„Auch das, was ich digital mit anderen Menschen schreibe, austausche, hochlade oder speichere gehört zum Erbe dazu.“
Digitaler Nachlass
Wer sichergehen will, dass seine Daten nach dem Tod in die richtigen Hände geraten, sollte das noch zu Lebzeiten regeln. © picture alliance / PantherMedia / Karsten Ehlers
Wem vererbe ich meine Social-Media-Accounts?
18:40 Minuten
Im Laufe unseres Lebens laden wir zig Bilder, Videos und Texte ins Netz. Was damit nach unserem Tod passiert, darüber machen sich die wenigsten Gedanken: Wer soll Zugriff haben? Und welche Infos soll vielleicht selbst der engste Vertraute nicht sehen?
Das Internet vergisst nie, heißt es oft. „Man produziert so viele Bilder und Nachrichten und alles Mögliche. Aber am Ende fehlt ein Passwort, und es sind überhaupt keine Erinnerungen mehr da.“, sagt Lorenz Widmaier. Er ist Soziologe und forscht zum digitalen Erbe – das, was wir nach unserem Tod an Daten, Accounts und Abos hinterlassen, und wie es unseren Hinterbliebenen beim Trauern und Erinnern helfen kann.
Während seiner Forschung musste er feststellen: Für viele Hinterbliebene ist es eine Hürde, überhaupt an die Daten heranzukommen. Einfach weil die Passwörter fehlten.
Passwörter den Erben hinterlassen
„Die Chance, dass jemand wirklich irgendwo seine Passwörter hinterlegt hat, ist wirklich sehr, sehr, sehr gering“, weiß auch der Bestatter Eric Wrede. „Gerade bei Menschen unter 50: Wer hat das denn gemacht?“ Er mahnt daher, sich vorrausschauend Gedanken zu machen, wer sich um das digitale Erbe kümmern solle.
Das müsse nicht zwangsläufig der gleiche Mensch sein, der sich auch um den übrigen Nachlass kümmere. Schließlich sei nicht jeder mit Social Media vertraut, wisse über den Freundeskreis des Verstorbenen im digitalen Raum gut Bescheid.
Erbe umfasst auch digitale Dokumente
Immerhin: Mittlerweile ist es relativ einfach, als Erbe auf die Accounts der Verstorbenen Zugriff zu bekommen. „Die erbrechtlichen Regelungen, die wir haben, die beziehen sich zwar auf das klassische Erbrecht, also zum Beispiel die Liebesbriefe, die man auf dem Dachboden findet.“ Das Ganze sei aber mittlerweile auch auf das digitale Erbe übertragbar, erklärt die Juristin Jennifer Kaiser.
Das sei es aber nicht immer so gewesen: In einem jahrelangen Rechtsstreit gegen Facebook musste eine Mutter darum kämpfen, die Nachrichten ihrer verstorbenen Tochter lesen zu dürfen. Facebook hatte sich unter anderem auf den Datenschutz berufen. 2018 urteilte der Bundesgerichtshof in Karlsruhe und räumte der Hinterbliebenen das Erbrecht an dem Facebook-Konto und aller darin gespeicherten Daten ein. Damit hat der BGH Klarheit geschaffen.
Dieses Urteil ist auch in ein neues Gesetz geflossen, das am ersten Dezember 2021 in Kraft tritt: das Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz. Ein Paragraph, ein Satz legt hier die Rechte von Erben im digitalen Raum fest: „Je kürzer, desto besser. Desto weniger Ausnahmen werden dann gleich wieder gemacht“, meint Ulrich Waldmann. Er ist Informatiker am Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie in Darmstadt. 2019 hat er mit anderen Forschenden unter anderem die technischen Maßnahmen untersucht, um den digitalen Nachlass zu regeln.
Social-Media-Konten im Gedenkzustand
Das Ergebnis: Die Tech-Unternehmen tun was. Aber es hakt. Auf Facebook und Instagram können Nutzerinnen und Nutzer entscheiden, ob ihr Konto nach ihrem Tod in einen Gedenkzustand versetzt werden oder ganz gelöscht werden soll.
Ist ein Konto im Gedenkzustand, bleiben alle Inhalte verfügbar, wie eingefroren. Je nach Privatsphäre-Einstellungen können Freunde Erinnerungen auf der Chronik teilen. Ein ausgewählter Nachlasskontakt verwaltet die Erinnerungen. Anmelden können sich Nutzende auf dem Profil aber nicht mehr.
„Ich kann nichts mehr löschen. Ich kann nichts mehr ändern, und Trauer ist einfach was Lebendiges. Das ändert sich, die Erinnerung ändert sich.“
Google regelt den Nachlass über einen sogenannten Kontoinaktivitäts-Manager. Nutzende können bestimmen, ab wann ihr Konto inaktiv werden soll – drei Monate nach der letzten Anmeldung? Oder erst nach 18 Monaten? Außerdem können sie festlegen, wer im Falle einer Inaktivität benachrichtigt werden soll – und ob diese Person dann auch Zugriff auf Daten wie Fotos oder Mails bekommen soll.
Zugriff auf das digitale Erbe nur für bestimmte Zeit
Allerdings haben Kontaktpersonen nur ein paar Monate Zeit, die Daten zu sichern, bevor sie gelöscht werden. Auch Apple arbeitet bei seinem neuen Digital Legacy Kontakt mit einem Ablaufdatum. Ulrich Waldmann kritisiert, damit würden die Rechte der Erben eingeschränkt.
Er hat grundsätzlich das Gefühl, Nutzerinnen und Nutzer könnten sich nicht auf die Dienste verlassen, wenn es um den digitalen Nachlass geht. Die Regelungen sind weder einheitlich, noch einfach zu finden.
Somit liegt die Verantwortung bei den Nutzenden: Wer sichergehen will, dass seine Daten und Accounts nach dem Tod auch wirklich an Hinterbliebene weitergegeben werden, sollte das noch zu Lebzeiten regeln. Ähnlich, wie das materielle Erbe.
Hinterbliebene auch vor Informationen schützen
Wichtig sei dabei, auch zu überlegen, wer Zugriff auf die Accounts haben soll, betont der Bestatter Eric Wrede: „Da habe ich auch noch keine 100-prozentige Antwort, ob ich möchte, dass meine Lebenspartnerin all meine Mails lesen kann, nachdem ich verstorben bin. Das ist eine Sache, die man vielleicht mal zu Lebzeiten besprechen sollte.“
Er selbst habe mehrmals unschöne Überraschungen miterleben müssen: Wenn beispielsweise die Partnerin entdeckt habe, mit wie vielen anderen Frauen ihr verstorbener Partner kommuniziert habe. Dadurch seien Trauerverläufe „quasi noch mal massiv boykottiert worden, indirekt, weil Infos herauskamen über einen Menschen, die man vorher nicht hatte".
(Annabell Brockhues / Leila Knüppel)