Diskussion zum "World Listening Day"

Die Welt der verlorenen Geräusche

Diskussionsrunde zum „World Listening Day“ beim Kompressor am 18.07.2016: Von links nach rechts: Die Künstlerin Joride Voigt, Journalist Paul Paulun, Klangforscher Thomas Kusitzky, Moderatorin Christine Watty.
Diskussionsrunde zum „World Listening Day“ beim Kompressor am 18.07.2016: Von links nach rechts: Die Künstlerin Joride Voigt, Journalist Paul Paulun, Klangforscher Thomas Kusitzky, Moderatorin Christine Watty. © Deutschlandradio Kultur / Leila Knüppel
18.07.2016
Schreibmaschine, das Wahlscheibentelefon oder die Kaffeemühle - sie sind meist nicht mehr im Alltag zu hören. Der diesjährige "World Listening Day" ist den verloren gegangenen Geräuschen gewidmet. Eine Sendung über die Welt des Klanges.
Die Welt verändert sich immer schneller - auch klanglich. In weiten Teilen wird sie lauter, anderswo sterben Geräusche aus. Einem wachsenden Bewusstsein für klangliche Umgebungen in der Stadtplanung stehen immer mehr Menschen gegenüber, die sich ihrer Umgebungsgeräusche entziehen und unter einen Kopfhörer verkriechen.
Jedes Jahr am 18. Juli wird vom World Soundscape Project der World Listening Day ausgerufen, um solchen Prozessen rund ums Hören eine Öffentlichkeit zu verschaffen. Es ist der Geburtstag des kanadischen Komponisten Murray Schafer, der Ende der 60er-Jahre die Soundscape-Bewegung initiierte und neue Begriffe für das Hören seiner und unserer Zeit definierte.
Thema des diesjährigen World Listening Days sind "verloren gegangenen Geräusche". Der Kompressor nimmt das zum Anlass, um mit der Künstlerin Jorinde Voigt und dem Klangforscher Thomas Kusitzky auf die Suche nach solchen zu gehen, mit der Komponistin Hildegard Westerkamp über die Ursprünge der Soundscape-Bewegung und Klangspaziergänge zu sprechen sowie das Verhältnis zwischen Klang und Macht zu auszuloten.
Übersicht:
Die Soundscape-Mitbegründerin - Hildegard Westerkamp über Klangspaziergänge
Gespräch mit der Komponistin Hildegard Westerkamp
Die Komponistin Hildegard Westerkamp gehört zur Gründungsriege der Soundscape-Bewegung. Im Interview erzählt sie, wie Murray Schafer bei einer Vorlesung ihre Ohren öffnete, und von ihren Erfahrungen bei Klangspaziergängen.
Die Künstlerin: Wie Jorinde Voigt Sounds in Grafiken verwandelt
Interview mit der Künstlerin Jorinde Voigt
Die Künstlerin Jorinde Voigt übersetzt kulturelle Situationen in grafische Gebilde. Während einer Indonesienreise 2003 hat sie ihre klangliche Umgebung grafisch notiert und diese Notationen von Musikern zurück in Klang übersetzen lassen. Im Gespräch wird sie ihre Vorgehensweise dabei erläutern.
Die Künstlerin Joride Voigt während einer Diskussion zum "World Listening Day" im Deutschandradio-Kultur-Studio.
Die Künstlerin Joride Voigt während einer Diskussion zum "World Listening Day" im Deutschandradio-Kultur-Studio.© Deutschlandradio Kultur / Leila Knüppel
Der Forscher: Thomas Kusitzky über auditive Stadtplanung und Architektur
Klangforscher Thomas Kusitzky im Gespräch
Thomas Kusitzky ist Forscher in den Bereichen Auditive Stadtplanung und Auditive Architektur. Im Gespräch erklärt er, warum ein Bewusstsein für klangliche Aspekte beim Bauen wichtig ist und welche Rolle das Hören bei der Evaluierung von Orten sowie bei der Umsetzung neuer Projekte spielt.
Der Klangforscher Thomas Kusitzky während einer Diskussion zum "World Listening Day" im Deutschandradio-Kultur-Studio.
Der Klangforscher Thomas Kusitzky während einer Diskussion zum "World Listening Day" im Deutschandradio-Kultur-Studio.© Deutschlandradio Kultur / Leila Knüppel
Sound-Diskussion: Über verlorene Geräusche und lärmende Autorität
Das diesjährige Thema des World Listening Days ist "Lost Sounds". Jorinde Voigt, Thomas Kusitzky und Paul Paulun erörtern, welche verloren gegangenen Geräusche ihnen fehlen und welche gesellschaftlichen Veränderungen damit zusammenhängen.
Lärm und Macht
Diskutiert wird auch über's Lärm machen. Das hing schon immer mit der Autorität zusammen, ihn auch unzensiert produzieren zu dürfen. Das galt für das Läuten von Kirchenglocken ebenso wie für die lauten Maschinen in den Fabriken zur Zeit der Industrialisierung. Heute gehören die mit den Wirtschaftsfaktoren Tourismus und Mobilität verbundenen Geräusche von Autoverkehr und Rollkoffern zur Soundscape vieler Städte. Sie sind zwar unbeliebt, werden aber meist in Kauf genommen.
Unter Kopfhörern
Eine Möglichkeit, der städtischen Klangkulisse zu entfliehen, sind: Kopfhörer. Sind die vielen Kopfhörer im öffentlichen Nahverkehr und der Stadt Ausdruck einer Sehnsucht nach dem Ausstieg aus schlecht gestalteten klanglichen Umgebungen? Oder eine klangliche Entsprechung der mittelalterlichen Burggärten mit Vögeln und Brunnen fernab der feindlichen Umwelt von Wald und Wildnis? Und wie könnten sich Stadt-Klänge verändern?
Ausblick: Klangliche Utopien für die Stadt
Wie klingt die Stadt der Zukunft? Welche Möglichkeiten, Wünsche und Zwänge gibt es? Unsere Abschlussrunde weiß es!
Die musikalisch-klangliche Komponente der Sendung kommt von Paul Paulun:
Patric Catani - Indonesia II, 4: Der Berliner Musiker interpretiert eine von Jorinde Voigts Indonesien-Notationen mit elektronischen Mitteln.
Dan Lander - The Road Belongs To Everyone: Field Recording des kanadischen Komponisten von ausgelassenem Straßenjubel und Autohupen. Mensch und Auto in selten friedlicher Koexistenz.
Chris Watson - In St. Cuthbert’s Time (Sumor): Field Recording von der Heiligen Insel Lindisfarne (UK). "Heile Welt", wie sie im 7. Jahrhundert geklungen haben mag. Wie jede klangliche Umgebung, hat auch sie die Menschen ihrer Zeit geprägt. Heute im Prinzip ein "Lost Sound".
Holly Dew & Bull - Don't You Hear Poor Mother Callin'?: Gefangene singen Lieder bei der Arbeit im Takt zu ihren Spitzhacken. Aufgenommen 1947 von Alan Lomax in der Mississippi State Penitentiary, Parchman. Thematisiert den "Lost Sound" des Singens.
Gailė Griciūtė - Organ Safari Lituanica: Improvisation auf einer Orgel im litauischen Krekenava, an der der Zahn der Zeit genagt hat.
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