Arzt und Unternehmer plädiert für europäische Initiative
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Durch die Coronapandemie hat sich die Digitalisierung im Gesundheitswesen enorm beschleunigt. Der Arzt und Unternehmer Hartwig Jaeger fordert, Start-ups in Europa zu fördern und zu bündeln – um die Sicherheit der Gesundheitsdaten zu gewährleisten.
Seit es das Internet gibt, sprechen wir über das digitale Gesundheitswesen. Durch die Coronapandemie bekommt die Entwicklung neuen Schub. Die Bundesärztekammer (BÄK) hat heute ein erstes Fazit gezogen. Danach hat sich das Potenzial der Technologie gezeigt. "Die Zahlen bei der Videosprechstunde haben sich vertausendfacht", berichtet Erik Bodendieck von der BÄK.
Das Beispiel Videosprechstunde zeige aber auch die möglichen Probleme, angefangen beim Datenschutz bis hin zur Kompatibilität der einzelnen technischen Lösungen. Für eine umfassende, sichere Lösung kann sich Erik Bodendieck auch vorstellen, mit großen Unternehmen wie Google oder Apple zusammenzuarbeiten, die schließlich das entsprechende Wissen hätten.
Aber auch da gebe es ein Problem: Je größer die Unternehmungen, umso wirtschaftsnäher und interessengeleiteter werde die Tätigkeit sein, sagt Bodendieck. "Da müssen wir bei unseren Forderungen bleiben." Alle Lösungen müssten Patientinnen und Patienten nutzen – und die Daten müssten sicher sein
Große US-Unternehmen als Vorreiter
Sind Unternehmen also Teil der Lösung oder Teil des Problems? Hartwig Jaegers Firma Digital Health Factory entwickelt digitale Therapiemöglichkeiten, zum Beispiel für Menschen, die stottern, lispeln oder Herz-Rhythmus-Störungen haben.
Der Kinderarzt und Unternehmer sagt, alle Lösungen müssten medizinisch sinnvoll sein, technisch umsetzbar und refinanzierbar. "Natürlich steht der Patient im Vordergrund. Sachen, die medizinisch nicht sinnvoll sind, werden langfristig scheitern."
Er sieht in Großkonzernen wie Apple und Google potenzielle Vorreiter. Zudem hätten solche Unternehmen die Mittel, um zu testen, und seien schon allein deswegen eine Chance für den medizinischen Fortschritt. Alphabet, der Google-Mutterkonzern, habe schon "viele Start-ups eingekauft" und habe nun "einen ganzen Kranz von Tools", sagt Jaeger.
Europäisches Portfolio
Der Arzt und Unternehmer fragt sich, warum das andere Akteure nicht auch machten: "Warum gibt es kein Konsortium in Europa, das auch Start-ups einkauft, eine Plattform bildet und nicht wartet, bis alles, was spannend ist, weggekauft ist." Die Coronapandemie habe ja durchaus zu neuem Schwung geführt. "Wir sehen, dass durch Corona Dinge gehen, die jahrelang nicht gegangen sind" – etwa die Videosprechstunden.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe schon einiges bewirkt, die Digitalisierung habe sich beschleunigt - angefangen mit dem Digitalisierungsgesetz. Nun könnten ab Jahresende auch sogenannte Digitale Gesundheitsanwendungen (DIGAs) von Kassen finanziert werden.
Jaeger würde die Aktivitäten allerdings gerne auf eine andere Ebene heben. "Wir sollten es nicht bei einer deutschen Lösung belassen, sondern wir sollten eine europäische Initiative haben, dort die Dinge in die Hand nehmen. Und dann ein Portfolio von Services aufbauen, die dann auch strengen Kriterien genügen können."
Datenschutz durch klare Regulierung
Die Befürchtung, dass Krankenkassen Daten missbrauchen könnten, hält Jaeger für unbegründet. "Die Kostenträger haben mehr Daten als sie je auswerten können" - und ohnehin werde die Macht der Kostenträger überschätzt.
Jaeger spricht sich für klare Leitplanken aus und eine klare Regulierung. Das Motto "Wir bitten lieber um Vergebung als um Erlaubnis" könne im Gesundheitsbereich natürlich nicht herrschen. "Wir müssen dafür sorgen, dass da kein Wildwuchs passiert. Aber das erreichen wir am einfachsten, wenn wir es selbst machen – und nicht versuchen, mit dem Lineal nachzumessen wie datenschutzkonform Google ist. Das wird und ohnehin nicht gelingen", so Hartwig Jaeger.
(Axel Rahmlow / mfu)