Die Wirkungsmacht Roms

Von Christian Meier · 03.01.2010
Überall steckt es in uns, das Erbe Roms. Angefangen bei der Sprache. Denn es ist ja nicht nur der Magister oder Doktor gar, Medizin und Jurisprudenz, die wir mit aus dem Lateinischen kommenden Wörtern bezeichnen, sondern auch die Mauer, der Ziegel, der Keller, der Wein, zu denen unsere Vorfahren murus, tegula, cellarium und vinum verwandelt haben.
In der Republik (res publica) regieren Kanzler (cancellarii) und Minister (das gleiche Wort benutzten Römer für Diener), glücklicherweise keine Diktatoren (ebenfalls ein lateinisches Wort), während die Planeten (planetae) am Himmel allesamt römische Götternamen tragen. Und wie oft hat man auch für die Bezeichnung des Modernen darauf zurückgegriffen.

Um 1600 bildete man vom griechischen/lateinischen Wort für Bernstein (electrum) actio electrica, die "elektrische Anziehung", woher schließlich unsere Elektrizität ihren Namen bezog. Das gleiche gilt etwas für Omnibus (von omnes: Wagen für alle) und Computer, das letztlich auf lateinisch computare zurückgeht. So könnte man lange fortfahren.

Aber es waren ja nicht nur die Wörter, die übernommen wurden, sondern die ganze Sprache drang tief in das Leben unserer Vorfahren ein. Die Sprache der Kirche, der Liturgie, der Heiligen Schrift zunächst. So wie sie aus dem späten Rom herübergekommen war, war sie eher verludert. Dann aber unternahm es Karl der Große, Grammatik, Stil, Wortgebrauch neu einzustudieren. Denn wer Gott dient, muss Gottes Wort genau kennen, verstehen und sich darüber verständigen können. Rechtes Leben und rechtes Sprechen bedingten einander.

So hatten Kirchenmänner, aber auch Gelehrte, Juristen, Mediziner, Beamte Latein zu lernen. In ganz Europa war es eine gemeinsame Sprache; es war enorm wichtig für die Kommunikation. Das hieß aber auch: Überall mussten nicht wenige zwei Sprachen können, was wiederum das Denken schulte und schließlich auch den einzelnen Landessprachen zugute kam.

Man sollte ja nicht vergessen: Wo Allah in der eigenen Sprache sprach, tat es der christliche Gott jahrhunderte lang auf Lateinisch. Kaum hinreichend auszumalen, was das bedeutete.

Mit der Gelehrsamkeit kam die lateinische Literatur, Cicero, Seneca, Vergil, Horaz zum Beispiel. Vieles, was in den eigenen Sprachen nicht so leicht zu sagen war, ging auf Lateinisch. So dass sich das Erbe Roms (wie das der Griechen) tief in Europa eingelagert hat.

Kaum hoch genug einzuschätzen ist die Bedeutung des Römischen Rechts, das man nach und nach übernahm. Die aufblühende städtische Wirtschaft brauchte die Juristen, und der Staat der Neuzeit ist ohne sie gar nicht vorzustellen. Vieles weitere könnte man nennen, die Form der Basilika etwa, übrigens auch die Glocken, die die Kirchen von den römischen Badehäusern rezipierten.

Alle Kulturen der Welt außer den allerersten haben von vorangegangenen vieles übernommen. Aber keine außer der europäischen hat nicht nur anfänglich vieles von anderen sich zueigen gemacht, sondern sich auch über Jahrhunderte hinweg der Vorgängerkultur unterlegen und verpflichtet gefühlt, so dass sie etwa deren Sprache lernte und sich über Jahrhunderte ihrem Studium hingab.

Wo gab es das sonst, dass Ober- und Mittelschichten ihre Kinder eine Sprache (oder gar zwei) lernen ließen, die seit Jahrhunderten kein Volk der Erde mehr sprach? So hat es seinen guten Sinn, wenn Jacob Burckhardt bemerkte: Wir werden das Altertum nie los, solange wir nicht wieder Barbaren werden.


Eine zusätzliche Literaturliste über Rom finden Sie hier PDF-Dokument