Dokument des Marktversagens

Rezensiert von Melanie Ahlemeier |
Susanne Schmidt war zwei Jahrzehnte lang Teil des Systems, ehe die Ausläufer der Finanzkrise auch sie trafen: Im Frühjahr 2009 verlor sie ihren Job. Die Tochter aus prominentem Hamburger Haus schrieb daraufhin ein Buch über das Marktversagen.
Im Grunde genommen ist die Sache mit der globalen Finanzkrise ganz einfach: Weil sich Hedgefonds-Manager in guten Zeiten dermaßen unverschämt die Taschen vollgestopft haben, bis ihnen "das Geld zu den Ohren rauskam" und sie in Hoffnung auf noch höhere Boni immer neue Finanzprodukte auf den Markt brachten, die selbst Banker nicht immer verstanden, musste das System irgendwann kollabieren. Die internationalen Aufsichtsbehörden waren überfordert, die Politik erst recht – die Blase platzte. Es war, so sieht es in der Rückbetrachtung aus, also nur eine Frage der Zeit bis zum Crash des Kapitalismus.

Susanne Schmidt war zwei Jahrzehnte lang Teil des Systems, ehe die Ausläufer der Finanzkrise auch sie ganz persönlich trafen. Im Frühjahr '09 verlor Susanne Schmidt ihren Job – was tun? Nun, die Tochter aus prominentem Hamburger Haus schrieb ein Buch. Ihr erstes Buch.

"Ich habe beinahe ein halbes Menschenleben in der Londoner City gearbeitet und mich in den vergangenen zwei Jahren wiederholt gefragt: Was haben sich die Banker eigentlich dabei gedacht, als sie das ganze giftige Zeug ausgetüftelt haben? Wussten sie, was sie taten? Kein Mensch kommt auf die Idee, mit Bedacht Müll zu produzieren, nur um diesen teuer zu verkaufen, selbst Banker nicht. Wieso wurden dann all die wunderbaren und innovativen Finanzprodukte Makulatur, wieso sitzen wir auf diesen riesigen stinkenden Abfallhalden von ehemals hoch benoteten Wertpapieren? Wie kam es, dass die unbekümmerte Begierde der Finanzmanager nach immer höherer Vergütung und immer höheren Boni die Welt in eine solche Katastrophe hat stürzen können? (…) Und jetzt, wo es ums Aufräumen geht, ums Bezahlen all der Eskapaden, da heißt es bei diesen Risikojunkies schon wieder: Business as usual? Das darf wohl nicht wahr sein."

"Markt ohne Moral" ist in weiten Strecken eine rigorose Abrechnung mit der Finanzwelt, der Schmidt "eine seltsame Amoralität" attestiert. "Amoral, nicht Unmoral!", hat die Sozialdemokratin in der Bankerszene ausgemacht. Und das erzählt sie auch auf ihrer Lesereise. Oder im TV-Studio von Reinhold Beckmann an der Seite des ehemaligen Bundesfinanzministers Steinbrück.

Die Stärke der Autorin Susanne Schmidt: Sie urteilt scharf, aber sie verurteilt nicht die Menschen, sondern das kranke System. Und: Sie spannt den großen Bogen, denn sie bricht die globale Finanzkrise herunter – und zwar auf die ganz persönliche Ebene. "Ich hatte Angst", schreibt Susanne Schmidt in Kapitel sieben – und erklärt, warum das so war.

Rückblick: Am 7. September 2008, es war ein Sonntag, verstaatlichte die US-Regierung die beiden Hypothekengiganten Fannie Mae und Freddie Mac. Beide Institute hatten zusammen rund fünfeinhalb Billionen Dollar an Hypotheken in ihren Büchern stehen. Und weil ein Zusammenbruch als politisch undenkbar galt, wurden Fannie und Freddie gerettet. Von der Bush-Regierung. Doch nur eine gute Woche später demonstrierten der damalige US-Präsident und sein Finanzminister Paulson, dass es auch anders geht: Die Investmentbank Lehman Brothers stand am Abgrund, Bush und Co. verweigerten die finanzielle Unterstützung – und das Institut kollabierte. Seitdem ist die Welt eine andere.

"Ich selbst hatte in diesen Tagen im September und Oktober 2008 Angst, Stress und ein wenig das Gefühl von Weltuntergang. (...) Alle Beteiligten, ob in der Politik, bei den Notenbanken oder auf den Finanzmärkten, wurden sichtbar von Panik beherrscht. Für einen News-Room ist das hervorragend, der lebt von dramatischen Nachrichten, da braucht sich der Redakteur kein Kopfzerbrechen zu machen, wie er seine Sendung füllen kann, der Stoff wird ihm in solchen Zeiten auf dem Silbertablett serviert. So fanden meine Kollegen diese Tage denn auch sehr spannend, eine ganze Reihe unter ihnen vertrat die Auffassung, es sei zwar alles nicht gut, was da passiere, aber man sei immerhin dabei, wenn Geschichte geschrieben werde, und das sei doch eigentlich toll. (...) Ich war älter, ich beurteilte Dinge anders, und ich konnte sehr gut auf diese Art der Geschichtsschreibung verzichten. Ich hatte Angst."

Die anfängliche Beschreibung des Finanzplatzes London Ende der siebziger Jahre, als Schmidt in der Filiale ihres damaligen Arbeitgebers, der Deutschen Bank, begann, liest sich wie langatmiges Vorgeplänkel. Es ist wohl mehr für Nostalgiker geschrieben und weniger für Fakteninteressierte. Auch Schmidts Erinnerungen an ihre Anfänge als junge Bankerin in der Londoner City sind nicht mehr als "nice to have".

Richtig spannend wird das Buch dann im letzten Drittel.

"War die Krise zu schnell vorbei?", fragt Schmidt, um nur eine Buchseite später die Antwort zu liefern. Es sei misslich, dass die große Zitterpartie nur ein Jahr gedauert habe. Ihre Erkenntnisse, dass Banker schon wieder das große Rad drehen, tragen das Buch dann bis zum Schluss.

Das Banker-Fachvokabular wie etwa Hedgefonds und Rating-Agenturen wird umfangreich aufgedröselt und an einigen Stellen mitunter etwas lexikalisch-langatmig erläutert. Damit dürfte das Buch auch für Laien interessant, weil verständlich werden. Die grundsätzlichen Erklärungen sind aber auch die Schwäche des Buches: Schmidt braucht lange, um auf den Punkt und so auf ihr Thema zu kommen – der Abrechnung mit der Finanzelite.

Stärke und Schwäche zugleich sind auch die persönlichen Einschübe: Die Erinnerungen an längst vergangene Zeiten als Bankerin wird nicht jeder Leser mögen. Dass die "City" 1979, als Schmidt nach London kam, "sehr viel anders aussah" als heute, kann sich jeder denken.

Fazit: "Markt ohne Moral" ist locker-leicht geschrieben, doch neue Erkenntnisse zur Finanzkrise liefert Susanne Schmidt nicht. Vielleicht wäre das aber auch ein bisschen viel verlangt.

Susanne Schmidt: Markt ohne Moral - Das Versagen der internationalen Finanzelite
Droemer Knaur, München 2010