Digitale Schule

Wenn die Anfangseuphorie der Realität weicht

09:22 Minuten
Mehrere Schüler lernen während des Unterrichts im Fach Geschichte am Alten Gymnasium Oldenburg (AGO) mit einem iPad. Das Alte Gymnasium gehört beim digitalen Lernen zu den führenden Schulen im Nordwesten.
Eine Erkenntnis in Bochum: Schülerinnen und Schüler brauchen mehr Einweisung und Hilfe bei der Bedienung der Technologien, als angenommen. © picture alliance / dpa / Hauke-Christian Dittrich
Von Jakob Schmidt |
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Fünf Milliarden Euro stellt der Digitalpakt in den kommenden Jahren bereit, um Schulen mit Laptops, Apps und Tablets auszustatten. Aber helfen die Technologien tatsächlich dabei, besser und einfacher zu lernen? Eine Langzeitbeobachtung an einem Bochumer Gymnasium.
Es ist Anfang Juli, die letzten Schultage vor den Sommerferien. Auf die Schillerschule in Bochum warten im neuen Schuljahr massive Veränderungen.
"Ja, mein Name ist Matthias Wysocki und ich bin didaktischer Leiter der Schillerschule. Und da ist natürlich Digitalisierung momentan ein ganz wichtiges Projekt. Genau, wir müssen noch einen weiter gehen. Ja, also, wir laufen jetzt hier grad durch eine Baustelle. Wir wurden jetzt kernsaniert und wir haben gesagt: Okay, bevor jetzt hier irgendwie irgendwas plant, nutzen wir die Chance einfach und planen direkt schon so, dass dann nicht nur die Räume schön aussehen, sondern dass sie auch zukunftsfest sind. Und deshalb haben wir uns schon bevor die Baustelle losging entschieden, zu planen, wie bei uns Digitalisierung aussehen soll. Und jetzt ist es so weit, dass wir anfangen nach den Sommerferien. Ja, wir stehen jetzt hier in so einem fertig renovierten Klassenraum.
Autor: "Riecht noch richtig frisch…"
"Absolut! Ja, man riecht noch die Farbe… Und Sie sehen dann hier an den Wänden überall so kleine Kästen hängen, das sind Übertragungsboxen, die dafür sorgen, dass niemand mehr irgendwo ein Kabel reinstecken muss, sondern man kann von jedem digitalen Endgerät aus seine Sachen projizieren. Das ist natürlich besonders charmant, dass eben jeder Schüler, kann sich sozusagen nach vorne an die Tafel beamen, seine Produkte, und kann das präsentieren, kann sein Produkt sofort auf die Geräte der anderen Mitschüler senden. Das ist alles Technik, die es sehr, sehr einfach macht, andere Leute teilhaben zu lassen."

"Definitiv wird das Schule verändern"

Nach den Sommerferien werden zuerst die Kinder in den fünften und siebten Klassen, ein paar Monate später alle Schüler an der Schillerschule mit Tablet-Computern arbeiten. Drei Jahre lang haben Eltern, Lehrer und Schüler über das genaue Konzept miteinander gerungen:
"Also jetzt einfach nur zu sagen: ´Hier ist Technik. Und macht mal!‘ – das kann das Ganze eher vor die Wand fahren. Oder viel Frust erzeugen. Es tut allen Kollegien gut, noch mal sich darüber zu verständigen: Was ist eigentlich unsere Vorstellung von Pädagogik. Was ist eigentlich unsere Vorstellung von Erziehung. Was wollen wir eigentlich erreichen? Und wenn man das dann anknüpft und sagt: Welche Hilfsmittel brauchen wir denn dafür? Wie müssen wir Unterricht gestalten? Wie müssen wir Schule gestalten? Dann, glaube ich, wird man sehr schnell fündig und sagen, ja es gibt viele gute Instrumente im digitalen Bereich, womit wir schneller, aber vielleicht auch ganz anders zu Ergebnissen kommen, als das bisher überhaupt der Fall war.
Also ein Beispiel ist: Ich kann jetzt plötzlich im Englischunterricht mit einer Klasse in den USA per Skype in Kontakt treten. Oder ich kann kollaborativ arbeiten. Ich kann die Kinder im Biologieunterricht raus in den Wald schicken. Die fotografieren Sachen, machen dazu eine Präsentation. Das sind alles Sachen, die ich bisher so einfach nicht machen konnte. Und was uns eben ganz wichtig ist: Wir glauben, dass wir viel mehr Schülerorientierung, viel mehr Partizipation von Schülern so auch gewährleisten können. Weil es eben nicht mehr vorne immer über die Kreidetafel und den Lehrer laufen muss. Es ist jetzt so, dass viel mehr die Schüler ihre Ergebnisse ganz schnell nach vorne projizieren können oder eben auch teilen können miteinander. Definitiv wird das Schule so verändern, wie es vielleicht schon lange Schule nicht mehr verändert hat!"

Der Plan: Technik als Werkzeug verstehen

Am Abend ist die Schulaula – wieder einmal – voll mit Eltern, die verstehen wollen, was genau die Veränderungen des Unterrichts fürs ihre Kinder bedeuten.
Eike Völker: "Sie werden heute Abend ganz wenig über den Begriff von ´Digitalisierung` hören. Weil dieses Unwort ´Digitalisierung` alles und nichts ist!"
Per Beamer wird ein Plakat gezeigt, mit dem eine große deutsche Partei kürzlich Wahlwerbung gemacht hat. Darauf zwei Fotos. Eins schwarz-weiß: der Unterricht von früher. Und daneben in Farbe: ein Lehrer vor einer digitalen Tafel. Titel: "Die digitale Zukunft an den Schulen kann beginnen."
Birte Güting: "Genau. Das ist ein Beispiel. Das ist noch nicht so richtig alt."
Birte Güting, die Schulleiterin, blickt auf die Leinwand.
"Aber wie Sie sehen, ist das genau das, was wir uns nicht vorstellen. Es ist nämlich eigentlich genau das, was die ganze Zeit schon passiert ist: Der Lehrer steht vorne an der Tafel und ob das jetzt eine Kreidetafel ist oder ob das jetzt ein Smartboard oder irgendein anderes digitales Board ist, ist eigentlich ganz egal. Darum geht es nicht, darum kann es nicht gehen und darum darf es nicht gehen!"
Die Technik als Werkzeug, das den Unterricht kommunikativer macht. Und die Schülerinnen und Schüler animiert, sich aktiv einzubringen. Das ist zumindest der Plan. Ob er aufgehen wird?
Zwei Monate später.
Felicitas von der Meden: "So, ihr Spezialisten. Morgen zusammen!"
Anfang September. Es wird ernst.
"Ihr Helden. Was ihr tun müsst, ist euer iPad mal zu Hause ins WLAN bringen. Weil nur dann kann es sich die Apps runterladen. Wir können die nicht per Telepathie aufs iPad schicken…"
In den Klassenräumen des Gymnasiums stehen jetzt Grundlagen in der Tablet-Bedienung auf dem Stundenplan.
"So, wie kann ich jetzt mein iPad synchronisieren?"
Felicitas von der Meden ist Lehrerin für Biologie und Englisch.
"Widgets ist ganz richtig, genau, das sind die Widgets! Sonst noch Fragen? Ein Traum, gut."

Hoffnung auf Veränderung des starren Schulsystems

Wie die meisten ihrer Kolleginnen und Kolleginnen hofft sie, dass der Unterricht in den engen Grenzen des starren Schulsystems zeitgemäßer werden kann.
"Ich kann ganz andere Lernziele auch auf einmal umsetzen. Die erstellen einen Blog zum Beispiel. Das sind so Sachen, das hätte ich vorher im Unterricht gar nicht machen können. Das ist natürlich irgendwo eine Schreibaufgabe. Die ich vorher auch realisieren konnte, die ich auch analog realisieren konnte. Aber auf einmal sind die ganz anders motiviert darüber, einen Text zu schreiben, weil das ist jetzt: ´Ja, ich stelle das online. Ich kann das an meinem iPad machen.`
Dass das eben nicht nur ein Spielzeug ist, sondern, dass da was hinter steht. Dass da Arbeitsschritte hinter stehen, das ist was, das wird jetzt mit der Zeit kommen. Und dann wird da auch dieser Hype wird so ein bisschen nachlassen. Aber letztendlich ist es trotzdem unabdingbar, weil wir hier irgendwo Lebenswirklichkeit abbilden müssen, und weil wir auch auf die Lebenswirklichkeit vorbereiten müssen. Das können wir nicht, wenn wir analog unterwegs sind. Das kann ich nicht mit einer Kreidetafel…"

Anfangseuphorie und Realität

November. In der Schillerschule ist nach knapp drei Monaten Alltag eingekehrt. Die Euphorie über die Anschaffung von Tablet-Computern war vor den Sommerferien und zu Beginn des Schuljahres groß. Und heute?
Matthias Wysocki: "Jetzt ist dieses Konzept Realität geworden. Das heißt: Die Kinder sitzen jetzt wirklich in den Klassenräumen und lernen mit ihren Tablets. Und das klappt überraschend gut!"
Autor: "Woran machen Sie das fest?"
"An ganz vielen Dingen. Einmal haben wir natürlich die Rückmeldung von den Schülern und Lehrern, die alle sagen: ´Ja, das funktioniert wirklich.` Aber wir wollten es auch genauer wissen. Wir haben eine Umfrage unter den Schülern gemacht – anonyme Umfrage pro Klasse. Und die sind überall sehr positiv ausgefallen."
Regelmäßig sollen Schüler, Eltern und Lehrer ab jetzt immer wieder Feedback über das Experiment Tablet-Schule geben. Zu den überraschenderen Rückmeldungen gehörte für Matthias Wysocki bei diesem ersten Durchlauf, dass die Kinder viel mehr Einweisung und Hilfe bei der Bedienung brauchten, als angenommen:
"Daran sieht man: Die wahren Digital Natives gibt es gar nicht. Also selbst diese Generation, wo man glaubt, die können alles. Und sie sind auch relativ differenziert. Denn die Frage: ´Kann ich mit dem iPad besser lernen?`ist von Klasse zu Klasse entweder 50:50 oder 40:60 beantwortet worden. Also es gibt schon einen leichten Überhang derer, die sagen: ´Ja, ich hab‘ schon das subjektive Empfinden, dass das etwas besser klappt.`Aber ich finde es eigentlich sehr positiv, dass die Kinder das auch nicht als Allheilmittel begreifen oder sagen: Jetzt, zack: Bloß, weil das iPad jetzt da ist, klappt plötzlich alles viel besser. Sondern Lernen ist ein anstrengender Prozess. Das kann einem auch nicht das iPad abnehmen."
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