Dietmar Dath: "Karl Marx"

Kleiner Grundkurs in Marxismus

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Mehrwert auch für Marx-Laien: Dietmar Daths Marx-Monografie © Coverabbildung: Reclam-Verlag, Foto: picture alliance / dpa / Ullstein
Von Katharina Döbler · 05.05.2018
Karl Marx auf 100 Seiten - geht das? Bei Dietmar Dath sogar sehr gut. Er verknüpft die zentralen Thesen Marx' mit einer autobiografischen Rebellionserzählung. Nie wurde die Marx'sche Dialektik heiterer und einleuchtender wiedergegeben.
Karl Marx' wirkmächtige Analysen und Thesen waren von Anfang immer auch das, was Ideologie und Epoche in sie hinein und aus ihnen heraus las. Menschen, die Jahre ihres Lebens mit Marxismus-Leninismus-Unterricht von betonköpfigen SED-Mitgliedern gequält wurden, haben ihn anders gelesen als die Menschen in den Arbeiterbildungsvereinen vor hundert Jahren. Und anders als diejenigen, die in den 1980er-Jahren an den Unis freiwillig in die "Kapital"-Kurse strömten, weil das cool und die Bourgeoisie Scheiße war. Man verzeihe diese Vokabel, aber selbst Marx schrieb sie – im Hinblick auf Unterdrückung und Ausbeutung - nieder, wie Dietmar Dath in seiner 100-seitigen Marx-Monografie genüsslich zitiert.
Marx auf 100 Seiten? Das klingt schrecklich, aber Dath, der Gedichte, Essays, Romane und Biografien (zum Beispiel von Rosa Luxemburg) schreibt, außerdem Zeitungsartikel und was ihm sonst so alles einfällt, ist als bekennender Kommunist und hochangesehener Selbstdenker anscheinend genau der Richtige für dieses Format.

Kalte, nicht heiße Wut führt zu Veränderungen

Er verknüpft mit Leichtigkeit die zentralen Marx-Thesen mit einer autobiografischen Rebellionserzählung. Mit Gegenwart und vor allem mit der Zeit- und Ideengeschichte, in die sie hineingehören: Aufklärung, deutscher Idealismus, Materialismus, Anarchismus, etc.
Dabei identifiziert er Marx' Schriften als Ausdruck einer "kalten Wut", die er von der "heißen Wut" unterscheidet, die voller Empörung über Missstände "nicht weiter denken kann als bis zum unmittelbaren Gegenschlag". Kalte Wut ist die, die "zum auf langfristigen Erfolg angelegten Plan aushärtet": zum Plan, der zu Veränderungen führt.

Dialektik mit Homer Simpson

Mit dieser jenseits der aktuellen Katastrophenszenarien geradezu optimistischen Grundhaltung also stellt Dath seinen Marx vor: Wie er dem Zeitgeist entsprechend nach den "Gesetzen" der Geschichte suchte; wie er die "sogenannte Zivilisation" kritisierte; wie er sich von Hegel beeinflussen ließ und wieder abwandte; und, das ist die faszinierendste Passage in diesem Büchlein überhaupt, wie er aus Widersprüchen die "Kippmomente des Denkens" identifizierte und so das Wesen der Dialektik ins Dynamische umformte.
Nie wurde die Marx'sche Dialektik heiterer und einleuchtender wiedergegeben und gelesen: als Verhältnis von Raupe und Schmetterling oder auch von Haar und Frisur am Beispiel Homer Simpson.
Aber es ist nicht so, dass Dath postmoderne Interpretationsspielereien betriebe. Er argumentiert und analysiert mit dem Handwerkszeug der formalen Logik und durchleuchtet die komplexen, kniffligen ökonomischen Thesen Arbeitswert und Mehrwert so, dass sie auch für wenig vorgebildete Leser ein durchschaubares Muster ergeben.
Kurz: wir haben hier einen kleinen Grundkurs in Marxismus, lesbar, klug, und geradezu unterhaltsam. Und sogar hoffnungsvoll.

Dietmar Dath: "Karl Marx"
Reclam-Verlag, Ditzingen 2018
100 Seiten, mit Abbildungen, 10 Euro.

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