Doku "Heimatkunde"

Schule der Konformität

11:56 Minuten
Ein großes, graues Gebäude auf einem winterlichen Feld. Es handelt sich um die Polytechnische Oberschule Bärenklau. Das Foto ist die Titeleinstellung des Films und zeigt die Front mit Eingangstür. Darüber steht der Schriftzug "Heimatkunde".
Wie ein grauer Klotz erhebt sich die alte Schule, die Regisseur Christian Bäucker zu DDR-Zeiten besuchte. Dass viele Lehrerinnen auch heute noch so positiv über das DDR-Schulsystem sprechen, findet er "erschreckend". © 5r Filmproduktion
Christian Bäucker im Gespräch mit Ramona Westhof · 07.11.2022
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Der Filmemacher Christian Bäucker hat seine alte Schule besucht. Für ihn war es ein Stück Vergangenheitsbewältigung. Sein Dokumentarfilm "Heimatkunde" erzählt vom DDR-Schulsystem und wie es Generationen von Schülern abgerichtet hat.
Handgranatenweitwurf im Turnen, Imperialismus-Schrecken im Deutschunterricht – und immer und überall das „Wir“ und nie das „Ich“. Für all das stand die Polytechnische Oberschule im brandenburgischen Bärenklau, wie so viele andere Schulen in der DDR.
Ein grauer Klotz von einer Schule, der, wenig einladend, wie ein Monolith im märkischen Sand steht.

Zwang zur Konformität

So erinnert sich Regisseur Christian Bäucker an den DDR-Schulunterricht. Er selbst war gerade einmal zwei Jahre in diesem System, wurde 1987 eingeschult, dann kam die Wende. Seine älteren Schwestern haben mehr davon mitbekommen und stärker darunter gelitten: unter dem Zwang zur Konformität und dem wenig subtilen Propaganda-Dauerfeuerwerk, das im Unterricht abgebrannt wurde.
Die alten Lehrerinnen und Lehrer wiederum blicken, aus Bäuckers Sicht, „erschreckend positiv“ auf das DDR-Schulsystem zurück.

Alter Propaganda-Plunder

All das kann man in Bäuckers Dokumentarfilm „Heimatkunde“ sehen und hören. Für den Film ist Bäucker an seine alte Dorfschule zurückgekehrt, die längst „außer Betrieb“ ist, in der sich jedoch immer noch viel alter Plunder aus DDR-Schulzeiten finden ließ.

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Bäucker holte diejenigen, die ihn einst unterrichtet haben, an den heute verlassenen Ort zurück, stellte ihnen Fragen, ließ sie über altes DDR-Propagandamaterial – etwa Filme, die im Unterricht gezeigt wurden – sprechen.
„Was mir immer ein wenig gefehlt hat, war ein Narrativ, das meine eigenen Erfahrungen und die meines Umfelds abgebildet hat“, sagt Bäucker über seine Beweggründe, genau diesen Film zu machen. Und weil er den Eindruck hatte, dass auch andere in der DDR sozialisierte Kinder diese Lücke gerne schließen würden, machte er sich ans Werk.

Jeder war mit seinem Trauma alleine

Denn: Eine richtige Aufarbeitung des Schullebens in der DDR habe im Grunde nicht stattgefunden. Jede und jeder sei mit seinem Trauma alleine gewesen.

„Heimatkunde“ wird in einigen ausgewählten Kinos gezeigt. Mehr Infos finden Sie auf der Film-Website.

Er selbst, 1989 ein noch junger Grundschüler, habe sich auch erst jetzt, im Nachhinein und bei Sichtung des alten Unterrichtsmaterials, richtig damit auseinandersetzen können. „Ich war manchmal richtig empört, wenn ich mir das angeschaut habe“, sagt Bäucker.

Menschen wie aus Pappe

An ein Gefühl aus seiner Kindheit kann er sich noch gut erinnern: An den Eindruck, von Gestalten wie aus Pappe umgeben zu sein. „Da fehlte das Individuum. Auch bei meinen Eltern habe ich das gemerkt. Es brauchte ungefähr zehn Jahre, bis sie zu vollen Menschen wurden, in meiner Wahrnehmung.“ Der Zwang zur Anpassung habe noch lange Zeit stark nachgewirkt.
Interessanterweise stieß „Heimatkunde“ im Westen Deutschlands, wo Bäucker damit zu einigen Festivals eingeladen wurde, auf viel mehr Resonanz als im Osten. Der Filmemacher erklärt sich das so: Die „Fürsorgediktatur DDR“ habe den Menschen alles gegeben, was sie brauchten. Die Fähigkeit, sich selbst zu fragen, was man eigentlich brauche, sei „nie trainiert“ worden.
Und ebenso habe vielen Menschen die Fähigkeit gefehlt, zu hinterfragen, wie das DDR-Regime mit Menschen verfuhr, die nicht ins Schema passen wollten. Das wirke offenbar bis heute fort.
(mkn)
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