Digitale Souveränität

Es gibt keinen technischen Zaun um Europa

08:12 Minuten
Illustration: Ein Mensch sammelt viele verschiedene Sprechblasen mit einer Zange auf und schmeißt sie in einen Mülleimer, den er auf einem Rücken trägt.
Wie halten wir das Internet frei von Hasskommentaren und Verschwörungstheorien? Christoph Schwennicke setzt auf Gesetze, die die Plattformen in die Pflicht nehmen. © imago images / Ikon Images / Yenpitsu Nemoto
Christoph Schwennicke im Gespräch mit Anke Schaefer · 14.07.2020
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Gegen Hass, Hetze und Fake News hilft auch keine digitale Souveränität Europas, meint "Cicero"-Chefredakteur Christoph Schwennicke. Er widerspricht damit einem Grundsatzpapier, das unter anderem BR-Intendant Ulrich Wilhelm verfasst hat.
Europa muss digital souverän werden. Das fordert eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe um den BR-Intendanten Ulrich Wilhelm und den Präsidenten der TU München, Thomas Hofmann in einem im Internet veröffentlichten Positionspapier. Ihre Begründung: Die Übermacht chinesischer und US-amerikanischer Konzerne ist erdrückend, deren Geschäftsmodelle beruhen zum Teil nicht auf europäischen Wertvorstellungen.
"In Amerika ist die Polarisierung in einem Maße ins Kraut geschossen, dass das für das Zusammenleben in Europa – würden wir das eins zu eins auch so erleben – wirklich verhängnisvoll wäre", erklärt BR-Intendant Wilhelm. "Wir können es uns eigentlich nicht erlauben, dass wir im digitalen öffentlichen Raum mit Verschwörungstheorien, mit Falschinformationen aller Art leben müssen. Wir brauchen hier sozusagen eine einheitliche Antwort, und die kann Europa natürlich wirksamer geben als jeder Nationalstaat für sich."

"Technisch naiv"

Christoph Schwennicke, Chefredakteur des Magazins "Cicero", hält diesen Ansatz für falsch.
"Ein europäisches Internet – sorry, was ist damit gemeint?", sagt er im Deutschlandfunk Kultur. "Ich unterschreibe alle Ziele, die Wilhelm gerade genannt hat, was Hass, Hetze, Verleumdung usw. im Netz anbelangt. Das hat aber keine technische Ursache."
Wolfgang Kleinwächter, Professor für Kommunikationspolitik, hält das Streben nach einem europäischen Internet dagegen für "notwendig". Die Europäer hätten in den vergangenen Jahrzehnten "die Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt". Man müsse jetzt in die Lücke stoßen, die noch nicht von den USA und China dominiert würden, indem man den Blick auf neue Technologien richte. Besser wäre es indes gewesen, wenn Experten aus ganz Europa diese Initiative gestartet hätten. Nun werde die Initiative vor allem "als deutscher Einwurf gesehen".

Das gesamte Gespräch mit Wolfgang Kleinwächte können sie hier hören:
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Selbst wenn man einen europäischen digitalen Raum schaffen könnte, also eine "Plattform in der Plattform", wäre das Drumherum nach wie vor so, wie es nun einmal sei, betont Schwennicke. "Also sich da jetzt einen europäischen Zaun vorzustellen, halte ich technisch für naiv."
Publizist Christoph Schwennicke
Die US-Techkonzerne sind uns technologisch zu weit voraus, als dass Europa an ihrer Marktmacht etwas ändern könnte, meint Christoph Schwennicke.© Deutschlandradio / Manfred Hilling
Schwennicke plädiert dagegen dafür, bei den Inhalten, die auf Internetplattformen veröffentlicht werden, anzusetzen. "Zum Beispiel an der Frage, ob jemand wie Facebook nicht den gleichen presserechtlichen Regeln unterliegt wie beispielsweise ich mit Cicero, wo ich für jedes verdammte Wort, was bei uns steht, verantwortlich bin – übrigens auch für die Leserkommentare", sagt er. "Wenn da eine Gesetzmäßigkeit griffe, die diese digitalen Dienstleister an die Kandare nehmen würde, dass sie selber dafür sorgen müssen, so wie ich das bei Cicero auch muss, dann wäre den Zielen, die Herr Wilhelm da gerade genannt hat, sehr gedient."
Auch seien die Internetkonzerne nicht nur technologisch, sondern ökonomisch inzwischen "enteilt", meint Schwennicke.
"Die haben einfach eine solche Marktmacht entfaltet, dass es in meinen Augen naiv ist, zu glauben, dem etwas entgegensetzen zu können."
(uko)

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des politischen Magazins "Cicero". Er wurde 1966 in Bonn geboren und studierte Germanistik, Politikwissenschaften sowie Journalistik in Bamberg. Von 2005 bis 2007 leitete er das Parlamentsbüro der "Süddeutschen Zeitung". Danach war er beim "Spiegel" stellvertretender Büroleiter der Hauptstadtredaktion.

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