Digitales Theater

Krise als Chance?

05:36 Minuten
Das Düsseldorfer Opernhaus mit einem Transparent "Bis gleich" bleibt vorerst geschlossen.
Zu. Zu. Zu. Das Düsseldorfer Opernhaus bleibt vorerst geschlossen. © picture alliance / imageBROKER | Karl F. Schöfmann
Von Stefan Keim · 16.01.2021
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Neue Idee für die Kultur: Mitten in der Pandemie entwickeln das Forum Freies Theater und die Oper Düsseldorf ein "digitales Foyer", während ein Kabarettist ein Streaming-Portal schafft. Was es sonst noch gibt, hat sich Stefan Keim angeschaut.
Das Düsseldorfer Opernhaus in naher Zukunft: Menschen stehen vor dem wahrscheinlich noch geschlossenen Portal und richten ihre Handys auf Fenster und Schaukästen. Plötzlich gehen Lichter an und auf dem Screen passiert etwas.
"Diese Fenster geben Einblick in unsere Arbeit", sagt Lena tom Dieck. "Man kann von außen in das Opernhaus hineinschauen. Dort könne man dann bei Proben zu Opern oder Ballett dabei sein, vielleicht auch einen Drohnenflug durchs Opernhaus anschauen, den Intendanten treffen oder eine Sängerin oder auch ein Selfie mit dem Ballettensemble machen."

Geteilte Erfahrungen

Lena tom Dieck ist die Leiterin des Projekts "Digitales Foyer", das von zwei sehr unterschiedlichen Theatern betrieben wird. Neben der Deutschen Oper am Rhein ist es das FFT, das Forum Freies Theater. "Das FFT zum Beispiel forscht zum Theater der Digital Natives und auch zum Internet als demokratisches Tool", erzählt tom Dieck.
Mit mehr als 800.000 Euro wird das Projekt von der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Der Fonds Digital wurde schon vor der Pandemie ins Leben gerufen. Er soll digitale Räume für die darstellenden Künste und neue Formen von Gemeinschaft entwickeln. Also genau das, was gerade nötig ist. Das Geld soll nicht nur den Düsseldorfern zugutekommen, sagt tom Dieck:
"Alle Dinge, die wir hier entwickeln, werden unter Open-Source-Lizenzen veröffentlicht und zugänglich gemacht. Das Ziel der Förderung und der verschiedenen Pilotprojekte des Fonds Digital ist, dass andere Theater und Kultureinrichtungen auf unseren Erfahrungen weiter aufbauen können, sodass nicht jeder wieder bei null anfängt."

Theater ist keine Filmproduktion

Beim Blick auf die digitale Theaterlandschaft ergibt sich gerade ein sehr unterschiedliches Bild. Einige Bühnen wie das Berliner Ensemble öffnen ihre Archive und zeigen historische Mitschnitte. Andere, wie das Berliner Gorki-Theater oder die Münchner Kammerspiele, entwickeln einen interessanten Onlinespielplan.
Die technischen Möglichkeiten, Stücke aufzuzeichnen und zu streamen, haben die meisten großen Häuser. Das Wuppertaler Schauspiel ist eine kleine Bühne, besitzt zwar einige Kameras, muss aber für jeden Stream Experten von außerhalb engagieren. Derzeit wird die Komödie "Café populaire" von Nora Abdel-Maksoud aufgezeichnet, die dann ab Ende Januar als Stream zur Verfügung steht.
Die Schauspielerin und Regisseurin Nora Abdel-Maksoud in einem Biergarten im Frühling.
Schuf das "Café populaire": Die Schauspielerin und Regisseurin Nora Abdel-Maksoud.© picture-alliance / Doris Spiekermann-Klaas TSP
Der Intendant des Wuppertaler Schauspiels, Thomas Braus, denkt darüber nach, ob man für Aufführungen online eine andere Ästhetik entwickeln muss:
"Was heißt das jetzt, das Ding nicht einfach abzufilmen? Das heißt kurzes Interview mit der Regisseurin. Wollen wir Interviews dazwischenschalten? Wollen wir sagen, wir machen erst ein Interview, danach Teile des Abends? Werden wir den Abend irgendwie zusammenschneiden? Werden wir den Fokus auf etwas legen? Also wie filmen wir den Abend?"
Es gebe schon Aufführungen als Zoom-Konferenzen oder verbunden mit einem Live-Chat, die unterschiedlichsten Formen. Thomas Braus interessiert sich für diese Experimente, sagt aber:
"Letztendlich denke ich, wir sind keine Filmproduktion, wir wollen uns auch nicht der Konkurrenz mit Netflix und was weiß ich alles stellen. Das sind wir auch gar nicht. Der Grundgedanke des Theaters soll nicht verloren gehen. Der Grundgedanke ist immer, man befindet sich in einem Raum in einer physischen Präsenz."

Kultur-Stream als Konkurrenz zu Streamingriesen

Diese Einstellung teilt er mit sehr vielen Theaterleuten, mit denen Deutschlandfunk Kultur dieser Tage gesprochen hat. Der Eindruck: Das Live-Erlebnis geht ihnen über alles und sie wollen so schnell wie möglich dahin zurück.
Doch über die Pandemie hinausgedacht könnten auch hybride Formen interessant sein. Daran arbeitet gerade der Kölner Kabarettist Theo Vagedes, der ein Portal namens "Stream-your-artist.de" gegründet hat.
"Die Idee oder der Wunsch und das Ziel ist, dass die Leute nicht mehr abends auf Netflix gehen und schauen, welchen Film guck ich, sondern auf StreamYourArtist und sagen, welches Kulturprogramm guck ich mir denn heute Abend an."
Kabarettist Theo Vagedes bei der Siegerehrung des Deutschen Kabarettmeisters 2012.
In seinem Element: Kabarettist Theo Vagedes, hier bei der Siegerehrung des Deutschen Kabarettmeisters 2012.© picture alliance / XAMAX | XAMAX
Es gehe auch darum, mit Streams Geld zu verdienen. Denn nur zu einem hohen Anteil öffentlich geförderte Bühnen können sich ein Gratisangebot leisten. Das erste Angebot von "StreamYourArtist" war ein Live-Silvesterprogramm aus dem Düsseldorfer Kom(m)ödchen, moderiert vom ehemaligen Ensemblemitglied und TV-Moderator Christian Ehring.

Silvesterabend mit technischer Störung

Mehr als 4000 Streams wurden verkauft, zum normalen Kassenpreis von 33,50 Euro. Allerdings gab es am Abend selbst so viele Zugriffe, dass der Server zusammenbrach. Mehr als 2000 Menschen konnten problemlos zuschauen, die anderen mussten zeitversetzt nachgucken.
Solche technischen Probleme kennen viele. Auch die Oper Köln hatte bei der live gestreamten Premiere von "Die tote Stadt" im Dezember Aussetzer. Dennoch zeigt das Beispiel, dass es einen Markt für bezahlte Streams gibt. Einige Bühnen wie das Theater am Küchengarten aus Hannover haben sich nun bei Vagedes gemeldet:
"Fernziel könnte es auch sein, dass es dann ein Abo gibt, das dann gesammelt wird und unter all den Theatern, die jetzt mitmachen, aufgeteilt wird."
Bei Theaterstreams können auch Menschen zuschauen und mitmachen, die nicht kommen können, weil sie krank sind, weit weg wohnen oder einfach lieber zu Hause sind. Solche hybriden Konzepte zu entwickeln, könnte für die Theater gerade wichtiger sein, als die nächsten zwei bis fünf Inszenierungen auf Halde zu produzieren.
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