Die wichtigsten Debatten 2014

Geschichte dominiert Kultur

Die Andy Warhol Kunstwerke (l-r) "Triple Elvis" (1963) und "Four Marlon" (1966). Die Westdeutschen Spielbanken wollen in New York zwei ihrer wichtigsten Bilder versteigern lassen und erhoffen sich dafür 100 Millionen Euro.
Warhol-Verkauf für ein Casino: Erregungspotenzial im Kulturbetrieb © dpa / Christie's/The Andy Warhol Found
Von Arno Orzessek · 31.12.2014
Die Debatte um den Ersten Weltkrieg, hundert Jahre nach seinem Beginn, die Ukraine-Krise oder der IS-Terror - im vergangenen Jahr dominierten Zeit- und Weltgeschichte die Debatten. Doch selbstverständlich gab es auch im Kulturbetrieb Erregungspotenzial. Da ging es unter anderem um Tabubrüche, Sexualpädagogik und die Lust auf Deutschland.
Es war von Anfang so, als hätte sich das Jahr 2014 Schillers trüben Vers "Die Weltgeschichte ist das Weltgericht" zum Motto erwählt. Die erste wuchtige Debatte kreiste - hundert Jahre nach seinem Beginn – naturgemäß um den Ersten Weltkrieg.
Christopher Clark:
"Nein, dieser Krieg musste nicht ausbrechen. Überhaupt nicht!",
…wischte der Historiker Christopher Clark die alte Zwangsläufigkeits-These vom Tisch – und mit ihr das jahrzehntelang gültige Diktum Fritz Fischers von der deutschen Alleinschuld.
"Aggression, Paranoia, ein leichtsinniges Spiel mit dem Risiko gibt es auf allen Seiten – nicht nur in Berlin."
Christopher Clarks Werk "Die Schlafwandler", Herfried Münklers "Der Große Krieg", Jörn Leonhards alles überragende "Büchse der Pandora" – die große Geschichte hatte gerade enorme Konjunktur -, als sich die Krim durch ein umstrittenes Referendum zu Russland schlug und die bange Frage aufkam: Könnte die Welt hundert Jahre nach dem Attentat von Sarajewo erneut durch Vorkommnisse an der Peripherie ins Unheil gerissen werden?
Mit der Krim-Krise etablierte sich Wladimir Putin als gefürchtetste Black Box der Zeitgeschichte. Umso mehr, als in der Ukraine zwischen Pro-Europäern und pro-russischen Separatisten bürgerkriegsähnlicher Zwist ausbrach. Der russische Präsident selbst reichte den Schwarzen Peter der Eskalation an die – im Blick auf die Ukraine assoziationsfreudige – EU und die seit 1990 großzügig vergrößerte Nato weiter.
Wladimir Putin:

"Wir haben überhaupt nichts gegen die Zusammenarbeit mit der Nato. Aber wir sind dagegen, dass sich eine militärische Allianz wie der Herr an unserem Zaun aufführt, in der Nähe von unserem Haus und auf unseren historischen Territorien."
Die Hohepriester der westlichen Werte erfanden den Kampf-Begriff "Putin-Versteher" und brandmarkten damit alle, der ihr klares Freund-Feind-Bild nicht teilten.
Der Historiker Jörg Baberowski – beileibe kein klischeemäßiger "Putin-Versteher" und umso mehr um das Verständnis von Moskaus Motivationen bemüht – rückte Russland in die Tradition von Zaren- und Sowjetreich.
Jörg Baberowski:
"Man, glaube ich, gibt sich einer großen Illusion hin, wenn man glaubt, dass das alte Imperium tot sei. Nein, es lebt noch. Warum soll nicht das alte Imperium auch ein übernationaler Zusammenhang sein können wie es die EU ist?"
Zwang zu vermehrter Selbstreflexion
Unterdessen mordete sich der sogenannte Islamische Staat, IS, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Claudia Roth:
"Bisweilen hast Du das Gefühl, Du bist mitten in einem schlechten Film und kannst es gar nicht als Realität erkennen",
gruselte sich Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth, die den Kampf um die Stadt Kobane von den umliegenden Hügeln verfolgte und darüber jeglichen Pazifismus vergaß:
"Eines versteh ich nicht: Warum die internationale Allianz es bisher nicht geschafft hat, zum Beispiel 17 Panzer, warum die nicht ausgeschaltet werden können."
Indessen finanziert sich der IS nicht zuletzt durch archäologische Raubgüter – die auch bei deutschen Händlern feilgeboten werden. So der Archäologe Andreas Müller-Krappe.
"Archäologische Funde aus legalen Grabungen kommen ja ins Museum. Was Sie heute auf dem Markt angeboten bekommen, kann im Grunde nur aus Raubgrabungen, aus Plünderungen stammen."
Im Übrigen zwang gegen Ende des Jahres die Veröffentlichung des CIA-Folterberichts den Westen zu vermehrter Selbstreflexion. US-Senatorin Dianne Feinstein nannte die Folter "einen Schandfleck auf unseren Werten und auf unserer Geschichte" - während Dick Cheney, der Ex-Vizepräsident der USA, den Bericht "scheiße" fand. Hierzulande stimmte die Mehrheit Feinstein zu - genauso, wie in puncto Internet- und Big Data-Kontrolle der Aktivistin Soshana Zuboff, die in Potsdam proklamierte:
"Die Welt schreit nach Regeln, die den Vorrang der Humanität sichern."
Keine Frage, 2014 dominierten Zeit- und Weltgeschichte die Debatten…. Aber selbstverständlich hatte auch der Kulturbetrieb Erregungspotential.
Eckhardt Köhne:
"Das ist wirklich ein Tabubruch.",
… echauffierte sich Eckhart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbundes, über den Verkauf von zwei Warhol-Gemälden aus dem Besitz des staatlichen Casino-Betreibers Westspiel. Rainer Priggen, der Fraktionschef der NRW-Grünen, fand den Deal "zwei Warhols für ein neues Casino" ganz prima.
"Ich finde das sehr richtig, dass das auktioniert und dann genutzt wird."
Fazit der Konjunktiv-Philosophin Angela Merkel
Umstritten auch: die neue Sexualpädagogik im rot-grünen Baden-Württemberg, die nicht nur den Lehrer und Petitions-Führer Gabriel Stängle ins Grübeln brachte.
"Da stellt sich für mich die Frage, welchen pädagogischen Mehrwert bringt das, mit Hilfe eines Schwulen-Magazins ein lesbisch-schwules Wochenende zu planen."
Stängle hätte sich womöglich von Profx Lann Hornscheidt helfen lassen können, der/die/das als Medium des neutralen x auf geschlechtsspezifische Ansprache pfiff.
"Weil ich mich nicht als Frau oder als Mann identifiziere ich. Sondern, weil ich sage, ich lebe jenseits davon, Frau oder Mann zu sein."
Im Gegensatz übrigens zu Joe alias Charlotte Gainsbourg, der Protagonistin aus dem Sex-Film des Jahres, Lars von Triers "Nymph()maniac".
aus "Nymph()maniac":
"Ich bin eine Nymphomanin. Und ich liebe mich dafür, eine zu sein. Aber vor allem liebe ich meine Möse und meine schmutzige, versaute Lust."
Lust auf Deutschland verbreitete Neil McGregor, Direktor des Britischen Museums in London und Kurator der dortigen "Germany"-Ausstellung. Aber nicht teutonische Nymphomaninnen, nein, ein altes Dresdner Porzellan-Flusspferd machte McGregor kirre:
"Die Idee, ein Rhinozeros aus Porzellan zu machen, ist schon prima. Ganz toll! Absurd, aber toll! Hinreißend. […] Das ist eine große deutsche technische Leistung."
Nun denn. Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, fand an 2014 insgesamt wenig Erheiterndes:
"Die Welt brennt."
Ähnlich das Fazit der Konjunktiv-Philosophin Angela Merkel:
"Das was ist, wiegt in diesem Falle schwerer als das, was sein könnte."
Also alles nur Macken und Murks? 50-Jahre-Geburtagskind Hape Kerkeling würde das lockerer formulieren:
"Hurz!!!...."
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