gibt eine schöne Szene in dem Film, wo Björn eine wahnsinnig schöne, tolle Predigt hält. Sehr kunstvoll, sehr poetisch, und da sitzen acht alte Damen. empfunden."
Der Film zeigt die Frustrationen der Hauptpersonen, die Frage nach dem Sinn der Gemeindearbeit, aber auch den Zweifel am Glauben und das Ringen mit dem eigenen Gottesbild.
"Ich persönlich habe mich weit gehend verabschiedet von der Vorstellung, es mit einem allmächtigen Gott zu tun zu haben. Das ist mein Preis dafür, dass ich, trotz der ständigen Frage nach dem Leid, an Gott festhalten will. Es ist ein Gott, der als sein Mittel nur seine Botschaft hat und darauf angewiesen ist, dass Menschen sich von dieser Botschaft bewegen lassen."
Konfrontation mit atheistischer Grundhaltung
Lars, einer der zukünftigen Pfarrer, steigt aus, hängt die Theologie an den Nagel. Die Filmemacher zeigen die gemeinsame und individuelle Auseinandersetzung mit dem Glauben, und immer wieder konfrontieren sie die Gruppe mit ihrer eigenen atheistischen Grundhaltung:
"Es ging eigentlich die ganze Zeit darum, dass zwei Seiten aufeinanderprallen, wo eigentlich die eine Seite die andere gar nicht denken kann. Und solche Erfahrungen, die dann der Lars im Film macht, da kommt man an die Grenzen, und da steht man manchmal auf der anderen Seite, dass er da steht und sagt: 'Gott kann ich jetzt auch nicht mehr denken'."
Trotzdem geht es dem Film weder um Wandel durch Annäherung, noch um Bekehrung, vielmehr gelingt Stefan Kolbe und Chris Wright ein Balanceakt aus Distanz und Nähe.
"Also ganz konkret, wir waren Teil der Gruppe, haben uns aber trotzdem oft einfach wie draußen angefühlt. Das sieht man auch im Film am Schluss, da singen alle im Kreis, aber wir stehen neben dem Kreis. Wir sind im Bild, sind Teil der Gruppe, aber sind neben dem Kreis. Und es war auch wichtig, dass wir unsere Position dann hervorgehoben haben, zu sagen: Nein, es gibt Punkte, da können wir nicht dazu gehören."
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