Dietmar Bartsch über Martin Schulz

Für die SPD ist Schulz der "Heilsbringer"

Der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch
Der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch © imago / ZUMA Press
Dietmar Bartsch im Gespräch mit Dieter Kassel · 30.01.2017
Die Linkspartei steht dem neuen starken Mann in der SPD skeptisch gegenüber. Dietmar Bartsch wirft Martin Schulz vor allem vor, sich bisher nicht konkret genug zu äußern. Zusammenarbeiten will er mit dem neuen "Heilsbringer" der SPD dennoch.
Die Äußerungen des Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz, treffen in der Linkspartei einerseits auf offene Ohren, andererseits werden sie aber als nicht konket genug kritisiert.
Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Bundestag, warf Schulz im Deutschlandradio Kultur vor, zu sehr im Ungefähren zu bleiben:
"Dass er für soziale Gerechtigkeit ist, das sagt im Übrigen auch die FDP, dass er für den Frieden ist, ja, wer ist für den Krieg? Also, das ist alles sehr allgemein."
Er würde Schulz gern an konkreten Taten messen, sagte Bartsch. Denn wenn dessen Beschreibung der Situation in Deutschland stimme – an der "viel Wahres" dran sei – müsse man sofort handeln.
Martin Schulz sei jetzt für die SPD der "Heilsbringer", die Sozialdemokraten befänden sich "in einem Rausch", sagte Bartsch. Schulz sei aber seit 1999 im Vorstand der SPD – und trage dementsprechend mit Verantwortung für das soziale Auseinanderdriften im Land. Er warf Schulz zudem vor, auch auf EU-Ebene eine unsoziale Politik mitgetragen zu haben.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kommt zu einer Pressekonferenz am 29.01.2017 in der SPD-Parteizentrale in Berlin. 
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz mit dem Blick nach oben: Die Sozialdemokraten wittern seit langem mal wieder Morgenluft© dpa / picture alliance / Kay Nietfeld
Bartsch bot der SPD die sofortige Zusammenarbeit an. Das könne schon heute oder in der nächsten Sitzungswoche geschehen. Es gebe eine Mehrheit jenseits der Union.
Das Gute an Schulz sei, dass es jetzt tatsächlich einen SPD-Kanzlerkandidaten gebe, sagte Bartsch. Bei Sigmar Gabriel wäre es nur ein "Vize-Kanzlerkandidat" gewesen.


Das Gespräch im Wortlaut:

Dieter Kassel: Die SPD ist euphorisiert von ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz, und als langsam klar wurde nach dem Rückzug von Sigmar Gabriel, er wird es werden, stieg das Ansehen der Partei. Drei Prozentpunkte legte sie zu bei den Umfragen, mehr Neueintritte als sonst hat es auch gegeben, teilt die SPD selber mit, und unglaublichen Applaus gestern bei der ersten großen Rede von Martin Schulz und seiner neuen Rolle.
Langsam aber sagen Kritiker doch, na ja, schön ausgesehen hat er dabei und sehr bewegend war das ja auch und laut sprechen kann er, aber was hat er eigentlich wirklich gesagt und was bedeutet das für diesen Wahlkampf und für die zukünftige Politik in Deutschland. Unter anderem darüber wollen wir jetzt mit dem Vertreter einer Partei reden, die ja theoretisch ein Koalitionspartner der SPD werden könnte, allerdings erst mal auch nur theoretisch. Wir reden mit Dietmar Bartsch, er ist der Fraktionsvorsitzende der Linken im Deutschen Bundestag. Morgen, Herr Bartsch!
Dietmar Bartsch: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Kassel: Können Sie sich seit gestern vorstellen, am 24. September eventuell die SPD zu wählen?
Bartsch: Ehrlich gesagt, das kann ich mir nicht vorstellen. Das schließt sich schon deshalb aus, weil ich ja der Spitzenkandidat einer anderen Partei bin.
Kassel: Das ist eine geheime Wahl, das erfährt ja keiner.
Bartsch: Ja, das ist völlig in Ordnung, aber das schließe ich mal aus, und zwar aus vielen, vielen Gründen. Wenn ich Ihnen die alle darlege, ist die Zeit weg.
Kassel: Dann machen wir ein paar kleinere Gründe. Nehmen zum Beispiel sowohl die Rede gestern von Schulz als auch die beiden großen Fernsehauftritte. Stimmen Sie mit mir überein, wenn man zusammenfassen müsste, was er da Konkretes gesagt hat, das würde jetzt gar nicht so lange dauern, oder?

Schulz ist für Frieden - aber wer ist denn schon für Krieg?

Bartsch: Das würde wiederum relativ kurz sein. Also diese allgemeinen Sätze, dass er für soziale Gerechtigkeit ist, das sagt im Übrigen auch die FDP, dass er für den Frieden ist, ja, wer ist für einen Krieg? Also das ist alles sehr, sehr allgemein, und ich würde gerne Martin Schulz wirklich an konkreten Taten messen. Denn wenn dann das so stimmt, seine Beschreibung über das Land, dann muss man sofort handeln.
Und wenn er denn jetzt verantwortlich, also Vorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD ist, dann kann man ja schon jetzt die ganz schlimmen Dinge entscheiden, denn es gibt eine Mehrheit jenseits der Union. Da biete ich ausdrücklich die Zusammenarbeit an, zum Beispiel, dass man die sachgrundlose Befristung endlich beendet, dass man die Ehe für alle durchsetzt, Dinge, die man ganz schnell machen kann, wo es Übereinstimmungen mit den Sozialdemokraten gibt.
Dann bitte tun, nicht nur Worte, weil das habe ich schon in mehreren Wahlkämpfen erlebt, und hinterher sind Wählerinnen und Wähler aufgewacht, und es blieb von dem Rausch, in dem die SPD jetzt ist, wenig übrig.
Kassel: Aber, selbst wenn man erst mal nur Schulz an seinen Worten misst, also eine Kernaussage ist ja, er will Politik machen für die hart arbeitenden Menschen in diesem Land. Was ist da zum Beispiel mit denen, die nicht arbeiten, weil sie dazu keine Gelegenheit haben?

Die hart arbeitenden Menschen als Wortgruppe

Bartsch: Ja, wissen Sie, die hart arbeitenden Menschen, die habe ich gestern ja als Wortgruppe mehrfach gehört, ganz, ganz oft. Ich finde, dass ein Kanzlerkandidat wie im Übrigen auch Spitzenkandidaten, sich schon dann wirklich um dieses Land kümmern müssen, auch klar sagen, um wen man sich dann nicht kümmern will. Das macht die Linke, indem sie sagt, wir wollen den obszönen Reichtum, den es in unserem Land gibt – also immer mehr Milliardäre, die Zahl der Vermögensmillionäre nimmt zu – begrenzen.
Da hätte ich mir dann von Martin Schulz mal konkrete Aussagen gewünscht: Wie ist denn das mit einer Steuerreform konkret? Derjenige, der in Brüssel ja alles, was dort Herr Juncker und andere an Finanzschweinereien durchgezogen haben, mitgetragen hat, der muss dann wirklich konkret sagen, was heißt das, dass wir für die hart arbeitenden Menschen da sind. Ja, welche Partei sagt denn das nicht?
Kassel: Aber wenn man mit solchen Vorwürfen kommt – das war gestern zum Beispiel in dem großen ZDF, na ja, so groß auch wieder nicht, aber 20-minütigen ZDF-Interview mit Schulz so, wo ja auch gesagt wurde, wenn die Lage hier im Land so schlimm ist, wie er das teilweise beschreibt, oder Beschreibung geht zu weit, andeutet – dann ist die SPD doch mit Schuld, sie saß ja in wesentlichen Teilen der letzten Zeit immer mit in der Regierung.
So ein Vorwurf kommt immer, das war auch bei den letzten Landtagswahlen bei vielen Parteien so, aber ist das wirklich gerecht? Denn mit dieser Logik müsste man ja sagen, eine Partei oder auch ein Kandidat, der je Fehler gemacht hat, darf es nie wieder neu versuchen.

Es geht um Glaubwürdigkeit

Bartsch: Darum geht es nicht, aber es geht um Glaubwürdigkeit, und diese Glaubwürdigkeit – wissen Sie, Martin Schulz ist jetzt der Heilsbringer, noch mal, die SPD ist in einem Rausch, und ich sag mal, das Gute ist, das Gute ist, es gibt jetzt wahrscheinlich wirklich einen Kanzlerkandidaten. Bisher ist es ja so gewesen, dass wäre es Sigmar Gabriel geworden, wäre es ein Vizekanzlerkandidat.
Sigmar Gabriel neben einer Deutschlandfahne
Sigmar Gabriel, hier auf dem Weg zur Inthronisierung als Außenminister - laut Bartsch wäre er nur ein "Vizekanzlerkandidat" gewesen© dpa/Bernd von Jutrczenka
Ob Martin Schulz wirklich Kanzlerkandidat wird oder ob es am Ende … Ich meine, zu sagen, stärkste Partei zu werden, ist ja das eine, man muss ja dann auch in die Nähe dessen kommen. Aber Martin Schulz ist im Vorstand der SPD seit 1999, und all die Dinge, die er beschreibt, dass das Land also wirklich so auseinanderdriftet, da ist vieles Wahres dran, aber da trägt er mit Verantwortung.
Natürlich kann man und muss man auf Veränderungen … Und da hat die SPD ja eine wechselvolle Geschichte, aber bitte, das konkret und nicht im Allgemeinen. Deshalb, ich biete ausdrücklich die Zusammenarbeit an, heute oder in der nächsten Woche, in der nächsten Sitzungswoche zu entscheiden. Man kann nicht im Ungefähren bleiben, und wenn denn das so ist und er sagt, mit der Union nicht, dann kann er persönlich, nicht die SPD, aber er persönlich doch auch klar sagen, er wird an einem Kabinettstisch Angela Merkel nicht sitzen.
Denn das Schlimme ist, Martin Schulz redet, die Politik wird fortgesetzt – das ist ein kleiner Widerspruch.
Kassel: Aber ist das Problem nicht, dass er das, dass er nicht an diesem Kabinettstisch sitzen will, nichts sagt, weil er das, wenn es nicht klappt, notfalls so schlimm auch gar nicht fände?
Bartsch: Ja, das ist ja wahrscheinlich ein Problem, und das, wissen Sie, das haben wir jetzt mehrfach erlebt. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, ich bin seit 1998 im Deutschen Bundestag, ich kann mich eigentlich nicht erinnern, dass die SPD mal nicht regiert hat, vier Jahre davon waren das nicht, und all diese Dinge. Wer hat denn damals die Rente mit 67 eingeführt? Das war auf Druck von der SPD Franz Müntefering. Jetzt feiert sich die SPD, wir haben die Rente mit 63, nun gut, das macht man nicht so, das Haus anzünden und dann sagen, ich bin Feuerwehrmann.

In die Zukunft denken - aber bitte konkret

Also hier erwarte ich konkrete Politik. Ich will gar nicht in die Vergangenheit gucken, sondern in die Zukunft – sehr gern, dann aber bitte sehr konkret, dann bitte sagen, das wollen wir. Und dann muss man auch ganz klar sagen, mit dieser Union geht es definitiv nicht, denn wenn die Beschreibung stimmt, ist diese zuständig.
Ich will aber noch mal darauf hinweisen, dass alles, was in den letzten Jahren gelaufen ist – man tut manchmal so, dass auch Martin Schulz damit nichts zu tun hatte, das ist nicht der Fall. Und ich möchte dann gerne, dass die Politik, die gemacht worden ist, dann korrigiert wird.
Ich wünsche mir, ja, dass die arbeitenden Menschen, auch die, die keine Arbeit haben, im Mittelpunkt stehen, ich möchte, dass nicht aus einer, ja, Sturzgeburt, es war nichts anderes, aus dem Weiter-so, indem man auch die Ministerposten undemokratisch einfach mal so besetzt, das mitteilt, ich mache jetzt außen, die Brigitte macht jetzt Wirtschaft, und jetzt machen wir ansonsten so weiter, aber wir müssen ja so tun, als wenn wir Kanzler werden wollen. Das geht nicht.
Kassel: Sagt Dietmar Bartsch, er ist der Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag. Herr Bartsch, vielen Dank für das Gespräch!
Bartsch: Ich danke Ihnen, schönen Tag!
Kassel: Schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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