Documenta 15

Erst die Antisemitismus-Debatte, jetzt der Skandal

08:34 Minuten
Eine Frau fotografiert die von Dan Perejovschi bemalten Säulen des Fridericianums auf der Documenta in Kassel.
Die eigentlichen Inhalte der documenta werden immer wieder von Antisemitismusvorwürfen überschattet. © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Tobi Müller im Gespräch mit Jana Münkel · 20.06.2022
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Ein Kunstwerk auf der Documenta wird als antisemitisch kritisiert. Derweil geht die Debatte um die Eröffnungsrede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier weiter.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hat eine "antisemitische Bildsprache" bei Elementen eines Kunstwerks auf der Documenta ausgemacht. "Die Menschenwürde, der Schutz gegen Antisemitismus wie auch gegen Rassismus und jede Form der Menschenfeindlichkeit sind die Grundlagen unseres Zusammenlebens, und hier findet auch die Kunstfreiheit ihre Grenzen", erklärte sie. Die Documenta müsse das "umgehend gegenüber den Kuratoren und Künstlern deutlich machen und die notwendigen Konsequenzen ziehen", forderte Roth.
Schon im Vorfeld der am Samstag eröffneten Ausstellung hatte es eine längere, kontroverse Debatte über Antisemitismus und den Umgang mit Israel gegeben. Kritik gab es besonders an dem indonesischen Kunstkollektiv Ruangrupa, dem die künstlerische Leitung übertragen worden war. Ruangrupa wurde vorgeworfen, für die Documenta Organisationen einzubeziehen, die das Existenzrecht Israels infrage stellen oder einen Boykott des Landes unterstützen.

"Er hat Öl ins Feuer gegossen"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte in seiner Rede zur Eröffnung, dass er lange gezweifelt habe, ob er die Ansprache überhaupt halten solle. "Denn so berechtigt manche Kritik an der israelischen Politik, etwa dem Siedlungsbau, ist", die Anerkennung der israelischen Staatlichkeit sei "bei uns Grundlage und Voraussetzung der Debatte". Zudem nannte es Steinmeier verstörend, wenn "neuerdings häufiger Vertreter des globalen Südens sich weigern, an Veranstaltungen, an Konferenzen oder Festivals teilzunehmen, an denen jüdische Israelis teilnehmen". In diesem Zusammenhang falle es auf, dass auf der Documenta keine jüdischen Künstlerinnen oder Künstler aus Israel vertreten seien.
Die Rede Steinmeiers wurde sehr unterschiedlich aufgenommen. Für den Kulturjournalisten Tobi Müller ist die Kritik des Bundespräsidenten an den Machern der Documenta nicht in Ordnung. Zwar sei es Steinmeiers gutes Recht, sich zu äußern. Doch habe sich der Bundespräsident in der Debatte ganz klar auf eine Seite gestellt, kritisiert Müller.
Diese Seite beschreibt der Journalist als "sehr scharfmacherisch". Es habe sich zum Teil um "anti-deutsche Blogs" gehandelt, die extremistisch und eigentlich vollkommen marginal seien und dennoch den Mainstream dominiert hätten. Dass solche Äußerungen jetzt als "Staatsrhetorik des Bundespräsidenten" zurückkehrten, sei schon fast besorgniserregend, so Müller.
"Ich finde, er hat Öl ins Feuer gegossen und überhaupt keinen Dialog gesucht, sondern ein Machtwort gesprochen", betont der Kulturjournalist. Es handele sich um "extremistische Rhetorik", die eines Bundespräsidenten nicht würdig sei.

"Wüste, antisemitische Stereotype"

Die Kritik von Kulturstaatsministerin Claudia Roth an einem Kunstwerk auf der Documenta teilt Müller indes. Es handele sich um ein großes Bild des indonesischen Künstlerkollektivs "Taring Padi" auf dem Kasseler Friedrichsplatz, das deutlich "wüste, antisemitische Stereotype" zeige, berichtet er. "Der klassische verzerrte Jude mit Reißzähnen, eine SS-Rune auf dem Kopf, ein Mossad-Agent als Schwein", rügt Müller.
Es sei klar, dass das Bild wegmüsse, betont Müller. "Das hat aber nichts damit zu tun, was Steinmeier angesprochen hat in der Debatte."
(gem/afp)
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