Dmitry Glukhovsky: „Text"

WhatsApp-Roman über das Putin-System

Buchcover Dmitry Glukhovsky: „Text“. Im Hintergrund der Moskau bei Nacht.
Dmitry Glukhovsky zeigt, wie aus Kurznachrichten Literatur entsteht. © Europa Verlag / dpa / picture-alliance
Von Vladimir Balzer · 21.12.2018
Ilija schlüpft in die Identität eines Polizisten und gerät in einen Strudel von Korruption, Gewalt und Drogen. Der russische Autor Dmitry Glukhovsky legt mit „Text“ seinen ersten realistischen Roman vor. Und der hat es politisch in sich.
Ilja weiß, was sieben Jahre in einem russischen Straflager bedeuten. Er hat jeden Tag davon erlitten. Und das nur, weil ein korrupter Moskauer Drogenfahnder ihn dort hineingebracht hat. Einer, der selbst sitzen sollte, meint Ilija. Also hat es eine gewisse Logik, dass der Student sich an ihm rächen will. Was seine Rache ihm am Ende bringt, ist eine ganz andere Frage. Eins ist jedenfalls sicher: Ilija schnappt sich das Telefon des Polizisten und schlüpft in dessen Existenz. Er liest die WhatsApp-Nachrichten und erkundet auf diesem Weg seinen Gegner.
Erst liest er sie nur, irgendwann beginnt er die Nachrichten selbst zu schreiben. Es entsteht ein Text, durch den er seine Identität wechseln kann und dabei aber immer tiefer in den Strudel von Korruption, Gewalt und Drogen gezogen wird. Und er stellt fest: Die Polizei im Putin-System ist natürlich für die Stabilisierung dieses Systems zuständig und nicht für die Verfolgung von Vergehen. Er merkt schmerzhaft, dass sich Polizei, Geheimdienste und die Behörden gegenseitig stützen.

Ein korruptes und amoralisches Günstlingssystem

Dieser Roman zeigt uns weniger einen politisch-ideologischen Apparat, den wir vielleicht im Putin-Russland vermuten würden, als ein korruptes amoralisches Günstlingssystem. Ein System, in dem man die Regeln kennen muss, um zu überleben. Und das für Außenstehende eine große Gefahr bedeuten kann. Ilja weiß das. Doch er gibt sich nicht geschlagen. Er glaubt tatsächlich, dieses System von innen aufbrechen zu können.
Der prominente Moskauer Journalist und Schriftsteller Dmitry Glukhovsky legt mit "Text" seinen ersten realistischen Roman vor. Zuvor feierte er Erfolge mit einer Science-Fiction-Dystopie unter dem Titel "Metro". In mehreren Bänden erzählt er dort vom Leben in der Moskauer U-Bahn nach einem Atomkrieg - ein internationaler Bestseller, eine Verfilmung ist geplant. Das Tempo aus diesen Büchern nimmt er mit in diesen modernen Drogen-Thriller, der schnell ist, detailgenau, plastisch, manchmal sehr brutal, oft hemdsärmelig - und geschrieben aus der Perspektive eines eiskalten, mitleidlosen, sezierenden Erzählers.

Aus Kurznachrichten wird Literatur

Ein Roman, der auch das Medium WhatsApp ernst nimmt - vielleicht ist er überhaupt der erste ernstzunehmende WhatsApp-Roman. Dmitry Glukhovsky macht aus Kurznachrichten Literatur. Und erzählt in seinem Moskau-Porträt der besonderen Art auch nebenbei von den Funktionsweisen der korrupten Bürokratendiktatur im Russland von heute. Der Autor, befragt wie sein Buch so problemlos in seiner Heimat erscheinen konnte, sagt: Noch dulden sie mich.

Dmitry Glukhovsky: "Text"
Aus dem Russischen von Franziska Zwerg
Europa Verlag, München 2018
368 Seiten, 19,90 Euro

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